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Ich stoppte vor dem Grab und ließ mich einfach auf den Boden sinken. „Was mach ich hier bloß?", flüsterte ich leise zu mir selbst und sah auf den Grabstein vor mir. Völlig außer Atem, versuchte ich erstmal wieder klar zu kommen und brauchte einige Minuten dafür. Es war tatsächlich schon ein wenig länger her, dass ich so einen beinahe Sprint hingelegt hatte. Dementsprechend war es noch anstrengender und zusätzlich die Hitze, machte es auch nicht besser. Obwohl es noch so früh morgens war, konnte man es nicht mehr wirklich als kühl bezeichnen. „Hey mein süßer", flüsterte ich und lächelte leicht. „Ich vermisse dich...". Wie oft hatte ich mir gewünscht ihn wenigstens noch einmal zu sehen, doch diesen Wunsch konnte mir keiner erfüllen. „Ganz ehrlich ich weiß nicht, weshalb ich hier bin. Lenny ich hab mich neu verliebt und dieser Mann liegt zuhause in meinem Bett. Statt bei ihm zu sein, sitze ich jetzt wieder hier vor deinem Grab. Aber...es...ist nunmal dein...der Tag, wo du....". Ich konnte nicht weiter reden. „Fuck Man wieso musste das alles passieren? Ich hätte sterben sollen, nicht du!". Ich zog die Beine an mich ran, legte den Kopf auf die Knie und versuchte mich wieder zu beruhigen. An diesem Tag, jedes Jahr aufs neue, holte mich die Vergangenheit noch mehr ein als sonst. Ich konnte nichts dagegen tun. Obwohl ich gehofft hatte mit Samu wäre es einfacher und ich würde nicht wieder in dieses Loch fallen. Aber dem war nicht so. Trotzdem saß ich jetzt wieder hier, fertig mit den Nerven und wünschte mir Lenny zurück. In den letzten Wochen war es besser geworden, ich hatte mich besser gefühlt. Durch Samu war ich wieder glücklich, ja das war ich wirklich. Aber diesen Tag könnte auch er nicht rückgängig machen und mir das Leid nehmen, was in meinem Innern war. Es war nicht normal, das wusste ich. Und ich dachte daran wirklich mit Samu zu der Therapie zu gehen. Jedoch hatte ich gegoogelt und wir könnten das nicht gemeinsam machen. Das sind zwei verschiedene Sachen, die anders behandelt werden. Und ich wusste, vor Samu würde ich niemals so ehrlich sein können, wie ich es sein musste. Dieses Gefühl wollte er bestimmt nicht haben, wenn ich über meinen verstorbenen Ex reden würde und er genau mitbekommt, wie sehr ich ihn geliebt habe und ihn jetzt vermisse. Zwar wusste er das, aber ich war vor ihm noch nie so zusammengebrochen. Keine Ahnung, wie er damit umgehen würde aber das wollte ich ihm nicht antun. Deshalb war ich auch jetzt hier, damit er es einfach nicht mitbekam. Und hoffte, dass ich den restlichen Tag überstehen konnte ohne das er es mitbekam wie ich dieses Datum hasste. „Weißt du was ich mir überlegt habe? Ich finde du wärst der perfekte Raumgestalter geworden. Immer wenn wir irgendwo an Möbeln oder Deko vorbeigegangen sind, hattest du immer die besten Ideen für unser Haus, was wir mal haben wollten. Ich glaube das wäre der perfekte Job für dich gewesen, damit wärst du bestimmt glücklich geworden", murmelte ich und lächelte dann leicht. Ich saß direkt vor seinem Grab auf den Boden, mittlerweile im Schneidersitz und spielte gedankenverloren mit den kleinen Kieselsteinen auf des Weges. „Ähm...Entschuldigung? Was machen sie denn da?", hörte ich eine mir unbekannte Stimme plötzlich hinter mir. Ich drehte mich erschrocken um und sah eine zierliche junge Frau, nicht älter als Mitte zwanzig schätzte ich. Schnell stand ich auf und beäugte sie. Diese Augen kamen mir bekannt vor und das ganze Gesicht irgendwie auch. Es erinnerte mich an Lenny. Unsicher sah ich zum Grab und zurück zu ihr. „Ich...besuche das Grab von Lenny. Und sie?". „Ja das dachte ich mir. Kanntest du Lenny?", fragte sie und stellte sich neben mich. „Ja", antwortete ich knapp. „Woher? Er ist ja schon lange tot...". Ich seufzte. „Er war mein Freund", murmelte ich. Konnte sie bitte wieder gehen, wer auch immer sie war. Ich wollte allein hier sein, in Erinnerungen schwelgen und an seinem Todestag bei ihm sein. „Riku?", fragte sie plötzlich leise nach einer kurzen Stille. Verwirrt sah ich sie an. „Ja? Äh woher..also?". „Ich...bin...", fing sie an und starrte mich ungläubig an. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. „Emi?", fragte ich und sie nickte zögernd. „Oh mein Gott stimmt! Ich wusste doch ich kenne diese Augen. Bist du groß geworden". Sie lächelte, ihre braunen dunkelblonden Haare gingen ihr etwas über die Schultern, genau wie damals. Bloß hatte sie früher immer irgendwelche Zöpfe. „Wie alt bist du jetzt?", fragte ich. „22, Du?". „32. Wow du warst erst fünf Jahre alt. Und du erinnerst dich an mich?". „Es steht ein Bild von dir und Lenny bei uns in der Wohnung", sagte sie lächelnd. „Oh". „Ja naja du hast immernoch die gleichen Locken und dein Gesicht hat sich garnicht so sehr verändert". „Ja...stimmt schon". Ich seufzte. Es war schön sie zu sehen, aber es war auch ein komisches Gefühl. „Vermisst du ihn sehr?", fragte sie schließlich leise. „Ja...", murmelte ich. „Sehr sogar". Sie nickte. „Du kannst dich garnicht richtig an ihn erinnern wahrscheinlich, oder?". Wieder nickte sie. „Leider. Aber ich weiß, dass es ihn gab und ich erinnere mich an manche Sachen. Ihr beide habt immer auf mich aufgepasst, wir waren auf dem Spielplatz der am weitesten weg war von unserer Wohnung. Aber der war am besten und ich habe ihn geliebt. Und nur ihr seid da mit mir hingegangen, Mama wollte das nie". Ich lächelte, das stimmte. Wir haben alles für die kleine Maus gemacht. „Er war der beste Bruder der Welt... und du warst auch wie ein Bruder für mich", sagte sie leise und sah mich dann an. „Wie gehts dir denn mittlerweile? Was machst du so? Hast du einen Mann oder eine Frau? Kinder? Erzähl mal", fragte sie mich ehe ich antworten konnte. „Ähm ja ganz gut, ich habe einen Freund aber noch nicht so lang. Und nein keine Kinder. Und du so?". „Schön, bist du glücklich?". Ich dachte an Samu und musste trotz den Umständen lächeln. „Schon eigentlich, ja. Es hat sich viel verändert von meinem Leben damals zu heute. Aber ich bin mit meinem Freund glücklich. Aber jetzt erzähl doch mal. Wie sieht's bei dir aus?". Sie schwieg einen Moment. „Mir gehts ok...", murmelte sie. „Wieso nur ok?". „Meine Mama ist nicht mehr so...naja sie hat sich nie wieder erholt von dem Schock. Sie liebt mich und hat sich immer gut in mich gekümmert, aber ich sehe wie sie immernoch leidet. Es kam nie wieder ein Mann in ihr Leben oderso und naja sie ist irgendwie halt...unglücklich. Aber schon okay, wir kriegen das in den Griff. Ich hab keinen Freund nein, aber auch das hat noch Zeit". Sie lächelte und ich nickte. „Vielleicht komme ich euch mal besuchen", murmelte ich. Sie sah mich mit großen Augen an. „Das würdest du tun? Ich glaube sie würde sich sehr freuen, du warst auch wie ein Sohn für sie. Sie...hat euch beide damals an diesem Tag verloren und vielleicht hilft es ihr dich zu sehen". Ich blieb einen Moment still. Keine Ahnung ob ich das wirklich machen sollte. Ich liebte diese Familie, aber ich wusste es würde mir weh tun. Es würde mich zurück in die Vergangenheit ziehen, mehr als eh schon. „Mal sehen", murmelte ich. „Ich muss jetzt los", sagte ich und lächelte sie nochmal an. „Kann ich dir meine Nummer geben? Bitte", fragte sie schnell. Ich seufzte. „Klar", sagte ich und gab sie ihr. „Nur falls du mal vorbeikommen möchtest...". Wieder nickte ich, sah ein letztes Mal auf das Grab, dann in den Himmel und schloss für einen Moment die Augen. „Bis dann mein Engel", flüsterte ich so leise das es Emi vermutlich nicht hören konnte und ging dann langsam nachhause.

Teil 1: „Blackrose" Story🥀 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt