Zwiegespalten

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Am nächsten Morgen überdeckte ich die Hämatome an meinem Hals und betete das es nicht mehr lange dauern würde, und die Flecken würden der Vergangenheit angehören. Gerade als ich meine Hände wusch, um die Make-up Reste zu entfernen, als mein Handy anfing zu klingen. „Petrowa?", meldete ich mich. „Hallo. Polizeioberkommissar Richter hier. Spreche ich mit Frau... Petr... Petroo...", stellte sich Herr Richter vor. „Ja, hier ist Daria Petrowa. Petrowa. Wie man es liest.", klärte ich ihn auf und zog mir meine Straßenschuhe an. „Das trifft sich gut. Ich müsste sie nämlich bitten heute zu uns auf unser Revier zu kommen. Sie müssten noch einmal aussagen.", informierte er mich. „Ich muss bis 15 Uhr arbeiten. Ist es für Sie okay, wenn ich um 16 Uhr da bin?", fragte ich und packte die letzten Sachen in meine Arbeitstasche. „Klar. Sie finden mich im Büro 11. Wache Nord. Bis später. Und einen schönen Arbeitstag", verabschiedete er sich und legte auf.

Am Vormittag gab es zum Glück keine neuen Überraschungen, das änderte sich aber, als meine Kollegin und ich beschlossen, mit den Kindern etwas an die frische Luft zu gehen. Kaum hatten sie die Gruppe verlassen, hörte ich hinter mir die Tür zugehen.
Ich dachte erst, sie Tür sei wegen dem Wind zugeschlagen und packte weiter einige Gläser und eine Flasche Wasser auf ein Tablett. Als ich mich damit umdrehte, ließ ich es beinahe fallen.
An der Tür stand Ela und funkelte mich böse an. Einige Sekunden blieben wir so stehen, bis ich meinen Schultern hob und versuchte möglichst selbstbewusst auszusehen. Es schien aber nichts zu bringen, den Ela kam einige Schritte auf mich zu, sodass wir beide mit unserem Oberkörper das Tablett berührten.
Sie nahm ein Glas hielt es ins Sonnenlicht. „Wenn du nicht deine Anzeige zurück ziehst, dann endest du wie dieses wunderschönes Glas hier.", flüsterte sie und zerquetschte das Glas in ihrer bloßen Hand. Immer noch bemüht selbstbewusst auszusehen sah ich ihr in die Augen. Ela lächelte nur triumphierend und verließ die Gruppe.
Ich stand einige Minuten und starrte die Scherben an. >Das kann nicht ihr Ernst sein!<, dachte ich und begann mit zittrigen Händen die Scherben aufzusammeln.

Nachdem ich die Gruppe aufgeräumt hatte und die letzten Kindern von ihren Eltern abgeholt wurden, machte ich Feierabend.
Ich hatte noch nicht einmal den Parkplatz betreten, als ich merkte das irgendetwas mit meinem Auto nicht stimmte. Die Befürchtung bestätigte sich, als ich vor dem Wagen stand, sah ich das jemand meinen Reifen zerstochen hatte. 'Ich gebe dir eine Woche. Sonst siehst du das nächste mal nicht, wo mein Messer war!', stand auf einem Zettel der an dem Messer befestigt war, das in meinem Reifen steckte.
Glücklich darüber, das mein Vater mir beigebracht hatte, Reifen zu wechseln. Etwa 15 Minuten später hatte ich, dank eines Ersatzreifens im Kofferraum, den zerstochenen Reifen gewechselt. Den Zettel habe ich zusammen mit dem Messer in eine Tüte gesteckt und diese dann tief in meiner Arbeitstasche vergraben.
Aufgrund des Feierabendverkehrs kam ich fünf Minuten zu spät an der Wache Nord an. Am Empfang teilte man mir mit, das Herr Richter noch in einem Fall beschäftigt war und schickte mich zum Büro 01. Nach einigen Minuten suche stand ich vor der Bürotür. Ich klopfte an und sah mir, während ich auf eine Antwort wartete, das Schild an, das an der Wand befestigt war. 'K. Wiebel. M. Fuchs', stand darauf. Gerade als ich überlegte ob es wohl Beamte oder Beamtinnen waren, hörte ich von innen ein „Herein".
Zögernd betrat ich das Büro. Es war größer als ich dachte. Durch die zwei großen Fenster war es auch hell. In der Mitte des Raumes standen zwei Tische, einer von ihnen war voller Akten und loser Zettel und einigen Tassen. Der andere war aufgeräumt und sah wie frisch lackiert aus.
„Ich nehme an Sie sind Frau...", der ältere Mann sah kurz auf seinen Pc, „Petrowa sein.". „Genau.", antwortete ich und ging auf ihn zu.
Nachdem ich auf einem der Stühlen Platz genommen hatte, stellte sich der Beamte vor. „Mein Name ist Wiebel. Ich danke ihnen, das sie heute her gekommen sind. Sicher haben sie mit Herrn Richter oder Herrn Matheäus gerechnet, die beiden sind aber gerade in zwei Fällen eingespannt und können gerade nicht hier sein. Das verstehen sie sicher.". Als ich nickte, fuhr er fort. „Aber ich bin mir sicher, das wir beide das auch schaffen werden.".
Bevor er auch nur eine Frage stellen konnte, klopfte es an der Tür und ein weitere Beamter ins Büro. „Guten Tag. Mein Name ist Fuchs. Tut mir leid das ich störe, ich brauche nur eben eine Akte.", stellte er sich vor und durchwühlte gleich seinen Schreibtisch.
„Ich glaube kaum das du bei deinem Chaos was finden wirst.", zog Herr Wiebel seinen Kollegen auf. Der konterte, ohne von seinem Tisch aufzusehen „Nicht jeder ist so ein Streber wie du. Immerhin bin ich auch noch auf der Straße unterwegs.".
Ohne weiter auf diese Bemerkung einzugehen begann Herr Wiebel mit meiner Befragung.
„Bitte erzählen sie was vorgefallen ist.", bat er mich und ließ seine Finger über die Tastatur schweben. Bereit jedes Wort meinerseits einzugeben. „Also... vielleicht ist es ja auch nicht so schlimm.", murmelte ich. Herr Fuchs, der eigentlich gerade das Büro verlassen wollte, drehte sich um. Er und Herr Wiebel sahen sich kurz an. „Was meinen sie mit nicht so schlimm?", fragte der Hauptkommissar und sah mich fragend an. „Naja, ich war sauer auf sie. Und hab alles erfunden.", nuschelte ich und sah auf meine Fußspitzen. Ich befand mich im Zwiespalt. Entweder ich handelte gegen meine Prinzipien oder riskierte mein Leben. „Frau Petrowa. Verstehen sie das ich fragen muss, aber werden sie erpresst?", hakte Herr Fuchs nach, der mittlerweile neben seinen sitzenden Kollegen getreten war. Ertappt sah ich auf, versuchte es aber mit einem unschuldigen Lächeln zu überspielen. „Nein. Es ist alles okay.", versuchte ich mit selbstbewusster Stimme die Beamten zu überzeugen. „Also nehme ich meine Anzeige zurück. Ich sah das die beiden Herren einen viel sagenden Blick austauschten. „Wir können sie zu nichts zwingen. Aber denken Sie bitte nach. Laut den Sanitätern und meinen Kollegen muss da etwas passiert sein.", versuchte Herr Wiebel mich von meinem Vorhaben abzubringen. „Dann bin ich wohl eine gute Schauspielerin.", gab ich zur Antwort.
Herr Fuchs kniete sich vor mich hin und legte eine Hand auf meinen Oberschenkel. „Frau Petrowa. Ich bitte Sie. Das können sie doch nicht ernst meinen. Ich sehe es ihnen an, das etwas nicht stimmt.", versuchte nun auch er mich zu überzeugen meine Anzeige bestehen zu lassen. „Ich kann verstehen, dass sie Angst haben. Aber ich verspreche ihnen, ihnen wird nichts passieren.".
Zögernd nahm ich meine Tasche und stand auf. „Ich glaube es ist besser wenn ich jetzt gehe.", erklärte ich und ging auf die Tür zu. „Frau Petrowa. Sie arbeiten doch in einem Kindergarten. Entschuldigen Sie, wenn ich falsch liege, aber ihre Kollegin wurde doch nicht das erste mal handgreiflich oder? Hat sie schon einmal einem Kind weh getan? Wenn wir jetzt nicht handeln, kommt vielleicht das nächste Mal jede Hilfe zu spät. Sie wird nicht einfach aufhören, weil Sie ihre Anzeige zurück gezogen haben. Sie wird es als Bestätigung sehen und immer weiter machen.", versuchte es Herr Wiebel ein letztes Mal. Meine Hand lag schon auf der Türklinke. Ich atmete einmal tief durch und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Der Beamte hatte Recht. Ich konnte es nicht zulassen, das Ela einem unserer Kinder weh tat. Aber wenn ich die Anzeige nicht zurück zog, würde Ela mich vielleicht umbringen. Nein, sie würde mich umbringen. Mittlerweile liefen mir Tränen die Wangen hinunter. Ich wischte mir mit dem Handrücken über die Wangen und drehte mich um. „Tut mir leid die Herren zu enttäuschen, aber es ist nichts passiert.", presste ich zwischen meinen, zu einem krampfhaften Lächeln verzogenen, Lippen hervor und verließ so schnell ich konnte das Büro.

Ich schämte mich so von mir selber. Wie ein kleiner Hund hatte ich den Schwanz eingekniffen und war geflüchtet. Ohne es zu merken, lief ich durch den angrenzenden Park.
Um wieder etwas runter zu kommen setzte ich mich auf eine Parkbank und schloss die Augen. 'Wieso hab ich den Beamten nicht einfach die Wahrheit gesagt?', war das letzte das mir durch den Kopf schoss, bevor mir ein Tuch ins Gesicht gedrückt wurde und ich, obwohl ich mich mit Händen und Füßen zu wehren versuchte, langsam das Bewusstsein verlor.

Erst wenn man ganz unten ist, weiß man was wichtig ist. Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt