„Ach scheiß drauf."

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„Daria komm schon. Du hast die Tasche in der letzten Woche drei mal gepackt. Meinst du nicht das reicht?", Paul stand inmitten des Wäscheberges, im Kinderzimmer, und sah mich verzweifelt an. Es war früher vormittag und nachdem Paul und ich am vorigen Abend noch ewig über mögliche Namen diskutiert hatten, konnte ich nicht mehr schlafen. Daher hatte ich noch mal checken wollen ob ich wirklich alles in der Kliniktasche hatte und hatte in Folge dessen alles ausgepackt und vor mir ausgebreitet. „Was denn? Ich wollte doch nur sicher gehen ob alles drin ist.", erklärte ich und fing an die kleinen Bodys sorgfältig zusammenzufalten. „Das wolltest du die letzten beiden Male auch. Und dann saßt du hier drei Stunden und hast die Sachen etliche Male gefaltet.", seufzte mein Ehemann und hockte sich neben mich. „Es muss halt alles perfekt sein für Krümel.", ich sah Paul kurz an und griff dann nach dem nächsten Body. „Es ist bereits alles Perfekt.", sanft nahm Paul meine Hände in seine und drückte sie an seine Brust. „Aber...", fing ich an zu widersprechen, Paul brachte mich aber mit einem Kuss zum Schweigen. „Komm, es ist noch nicht so heiß draußen. Lass uns auf der Terrasse frühstücken und ganz entspannt in den Tag starten, bevor ich zur Spätschicht muss, ja?", Paul sah mich so liebevoll an, dass ich ihm nicht widersprechen konnte.

„Gute Idee. Dann kann ich heute Abend schon mit dem Packen für unsere Flitterwochen beginnen.", freute ich mich als wir in der Küche ankamen. „Dann weiß ich was ich Jule und Hannah später sagen werde.", brummte Paul und schob mich auf die Terrasse. „Was denn, besser zu früh als zu spät. Die Zeit läuft und wer weiß was noch dazwischen kommt.", gab ich zu bedenken und setzte mich an den Terrassentisch. „Es wird nichts mehr dazwischen kommen. Wir fahren in zwei Wochen los und genießen die verbliebene Zeit zu zweit.", rief Paul aus der Küche und ich hörte ihn mit dem Geschirr klappern. „Das werden wir auch, wenn ich alles dabei habe.", rief ich zurück und hielt mein Gesicht mit geschlossenen Augen in das Sonnenlicht.
Sanfter Kaffeeduft stieg in meine Nase und ich öffnete meine Augen. „Wie hast du das denn geschafft?", verwundert sah ich auf den gedeckten Tisch vor mir. Paul lies seine Zeitung sinken und ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen. „Als du deinen Schönheitsschlaf gehalten hast.", erklärte er und biss von seinem Brötchen ab. „Aber immerhin gibt es Kaffee.", ich wollte nach der Tasse greifen, aber Paul war schneller. „Für dich gibt es deinen Schwarztee.", erklärte er und schob mir die andere Tasse hin. Da ich wusste das Paul nur das beste für mich wollte, widersprach ich ihm nicht und nahm einen Schluck vom lauwarmen Tee.


In der Zwischenzeit waren etliche Stunden vergangen und nun saßen Hannah und Jule auf unserem Ehebett und ich hielt ihnen immer wieder ein paar Kleidungsstücke hoch. „Also ich würde das schwarze Shirt nehmen.", entschied Hannah gerade als es an der Tür klingelte. „Es ist halb acht, wer kommt jetzt denn noch?", gefolgt von meinen Freundinnen ging ich ins Erdgeschoss und öffnete die Tür. „Gute Abend, verzeihen Sie die späte Störung. Ich komme vom Kurierdienst Berg und habe eine Lieferung für die Eheleute Richter.", kaum hatte ich die Tür geöffnet redete der Mann auf mich ein. „Ich bin Frau Richter.", erklärte ich völlig überrumpelt. „Bitteschön.", er drückte mir einen großen Briefumschlag in die Hand, „Hiermit ist die Sendung zugestellt.". Kaum hatte der Umschlag seine Hände verlassen, drehte er sich um und lief zu seinem Fahrrad. Den Blick auf den Umschlag gerichtet, schlug ich die Eingangstür zu und schlurfte in die Küche. „Was war denn?", Jule stand an der Kücheninsel und wusch gerade ein paar Tomaten ab. „So spät noch Post?", wunderte sich Hannah die ebenfalls an der Kücheninsel stand. „Das war ein Kurierfahrer. Das ist für Paul und mich. Vom Familiengericht.", murmelte ich und wäre fast gegen die Kücheninsel gelaufen, hätte Hannah mich nicht aufgehalten. „Dann mach es doch auf.", Jule stellte den Wasserhahn ab und trocknete ihre Hände ab. „Nein, ich will damit auf Paul warte. Immerhin ist das ein Brief für uns beide.", erklärte ich und legte den Brief auf die Arbeitsplatte. „Na gut. Aber wir machen trotzdem eine Pause vom Koffer packen. Ich hab totalen Hunger.", kam es von Hannah die eine der Tomaten vor Jule klaute. Gemeinsam machten wir einen Salat und aßen diesen dann draußen auf den neuen Gartenliegen, denn obwohl es schon später am Abend war, war es noch angenehm warm draußen.
„Jetzt mal Butter bei die Fische, ihr müsst doch einen Namen für euren Sohn haben.", Hannah warf mir einen kurzen Blick zu und sah dann wieder in den Himmel. „Wir haben drei in der Auswahl, aber verraten sie keinem.", erklärte ich und spürte direkt die Blicke von beiden Polizistinnen auf mir. „Komm schon Daria. Wir sind doch deine Familie.", bettelte Jule und setzte sich auf. „Trotzdem behalte ich die Namen für mich. Nur soviel, sie standen auf unserer Liste.", blieb ich hart und stand auf, „Ich hole mir jetzt was zu trinken. Wollt ihr auch was?". Nachdem ich von ihnen die mittlerweile leeren Salatschalen und die Getränkewünsche entgegengenommen hatte, ging ich ins Haus zurück.
Während ich die Schalen in der Spülmaschine verstaute glitt mein Blick immer wieder zu dem gelben Briefumschlag, der noch auf der Kücheninsel lag. „Da wird bestimmt nur was für dich drin sein, Krümel.", versuchte ich mich selber zu beruhigen als ich wie ferngesteuert auf den Umschlag zuging. „Ich meine was sollte sonst vom Familiengericht kommen?", murmelte ich und starrte auf die Arbeitsplatte als könne ich, mit genug Konzentration, durch den Umschlag sehen und die Briefe lesen. „Ach scheiß drauf.", gab ich auf und nahm den Umschlag in die Hände und riss die Klebelasche auf der Rückseite auf. In Erwartung gleich die ersten Papiere für meinen Sohn in den Händen zu halten, zog ich die Dokumente aus dem Umschlag.
„Sehr geehrte Frau Richter, Sehr geehrter Herr Richter...", begann ich leise vorzulesen, verstummte aber als ich die darauf folgenden Wörter las. Irritiert schüttelte ich meinen Kopf und las den ersten Absatz des formellen Briefes immer und immer wieder. Ich war so vertieft dass ich gar nicht merkte wie Jule und Hannah nach einiger Zeit besorgt ins Haus kamen und mich aufgelöst an der Kücheninsel stehen sahen.
„Daria? Was ist los?", Hannah legte mir sanft ihre Hand auf den Unterarm. Jule trat auch neben mich und warf einen Blick auf den Zettel in meiner Hand um mich dann geschockt anzusehen.

Erst wenn man ganz unten ist, weiß man was wichtig ist. Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt