Kapitel 1: Die Zeit nach dem Krieg

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Kleine präzise Striche flogen über die Seite, das Granit im Holz wurde über das weiche Papier geschwungen, ein leises Kratzen durchschnitt die von Honig und Tulpen geschwängerte Luft unter dem großen Baum.
„Du bist so hübsch... nur noch ein wenig stillhalten", Hermine Granger sprach leise mit dem Vogel auf dem Ast in ihrer unmittelbaren Nähe, der schon seit vielen Minuten still vor ihr saß und sie mit drehendem Kopf musterte, er schüttelte seine Federn auf und flog mit schnellen Schwingen davon, „nein!", sie seufzte leicht, „du kannst nie warten", wehmütig sah sie ihm hinterher, ein kleines Lächeln schlich sich auf ihre Züge.
Die Skizze des Vogels würde sie bald fertig haben, sie widmete sich der stillhaltenden Natur um sie herum und brachte verschiedenen Pflanzen auf das Papier ihres Skizzenbuchs.
Seitdem der Krieg gegen Voldemort und die Todesser durch Harry beendet wurde war ihr Leben ruhig geworden. Sie war seit dem Tag und dem Kuss von Ronald in der Kammer des Schreckens mit ihm zusammen, es war ein anderes Zusammenleben als in Hogwarts, alle drei wurden als Helden gefeiert, der 2. Mai wurde als Feiertag in der Zaubererwelt festgehalten.

Hermine wurde neben der Freude, die sie über das Ende des Krieges empfand, immer wieder in weitaus dunklere Gedanken gezogen. Trotz des ganzen Guten mussten sie alle schwere Verluste verkraften.
Fred, Tonks und Remus wurden während der Schlacht getötet, der Abschied ihrer Freunde tauchte Hermine regelmäßig in tieftraurige Phasen, in denen sie Zuflucht in der Natur suchte.
Harry erzählte ihnen am Tag nach der Schlacht von den Erinnerungen, die Snape ihm in den letzten Sekunden seines Lebens gegeben hatte.
Als Hermine das allumfassende Geheimnis der Person Severus Snape erfahren hatte brach sie erneut in Tränen aus:
Er hatte Harry Ron und sie all die Jahre beschützt, hatte für das Gute gekämpft und strickt nach Dumbledores Anweisungen gehandelt. Der Mord an seinem Mentor und Schulleiter von Hogwarts war geplant, Snape war gestorben damit Harry den Krieg beenden konnte, damit Lily Potters Sohn nicht sterben würde. Alles was er tat, wie er war, was er war, war eine Hommage an Lily Potter, in die er Zeit seines Lebens verliebt war. Er gab sich die Schuld für ihren Tod, jahrelange Schuldgedanken und Selbsthass quälten ihn, in Harry sah er nicht nur Lily, sondern auch James, was die unübersehbare Abneigung erklärte. Hermine wusste, sie würde seine letzten Worte an Harry nie vergessen und mit der Geschichte dahinter schmerzte diese Tatsache umso mehr.
„Du hast die Augen deiner Mutter", nie würde sie seine sonore schwindende Stimme vergessen, die Liebe, die in seinen Augen lag, der Frieden, den er endlich gefunden hatte.

Sie lehnte ihren Kopf an den Stamm des großen Baumes, an dem sie saß und wieder in Melancholie versank.
Es waren mittlerweile sieben Monate vergangen, sieben Monate voller Alpträume, die Hermine in jeder Nacht heimsuchten und tiefgreifende, wiederkehrende trübe Gedanken.
Ron und Harry konnten es nur mäßig verstehen; natürlich waren sie traurig, dass Fred, Remus und Tonks gestorben waren, Teddy wuchs nun wie Harry selbst ohne Eltern auf, aber sie verarbeiteten das Ganze sehr viel besser als Hermine.
George hingegen war ebenso trübselig wie sie, sie sah ihn oft allein im Garten sitzen, er starrte vor sich hin und wollte dem allumfassenden Trubel aus dem Weg gehen, der sonst im Fuchsbau Gesetz war.
Hermine glaubte George hatte sein Gegenstück verloren, einen Teil seiner Seele, seine bessere Hälfte.

Um sich von diesen traurigen Gedanken abzulenken flüchtete Hermine immer öfter in den ruhigen Park irgendwo in London. Sie zeichnete die Pflanzen, Bäume und Tiere um sie herum, besonders gern zeichnete sie die Vögel, die sich auf die Äste in ihrer Nähe setzten und sie beobachteten.
Wie gerne wäre sie ebenfalls einfach davongeflogen, raus in die Weite der Welt und des Himmels.
Weg von den Gedanken, Träumen und Erinnerungen, die an jedem Ort, den sie betrat auf sie warteten; egal ob es der Fuchsbau, der Grimmauld Place, ihr eigenes Zuhause oder Hogwarts war. Überall waren Erinnerungen, Gedanken, die die erlebten Bilder wieder in ihren Kopf drängten.

Sie lenkte ihren Blick auf ein Gänseblümchen neben ihr, die kleinen weißen Blütenblätter wurden von dem sanften Wind gestreichelt, der sich durch die Umgebung schlängelte. Sie zog ihren Stift und malte die Pflanze.
Hermine hatte ein Talent das Wesen der Dinge, die sie malte, genau festzuhalten. Sie hauchte ihren Zeichnungen Leben ein, unter der Zeichnung hielt sie jeweils Informationen fest, Größe, Geruch (zumindest bei den Pflanzen und Blumen), Farbe, Beschaffenheit, allgemeine Informationen.
Es war, als würde sie ihre Umgebung festhalten wollen, als hätte sie Angst, dass irgendetwas sie zerstören könnte und sie unwiederbringlich verloren war.
Sie hatte in den vergangenen Monaten viel gezeichnet, Blumen, Bäume, Büsche, Käfer, Bienen, Schmetterlinge, Vögel, Echsen, die merkwürdiger Weise immer öfter um sie herum zu finden waren.
Ron schüttelte immer nur schmunzelnd den Kopf, er verstand einfach nicht, warum sie so auf das Zeichnen und Malen fixiert war, sie hatte es versucht ihm zu erklären, aber es kam einfach nicht an.
Wie gerne hätte sie den Nachthimmel festgehalten, die Schönheit der Sterne, das noble Schwarz des Firmaments, das umfassende Gefühl von Sicherheit wenn die Nacht sich um die Welt legte und alles in Dunkelheit hüllte.
Je länger sie nachts in den Himmel starrte umso trauriger wurde sie, sie sah den hellsten Stern am Himmel, Sirius, und spürte wieder einen verschlingenden Schmerz.
Vielleicht setzte sich Harry deswegen nicht mit der Schönheit der Natur auseinander, er hatte alle verloren, Dumbledore, Sirius, zuletzt noch Remus. Niemand der seine Eltern kannte, war noch am Leben, nicht einmal Snape.

Harry konzentrierte sich auf Ginny und auf seine berufliche Zukunft. Er wollte unbedingt Auror werden, auch wenn er vermutlich in den nächsten Jahren wenig zu tun haben würde, Ron wurde durch seine Zielstrebigkeit mitgezogen. Auch er bewarb sich in der Aurorenzentrale, seit einigen Monaten hatte ihre Ausbildung gestartet.
Sie mussten morgens früh los und kamen am späten Nachmittag wieder, Ron erzählte viel, was Hermine freute, sie war froh darüber, dass die beiden mit ihren Leben weiter machten, dass sie einen Sinn fanden und einer Arbeit nachgingen.
Ginny würde bald zurück nach Hogwarts gehen, sie hatte noch zwei Jahre vor sich bevor sie ihren Abschluss hätte, denn das letzte Jahr welches in Hogwarts unterrichtet wurde, vor dem Fall Voldemorts, musste von allen wiederholt werden. Die Todesser hatten den Schülern die Bildung verwehrt und wichen vom Lehrplan drastisch ab.
Snape versuchte sie so gut es ging in Schach zu halten, das hatte McGonagall ihnen später erzählt, er vermied es die Schüler durch die Todesser foltern zu lassen soweit er konnte, das ein oder andere Mal konnte er es allerdings nicht verhindern.
McGonagall, die nach Snapes Tod wieder die Schulleitung übernommen hatte, kündigte an, dass alle das letzte Jahr wiederholen könnten, wenn sie wollten. Sie wollte allen den Abschluss ermöglichen, die ihn machen wollten.
Hermine war jedoch nicht bereit nach Hogwarts zurück zu gehen, sie konnte das Schloss nicht länger besuchen, nicht länger sehen, sie wollte nicht dort wohnen, nicht dort lernen.
Alles, was sie wollte, war das Zeichnen und das Fliegen.

Sie verstaute die Bleistifte und Zeichenblöcke in ihrer Tasche, stand auf, klopfte sich leicht den Schmutz von der Kleidung, sah sich um und apparierte ungesehen zum Fuchsbau.
„Guten Abend Molly", begrüßte Hermine ihre Ersatzmutter, als sie das schiefe Haus betrat und den köstlichen Duft des gekochten Essens wahrnahm.
„Du kommst spät Spätzchen", stellte Molly fest, die Arme in die Hüften gestemmt, dann schüttelte sie leicht den Kopf, ging zu ihr und drückte sie mütterlich an ihre Brust, „hast du wieder den Vogel gemalt?"
„Er hält einfach nicht still...", gab Hermine zerknautscht schulterzuckend zurück.
„Freie Wesen halten nie still", sagte Molly lachend, drehte sich dann zur Arbeitsfläche zurück und kochte weiter.
Hermine zog die Augenbrauen zusammen und dachte über ihre Worte nach, wurde aber schneller als ihr lieb war von Ron aus ihren Gedanken geholt.
Er kam mit einer Schnute die Treppe herunter, linste zu seiner Mutter, die ihn mit dem Ellenbogen wegschob, „du musst noch ein wenig warten Ron."
Hermine schüttelte den Kopf, wie konnte ein Mensch so viel Hunger haben wie ihr Freund?
Mit einem kleinen Lächeln kam der Rothaarige zu ihr, gab ihr einen feuchten Schmatzer auf die Lippen und drehte eine Strähne ihrer Haare um seinen Finger, „wo kommst du her?"
Hermine wischte sich mit dem Ärmel über den Mund, das Talent feuchte Küsse zu verteilen hatte er von Molly geerbt, etwas, was Hermine ganz und gar nicht gefiel, „ich war in dem Park...", sagte sie und lächelte ihn an.
„Achja... Tiere malen", gab er zurück, suchte weiter in dem Haus nach Essen, etwas an seiner Tonlage machte Hermine sauer, es klang als würde er sich über sie lustig machen, aber sie wollte sich jetzt nicht vor Molly mit ihm darüber streiten.

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