Alle Wege führen nach Westen

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Zum ersten Mal bereute ich es, dass ich, im Gegensatz zu Natalie weder einen Motorrollerführerschein, noch einen Motorroller oder eine Schwester, die mich überall hinkutschierte hatte. Tja, da konnte man nichts machen. Der einzige fahrbare Untersatz, den ich zu bieten hatte, war mein altes Pumucklrad. Es war in so bunten, grellen Farben bemalt, dass man direkt an den nervigen Kobold erinnert wurde, beziehungsweise, ich musste dann immer an Radieschen denken, da die zwei für mich ein und dieselbe Person waren.
Aber dann müsste ich nochmal zurück in die Höhle des Löwen, also half mir das auch nicht weiter.
Ich versuchte mich also zu Fuß, doch nach einer Viertelstunde gab ich auf. Ich war völlig außer Atem, weil ich es nicht nur eilig hatte, sondern auch unsportlich und gestresst war. So würde ich nie dort ankommen! Wenn ich mal daran dachte, wie lange wir immer zum CSF gegurkt waren! Und die Schule war nicht viel näher!
Verzweifelt lehnte ich mich gegen eine Ampel. Jetzt war guter Rat teuer! Ich opferte mein Akku und sah nach den Busverbindungen. Doch daraus wurde ich überhaupt nicht schlau, da Zayn mich bisher erfolgreich mit seiner Panik vor öffentlichen Verkehrsmitteln ferngehalten hatte. Ich wusste, wie man von der Haltestelle in unserer Nähe in die Stadt kam, das war's. Und jetzt musste ich wegen ihm woanders hinfahren und wegen ihm konnte ich das nicht!
Frustriert trat ich gegen die Ampel. Das tat mit den Homer-Puschen natürlich nur weh, außerdem waren sie schon ganz nass und versifft.
Ich brauchte eine Mitfahrgelegenheit, jetzt! Eine, die mich in meinem weinenden, mich selbst bemitleidenden, ungepflegten Zustand mitnehmen und akzeptieren würde, jemanden, der nicht so viele Fragen stellte. Ja, ich musste jemanden ausnutzen, auch wenn es gemein klang. Jemand, der jetzt wahrscheinlich zu Hause war und Zeit hatte.
Tja, auch, wenn ich mir gemein vorkam, ich wählte Kourtneys Nummer. Und selbst, wenn sie mir nur mit den Busfahrplänen half. Alleine kam ich hier nicht weiter.
Nein, sie musste mich fahren. Ich hatte gar kein Geld dabei! Und mit Homer-Puschen beim Schwarzfahren erwischt zu werden, das war mir eine Spur zu peinlich.
Peinlich war es mir auch, sie anzurufen. Ich fühlte mich niederträchtig, als würde ich sie nur ausnutzen. Aber sie hatte mir ja selber mal gesagt, ich könnte ihr Bescheid sagen, wenn ich Hilfe brauchte. Zumindest sinngemäß. Hoffentlich hatte Reign ihr nichts Schlimmes über mich erzählt, aber, ich kannte beim besten Willen keinen, dem ich sonst Bescheid sagen könnte. Ich hatte mir schon eine nette kleine Geschichte ausgedacht.
Der letzte Anruf.
Ich wählte, klickte auf den Kontakt, machte es schnell, überhastet, damit ich mich nicht länger schämen musste, da...
Nach dem fünften Tüten ging jemand ran.
„Hallo?", fragte Kourtney. Ein Rauschen in der Leitung.
„Hallo, Kourtney, hier ist die Lucy!", sprudelte es aus mir heraus. „Könntest du vielleicht, also, würde es dir was ausmachen, wenn..."
Tot. Kein Rauschen, kein nichts. Komplette Stille. Ich sah auf meinen Bildschirm. Handy leer. Klappe zu, Affe tot. Wie konnte man denn so viel Pech haben?
Am liebsten hätte ich geheult, oder geschrien. Da gab es nur eins: zurück marsch marsch. Wie ich die Zeit jetzt totschlagen wollte, keine Ahnung, denn am liebsten würde ich nicht nach Hause zurückkehren und zugeben, dass ich versagt hatte, mich Oma Yolandas Standpauke unterziehen. Das war so, wie wenn man beim Brennball unter großem Gejohle verbrannt wurde, nachdem man zu viel riskiert hatte und sich wieder demütig hinten anstellen musste.
Doch als ich auf dem Rückweg an der Schnittlauchstraße vorbeiging, kam mir eine zündende Idee: Kenny! Oh Mann, wie konnte ich nur Kenny vergessen? Die stellte nie zu viele Fragen, weil sie sich selbst schon oft in die unmöglichsten Situationen reinmanövriert hatte. Vielleicht ein Kommentar zu meinem Schuhwerk, aber den konnte ich verkraften. Ich war ja nicht aus Zucker.
Klar, dass ich sofort einbog, bis zu ihrem Haus rannte, weil ich es so eilig hatte und so beschwingt von meiner guten Idee war und hektisch auf die Klingel drückte.
Nach einer Ewigkeit machte endlich jemand auf. „Hallo?", knarzte jemand in die Sprechanlage. „Ich bin's, Lucy!"
Ich ging zügig die paar Stufen hoch, zum Glück wohnte sie im Untergeschoss. Kendall sah aus, als wäre sie gerade erst aufgestanden. Ihre Haare waren zu einem unordentlichen Dutt hochgebunden, aus dem alle herausstanden, sie hatte kaum die Augen offen und trug ein Sweatshirt von Victorias Secret und eine Jogginghose.
„Äh, sorry. Ich wollte nicht stören...", murmelte ich. „Du kannst froh sein, dass ich überhaupt aufgemacht hab!", stöhnte sie. „Ich hatte Nachtdienst, aber ich warte gerade auf ein Paket. Aber, jetzt komm' ruhig rein. Nee, Quatsch, musst dir Schuhe nicht abputzen."
Ich versuchte, die Störung durch übertriebene Freundlich-und Höflichkeit wettzumachen, deshalb hatte ich mir die Puschen an der verwitterten „Welcome" Türmatte abgewischt.
Kendall schien so müde zu sein, dass sie gar keinen Kommentar zu meinem Schuhwerk abgegeben hatte.
„Also", sie fläzte sich auf die Couch, „was gibt's? Ist wieder was mit Anwar?" Ihr Gesichtsausdruck wurde ernster.
„Hm, nee." Jetzt hieß es, alles abwägen, was ich sagte. Ich musste ihr genug Informationen füttern, damit sie die Dringlichkeit kapierte, aber nicht genug, dass ihr alles komisch vorkam und sie sich einmischte. Eine schwere Aufgabe.
Deshalb entschied ich mich für eine Notlüge.
„Äh, ich muss' ganz dringend zum Tag der offenen Tür von 'ner Freundin. Das hab' ich der felsenfest versprochen! Und jetzt hab' ich den Bus verpasst, und..."
Setzen, sechs. Wie sollte das denn die Dringlichkeit vermitteln? Jetzt würde Kendall sich bestimmt nur ausgenutzt fühlen und daran zweifeln, ob ich sie noch alle hätte.
Ihr Gesichtsausdruck sagte schon „Nein", sie brauchte gar nichts mehr zu sagen.
„Okay", seufzte ich. „Sorry für die bekloppte Geschichte, aber mir ist das alles so furchtbar unangenehm!"
Jetzt, wo sie sah, dass ich zur Wahrheit wechselte, wurden auch ihre Gesichtszüge weicher. Sie gähnte.
Da begann ich und erzählte ihr von Zayns Verschwinden und vom Telefonat mit meiner Mom. Drückte ein bisschen auf die Tränendrüse, weil Kendall nicht so aussah, als hätte sie Lust, sich irgendwo hin zu bewegen.
„Hm", machte Kendall. „Das tut mir alles leid, aber, du musst verstehen, ich muss dringend pennen. Sonst leg' ich mich auf der Arbeit wieder hin, und, du willst nicht wissen, was los ist, wenn die Phasocle das erfährt! Das war verdammt knapp, sie hätte mich fast erwischt!" Sie lachte verbittert.
„Ich hab' allerdings noch ein Fahrrad in der Garage."
Als sie sah, dass ich enttäuscht aussah, legte sie schnell nach. „Ein motorisiertes, natürlich! Die gehen ab wie Schmidts Katze. Damit bist du im Nullkommanichts da!"
Sie grinste. „Endlich mal eine nützliche Anschaffung, hab' ich mir von meinem ersten Gehalt gekauft. Komm, wir gehen in den Keller."
Als sie fast gegen den Türrahmen taumelte, war ich froh, dass sie mich nicht fuhr. Bei ihr im Wagen hätte ich mich nicht sicher gefühlt.

Hey Leutz
Endlich hat Lucy einen fahrbaren Untersatz 😂 sorry dass das so lange gedauert hat aber mir ist nichts eingefallen 😂✌🏼 ich wollte es spannend machen haha
Und was sagt ihr zur Lösung? Kommt Lucy jz an? 🤔 und was findet sie in der Schule vor? Hautz in die Kommis 🤩🤩🤩
1 schönen Tag noch 🧡✌🏼
Eure Mila 🦄💓

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