Eine Frage der Moral

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„Ich höre...", sagte ich gedehnt, während Natalie Luft holte.
„Sorry, Lucy, aber nein. Da bin ich überhaupt nicht deiner Meinung. Erstens glaube ich nicht, dass du einfach nur ‚früher gegangen' bist, sondern ihn eiskalt abserviert hast. So einsilbig und kurz angebunden, wie er mir dazu was geschrieben hat. Und, zweitens...", jetzt war ich erst recht gespannt.
„Nach einem Treffen gibst du ihm direkt keine Chance mehr. Mit der Begründung, ihr wärt nicht miteinander warm geworden. Wie soll das denn bitte klappen, beim ersten Treffen? Vor allem, da du auch eher schüchtern bist und, wenn ich das mal so sagen darf, vor allem beim ersten Treffen nicht gerade sehr gesprächig bist. Und nur, weil du gerade im Moment keine Lust drauf hattest und dir das Ganze zu viel wurde, hast du alles direkt hingeschmissen? Hast du mal an seine Gefühle gedacht, wie blöd John sich in der Situation gefühlt hat? Und dann noch frisch nach der Trennung, wo man sowieso empfindlich ist? Sorry, rhetorische Frage. Hast du natürlich nicht. Lucy, ich mag dich wirklich gerne, aber manchmal denkst du wirklich nur an dich. Die Leute um dich herum haben auch Gefühle und sind nicht nur Statisten!"
Sie zog durch die Nase hoch. So, wie sie sich bei den letzten Worten reingesteigert hatte, könnte man fast meinen, ich hätte ihre Gefühle auch schon mal verletzt. Wer dachte sie eigentlich, wer sie war, mir so eine Moralpredigt auf offener Straße zu halten?
Trotzdem war ich verlegen, vielleicht war doch das ein oder andere Körnchen Wahrheit dran, sonst würde es mich ja völlig kalt lassen und ich ihr unmittelbar etwas Gepfeffertes antworten.
Und das machte es nicht einfacher, im Gegenteil.
„Okay", sagte ich zerknirscht. Es zermürbte mich einfach, dass ich mich offensichtlich so falsch verhalten hatte, dass sogar Natalie Eisenhuth auf Harmonie verzichtete, um mir die Leviten zu lesen.
Woher kam sonst diese plötzliche Einsicht? Oder diese Unsicherheit, ob mein Abgang so das Gelbe vom Ei war?
„Ich weiß auch nicht, was ich mir von diesem Treffen erhofft habe. Ich dachte, wir sind füreinander bestimmt und Seelenverwandte, oder so ein Müll. Ich war ein bisschen naiv." Ich lachte nervös.
„Zusammen gehören wir trotzdem nicht. Aber ich fürchte, ich habe ein bisschen überreagiert und mir ganz schön die Blöße gegeben. Wie immer."
Jetzt blieb mir das Lachen im Halse stecken. Die Blamagen häuften sich in letzter Zeit wirklich.
Und wie immer, wenn ich Einsicht zeigte, war mein Gegenüber überhaupt nicht sauer auf mich. Im Gegenteil, Natalie zerfloss in Mitleid.
„Hey, was soll das denn heißen? Sei nicht so hart zu dir selbst!" Sie strich mir über den Rücken. Aber das war mir wesentlich unangenehmer als die intimen Berührungen mit Dustin damals. Okay, da war auch das Meiste von mir ausgegangen.
Trotzdem wand ich mich unter ihrer Hand hindurch.
„Ja, ist doch so. Da hab' ich ein Date mit meinem Traumtyp, mühselig organisiert und dann lass' ich es so enden. Ich bin ein hoffnungsloser Fall!"
Okay, mit diesem Selbstmitleid musste ich aufhören. Sonst machte Natalie sich noch Sorgen um mich.
Also, welche, die unberechtigt waren.
„Oh Mann", sagte sie. „Das wollte ich wirklich nicht. Aber, das ist doch Bockmist, sich die ganze Zeit so runterzumachen! John ist doch kein Unmensch! Der wundert sich nur über dein Verhalten, aber, der wird dir bestimmt verzeihen, wenn du das alles nochmal so sagst! Also, zu ihm!"
Also, jetzt reichte es aber! Da überschätzte sie meine Einsicht. Ich hatte vielleicht nicht alles richtig gemacht, aber, jetzt demütig bei ihm angekrochen zu kommen verstieß mir auch gegen meine Ehre.
Ich hatte Rückgrat! Und das konnte mir keiner nehmen, außer durch aufwendige Operationen. Kleiner Scherz. Trotzdem, das Gespräch wurde mir zuwider. Ich hatte mich von Natalie einlullen lassen! Sie wollte mir ihre Friede-Freude-Eierkuchen-Hauptsache-Frieden-Mentalität aufdrängen! Und ich hatte es fast zugelassen! Nein, das konnte ich nicht mit mir machen lassen! Nicht, nachdem ich heute mich so behauptet hatte!
„Weißt du was? Ich muss gar nichts! Erst recht nicht, mich bei John zu entschuldigen! Ich hab' gar keinen Bock mehr auf den Spinner, der immer nur belangloses Zeug quatscht! Was er in der fünften Klasse in der Pause gemacht hat! Der passt perfekt zu mir, du bist genauso seicht und flach wie er. Werdet doch gemeinsam glücklich, aber lasst mich in Ruhe!"
Eiligen Schrittes stürmte ich davon. Hoffentlich war sie wenigstens so schlau, mir nicht zu folgen. Manchmal platzte mir einfach der Kragen! Ich widerstand der Versuchung, ihr noch den Mittelfinger zu zeigen. Nein, das wäre nur unnötige Provokation.
Langsam reichte es. Ich ließ mir nichts mehr einreden! Meine Freundschaft mit Natalie war sowieso zum Scheitern verurteil gewesen. Wir waren einfach zu verschieden. Außerdem war sie mir in letzter Zeit nur noch auf die Nüsse gegangen.
Sollte sie doch mit Kendall glücklich werden. Haha.
Ein Gedanke kam mir in den Sinn. Er war so niederträchtig und abstoßend, dass ich ihn sofort wieder verwarf. Leider klappte das nicht besonders gut. Natalie versuchte ständig, sich in mein Leben einzumischen uns mich zu belehren. Da könnte ich mich doch auch ein wenig in Ihres drängen? Zumindest in ihr Liebesleben. Und ein paar Leute über ihre Vorliebe für ältere Heil-Erziehungspflegerinnen aufklären.
Mann, war ich schäbig. Aber ich war zu besessen und eingenommen von dem Gedanken. Er spukte mir während des ganzen Heimwegs im Kopf herum. Vor allen Dingen, als sie mir dann noch schrieb.

Natalie
Ich bin echt enttäuscht von dir 😐hätte echt gedacht mit dir kann man noch vernünftig reden😶

Hallo? Die hatte ja wohl den Arsch offen! Jetzt noch von der Seite reinprovozieren und sich aufspielen! Mein Verlangen danach, ihr Sozialleben zur Grunde zu richten steigerte sich ins Unermessliche.
Nein, bis ich zu Hause war hatte ich gelernt, es zu unterdrücken. Nicht einmal Ann-Mareen hatte herumgetratscht, was ich damals in der Hüpfburg angerichtet hatte, Ps Getränk sei Dank. Nein, auf diese Schiene wollte ich mich nicht begeben. Das bereute ich später ohnehin.
Als ich Mom und Zayn begrüßt und gegessen hatte, surfte ich ein wenig im Internet herum, um Zeit totzuschlagen. Auf Instagram hatte Natalie einen Spruch gepostet, von wegen, dass manche Leute einfach nicht diskussionsfähig waren und sie sich vorkam wie im Kindergarten.
Nein, das war genug! Jetzt hatte sie das Fass zum Überlaufen gebracht! Alles ließ ich mir auch nicht gefallen. Natürlich würde ich nicht Hinz und Kunz erzählen, dass sie auf eine über Dreißigjährige, Stormis Tante stand.
Aber zumindest Kendall hatte ein Recht darauf, von ihrem Glück zu erfahren. Irgendwie kam ich mir schäbig vor. Aber vielleicht war ich auch einfach nur zu hart zu mir selbst.

Hey Leutz
Keine au heute bin müde 😴 aber Feedback bitte in die Kommis 🤙🏼🤙🏼 wär echt nice 😁
1 schönen Abend 🌇🧡
Eure Mila 🦄💓

Smells like Teen SpiritWo Geschichten leben. Entdecke jetzt