Er ist nicht hier.

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Evtl musste ich gerade ein paar Tränen verdrücken bei dem Kapitel dass ich gerade schreiben. Aber da war ich nicht die einzige. Also haltet schon mal ein paar Taschentücher bereit, wenn ihr das Kapitel 48 lest. Und sagt dann nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.
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„Hallo Daria. Schön dich wieder zu sehen.", begrüßte mich Daniel, „Was machst du hier?". Ich ging nur stumm an ihm vorbei, geradewegs in das Büro von Stephan und Paul, setzte mich in die hinterste Ecke und blickte starr geradeaus. „Frag nicht.", wand sich Paul an Daniel, der gerade schon zu einer Frage ansetzen wollte. „Braucht ihr Schokolade? Ich bin mir sicher dass Flo noch was da hat.", fragte Daniel und sah Paul mitleidig an. Bevor er aber was sagen konnte zog Stephan ihn weiter und sah Daniel sauer an.
Als die beiden in ihr Büro brauchten sie einen Moment bis sie mich fanden. Paul kam zu mir, setzte sich neben mich und blieb stumm. Stephan setzte sich an seinen Schreibtisch und bearbeitete ein paar Akten. Irgendwann wurde ich müde und schlief ein.

„Daria, komm wach auf. Wir fahren heim.", hörte ich Paul sagen. Langsam und etwas wiederwillig öffnete ich meine Augen. Im Büro war es stockdunkel ich hatte also eine ganze Zeit lang geschlafen. „Wie spät ist es?", flüsterte ich. Paul setzte sich neben mich und sah auf sein Handy. „Es ist Mitternacht.", Ich lehnte mich an ihn und schloss erneut die Augen. „Es tut mir so leid Daria. Ich verstehe einfach nicht, warum man dir so viele Steine in den Weg legt.", flüsterte er. „Es ist nicht deine Schuld. Irgendwas muss ich ja falsch machen. Vielleicht hab ich es verdient.", antwortete ich, weiterhin flüsternd. „Denk so was nicht mal spaßeshalber.", ermahnte mich mein Freund. Ich brummte nur, wohlwissend dass eine Diskussion zu nichts führen würde.
„Ich hab alle Akten bearbeitet, sogar die von Stephan. Aber mehr hab ich nicht zu tun. Und im Grunde hab ich schon seit acht Stunden Feierabend.", erklärte Paul und ich setzte mich schlagartig auf. „Du hast seit acht Stunden Feierabend und hast mich nicht geweckt damit wir heim können?", stellte ich ihn zur Rede. Paul fuhr sich mit der Hand durchs Haar: „Du sahst so süß aus wie hier in der Ecke geschlafen hast. Also hab ich dich zugedeckt und hab meinen Aktenberg abgearbeitet. Stephan ist vor zirka vier Stunden heim gefahren.". Ich stand auf und hielt Paul meine Hand hin, „Lass uns heim gehen.".

Schlaflos wälzte ich mich im Bett umher. Es lag vielleicht daran, dass ich schon in Pauls Büro geschlafen hatte oder auch an dem Gedankenkarussell in meinem Kopf, aber ich konnte nicht abschalten. Paul schlief schon seit einiger Zeit tief und fest, sodass er es nicht mitbekam wie ich aus dem Bett steig, mir den erstbesten Pulli griff und aus dem Raum ging.
Ich brauchte frische Luft und hoffte dass der kalte Wind draußen die Gedanken aus meinem Kopf blasen würde. Um nicht zu erfrieren nahm ich noch eine Decke vom Sofa mit und setzte mich draußen auf die Terrasse auf einen der Liegestühle.
Ein paar Minuten saß ich still da und sah hoch zu den Sternen. Der Himmel war sternenklar und der Mond schien riesig zu sein. Ein paar mal zog ich die frische Luft tief in meine Lungen. Als ich das Gefühl hatte dass meine Gedanken langsamer wurden, ging ich noch einmal in das Haus, holte einen Block und ein paar Stifte und setzte mich wieder nach draußen.
Durch die Terrassenbeleuchtung hatte ich genug Licht um meine Gedanken zu Papier zu bringen.
Insgesamt drei Doppelseiten später ließ ich den Stift sinken. Ich dachte nicht dass ich so viel schreiben würde, aber ich habe jeden Gedanken der durch meinen Kopf ging, aufgeschrieben. Wie es mit Ela anfing und was sie bisher alles getan hatte. Wie ich dadurch Paul kennenlernte. Wie er mir durch die schwersten Stunden in meinem Leben geholfen hat ohne mich irgendwie zu verurteilen oder als schwach oder kaputt abzustempeln. Wie dankbar ich ihm dafür war. Einfach alles.
Als ich von den Zetteln hochsah, färbte sich der Himmel über mir schon hellblau und die Vögel sangen ihr Lied. Die Siedlung und auch das Haus hinter mir schien immer noch selig zu schlafen. Das Aufschreiben meiner Gedanken hat mich zwar etwas beruhigt, aber schlafen konnte ich dennoch nicht. Also stopfte ich die Zettel, klein gefaltet in meine Pyjama-Tasche und nahm mein Handy in die Hand.
Ich scrollte mich durch Instagram Beiträge von Promis und Menschen die dachten sie wären welche. Auch ein die Post einiger Freunde sah ich. Eine alte Freundin von der Berufsschule hatte ihr drittes Kind bekommen. Eine weitere hatte geheiratet und mein ehemaliger Nachbar hatte mal wieder ein Foto von sich vor seinem Sportwagen gepostet. Gerade als ich die Kommentare darunter lesen wollte, bekam ich die Facebook-Pushup-Meldung dass man mich dort zu einer Gruppe hinzugefügt hatte. Irritiert klickte ich drauf und sah dass es um ein Klassentreffen meiner Grundschulklasse ging. Eigentlich wollte ich gerade wieder austreten, als ich hörte wie sich die Trassentür hinter mit öffnete. Paul kam schlurfend auf mich zu und ließ sich auf dem Stuhl neben mir nieder. „Schon lange wach?", brummte er und verschränkte die Arme vor seiner Brust um sich zu wärmen. „Ach nein, vielleicht eine Stunde oder so.", ich wusste selber nicht warum ich Paul schon wieder anlog. Die Worte rutschten einfach raus. „Dari...", Paul sah mich kopfschüttelnd an. „Ich konnte nicht schlafen. Also bin ich hier raus und hab gehofft dass der Wind mir die Gedanken aus dem Kopf pustet.", erklärte ich. Paul nickte wissend und sah hoch in den Himmel. „Ist schon ne Weile her als ich das letze Mal so früh hier draußen saß.", fing er an. „Das letzte mal als ich völlig besoffen von einer Party kam und nicht wollte dass meine Oma mich so sah. Also hab ich hier draußen geschlafen.". „Bitte was? Der tapfere Paul Richter hatte Angst vor seiner Oma?", lachte ich und reichte Paul die Decke in die ich bis vor kurzen gehüllt war. Er lachte auf: „Glaub mir, sie sah aus wie die liebe Omi von nebenan, aber die konnte mit dem Nudelholz umgehen.". Er sah kurz in mein erschrockenes Gesicht. „Nein. Sie hat mich nie geschlagen. Aber sie hat es etliche Male angedroht.". Lächelt sah er wieder hoch in den Himmel. „Ich vermisse die beiden immer noch jeden Tag.".
Einige Minuten blieben wir still nebeneinander sitzen, sahen in den immer blauer werdenden Himmel und hingen unseren Gedanken nach.

„Was hälst du davon, wenn wir uns heute endlich um die Füllung deines Bücherregales kümmern?", fragte Paul mich als wir nach innen gingen um uns mit einer Tasse Kaffe auszuwärmen. „Musst du nicht arbeiten?", fragte ich und holte zwei Tassen aus dem Schrank. „Nein, ich hab die nächsten zwei Tage frei.", erklärte Paul und drückte ein paar Knöpfe an dem Kaffeevollautomaten. Sofort war die Küche gefüllt mit dem wohltuenden Kaffeeduft.
„Lass uns frühstücken gehen.", schlug Paul weiter vor, nachdem er einen kurzen Blick in den Kühlschrank geworfen hatte. „Hast du vergessen einzukaufen?", neckte ich ihn und nahm einen Schluck Kaffee. „Naja, zu meiner Verteildigung, sonst hab ich nie was zu essen daheim. Er seitdem du da bist.". Ich sah ihn gespielt traurig an: „Ich bin Schuld?" jammerte ich und unterdrückte ein Lächeln. „Du bist echt eine Spinnerin, Daria.", lachte Paul und warf mich mit einem Küchenhandtuch ab.

Nachdem der letze Tropfen Kaffee aus dem Tassen getrunken waren, zogen wir uns um und fuhren in die Stadt. Dort setzten wir uns in ein kleines Cafe und bestellten was zu essen. Obwohl ich mich bei Paul immer sicher fühlte, blickte ich mich aber immer wieder unsicher um und sah mir jeden Mann der an uns vorbei kam ganz genau an. Paul schien mein Verhalten zu ignorieren und fing an mit mir über das Wetter zu reden. Irgenwann nahm er meine Hand und streichelte sanft mit dem Daumen über meinen Handrücken. „Er ist nicht hier. Und wenn, dann werde ich schon mit ihm fertig. Ich werde nicht zulassen dass er dir noch einmal was antut.", flüsterte er und sah mir mit seinen grau-blauen Augen tief in die Augen. In seinem Blick gefangen atmete ich den Atemzug aus, von dem ich nicht wusste dass ich ihn angehalten hatte.
Dankbar lächelte ich ihn an, während der Kellner unser Essen auf dem Tisch drapierte.
Genüsslich aßen wir die Brötchen, den Aufschnitt und auch die Eier auf, und fachsimmpelten wie viele Bücher wohl in das Regal passen würden. Und welche Bücher man unbedingt gelesen haben musste.
Paul bezahlte, auch wenn ich mich dagegen wehren wollte, und wir gingen Hand in Hand in die Buchhandlung.

Erst wenn man ganz unten ist, weiß man was wichtig ist. Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt