150

150 7 0
                                    

Samu zögerte, atmete tief durch und drehte sich zurück auf den Rücken. Auf der Unterlippe knabbernd sah ich ihn an und wartete ab, bis er etwas sagte. „Weißt du Rick es...ist nicht so einfach für mich. Meine Mom...also...", er stotterte und kam nicht richtig auf den Punkt. Obwohl ich mir schon denken konnte, was er sagen wollte sollte er es aussprechen. Oft genug hatte er mir bereits gesagt ich solle mit ihm meine Sorgen teilen und reden. Genau das sollte auch Samu machen. „Sie weiß nicht, dass ich bi bin", hauchte er schließlich. „Sie glaubt ich bin hetero und naja...warte noch auf die richtige". „Und was ist es, was du willst?". „Wie meinst du das?". „Willst du denn lieber eine Frau an deiner Seite oder...". Samu ließ mich garnicht ausreden. „Ich will dich Baby! Nur dich, am besten für immer. Glaub mir das bitte", sagte er und kuschelte sich dann an mich. „Für mich ist das aber nicht so einfach verstehst du das? Deine Eltern wissen, seit du jung warst auf wen du stehst. Für sie ist das logisch, dass du einen Freund hast und sie werden sich für dich freuen. Aber meine Mum...sie wünscht sich Enkelkinder von mir, sie schwärmt jedes Mal wie süß doch Kinder von mir sein werden. Ich...ich stehe zu uns. Denk jetzt bloß nicht, dass ich das nicht tue aber es fällt mir eben schwer. Ihr zu sagen, dass ich jetzt einen Freund habe und keine Freundin. Keine Ahnung, ob du das nachvollziehen kannst, aber ich...brauche noch Zeit Rick. Bitte". Ich seufzte leise und zog ihn noch ein Stück dichter an mich ran. Natürlich hatte ich Verständnis dafür. Zwar hatte ich selbst nie wirklich so ein Problem, denn man hatte es mir schon damals angemerkt, dass ich anders war als die anderen Jungs. Und trotzdem verstand ich seinen Standpunkt. „Du kannst trotzdem Kinder haben", hauchte ich leise. „Wie?". „Zum Beispiel Adoption. Es gibt viele Kinder, die eine neue Familie suchen und ein schönes Zuhause brauchen". „Das...ja klar aber es ist nicht dasselbe...", murmelte Samu. „Ist es dir wichtig Kinder zu haben? Ich dachte du wolltest eher keine?". „Ja ne mir ist es tatsächlich nicht so wichtig, aber wie gesagt meine Mum wünscht es sich sehr". Ich nickte, das kannte ich. Aber ich hatte auch jetzt schon den Wunsch nach einem Kind. Mit Anfang 30 war dieser Wunsch schließlich gerechtfertigt. „Ich lasse dir alle Zeit der Welt mein Engel", flüsterte ich und küsste ihn dann liebevoll. „Danke", hauchte er zurück und erwiderte. „Du Rick...können wir bitte noch über etwas reden?", fragte er nach einigen Minuten Stille. „Worüber denn?". „Über deine...Krankheit". „Ich verstehe nicht was du meinst". Natürlich wusste ich es, ab der ersten Sekunde wo er gefragt hatte, wusste ich worum es ging. Aber ich hatte keine Lust darüber zu reden. Nicht schon wieder. Ich war nicht bereit es zu erzählen, er musste das nicht genau wissen und es sollte einfach am besten nie wieder angesprochen werden. Es ging mir gut. „Bitte Rick, erzähl mir davon. Ich...ich weiß es doch schon. Ich weiß du hast eine Essstörung. Keine Ahnung wie sowas ist aber ich möchte es wissen. Damit ich dir helfen kann und vielleicht...kannst du dir...auch Hilfe holen dann?". Seine Stimme war nicht mehr als ein schwaches Flüstern. Mein Kopf ratterte. Mir war bewusst, dass Samu es wusste. Das hatte ich vor einigen Wochen im Krankenhaus ja selbst vermasselt, als wir telefoniert hatten und ich dachte ich hätte aufgelegt. Ich holte einmal tief Luft. „Es fing nach einer Magendarmgrippe vor etwa drei oder vier Jahren an...", murmelte ich. „Ich hab echt keine Ahnung, wie das passieren konnte Samu und du wirst es auch niemals nachvollziehen können. Ich konnte in der Woche kaum was essen, weil ich immer wieder alles auskotzte. Mir hat dieses Hungergefühl aufeinmal gefallen und ich habe erst garnicht richtig versucht wieder normal zu essen. Das Gefühl, wenn der Magen komplett leer ist...es hat sich gut angefühlt. Zu spüren, wie der Körper an die Reserven gehen musste, danach war ich süchtig. Nach genau diesem Gefühl. Jede Mahlzeit wurde zur Qual und das Liv bei mir gewohnt hat, hat es nur noch schwerer gemacht. Wobei sie mir vermutlich im Endeffekt genau deswegen das Leben gerettet hat". Samu blieb still, während ich redete. „Weißt du...Man bekommt oft zu hören, dass man doch einfach mal etwas essen soll und dann passt das schon. Doch so einfach ist das nicht. Die Menschen vergessen immer, dass auch das eine Krankheit ist und die nicht weg ist, indem man etwas gegessen hat. Danach wird es erst so richtig schlimm, wenn man sich dann schlecht fühlt. Nach jedem Essen sich zu fühlen, als würde man direkt 50 Kilo mehr wiegen und jedes Gramm an sich zu sehen ist eine Qual. Wieso ich dort reingerutscht bin, weiß ich echt nicht und werde es wohl auch nie erfahren. Ich war nie der sportlichste oder muskolöseste gewesen. Eigentlich hatte ich viel mehr immer zu den schmalen Typen gehört, so wie jetzt auch immer noch. Liv hatte nur zusehen können, wie das Leben aus meinem Körper wich. Ich ging vom einen auf den anderen Tag nur noch Nachts raus, um joggen zu gehen und jeden Gramm von dem Tag wieder herunter zu laufen. Niemand anders bekam mich zu Gesicht, ich verschloss mich vor einfach allem und jedem. Liv hatte keine Chance mich aufzufangen. Wie oft hatte ich sie schon verletzt und sie musste schon oft um mich bangen, ob ich überhaupt am nächsten Tag wieder aufwachen würde. Doch ich hatte immer gekämpft, um Liv's Willen. Was aber noch viel schlimmer war, als diese Magersucht, war das ich all meine Freunde verloren habe. Alle bis auf Liv, sie blieb immer und in jeder Lebenssituation bei mir. Ich habe mich auf Grund und Boden geschämt für mein Aussehen, an mir war rein garnichts mehr dran. Überall standen die Knochen hervor, ich sah wirklich tot aus. Nichts an mir wirkte noch lebendig. Dass ich damit meinem Körper der Art geschadet habe, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Mein Herz ist nicht ohne Grund schwach. Ich habe es wortwörtlich kaputt gemacht. Wenn ich ganz ehrlich bin, dann habe ich mich selbst dafür so sehr gehasst. Ich fand und finde es nicht einmal schön so dünn zu sein. Viel mehr macht es mir Angst, ich habe mich selbst nicht mehr erkannt. Und trotz allem kam ich dort nicht mehr raus. Zu tief hatte mich diese Magersucht schon involviert. Alles an mir war nicht mehr ganz, ich hatte alles ruiniert und wollte tatsächlich nicht mehr leben. Und über all das hatte nur ich die Kontrolle. Verstehst du? Ich konnte bestimmen, was ich tue und lasse. Absolut niemand konnte da etwas dran ändern. Das war das einzige, was mir niemand nehmen konnte...nicht so wie mir das Leben damals Lenny genommen hatte". Ich flüsterte die ganze Zeit und immer wieder brach mir die Stimme weg. Samu das so offen zu erzählen tat auf der einen Seite sehr gut und auf der anderen war ich überfordert. Denn je mehr ich darüber nachdachte, desto bewusster wurde mir ich hatte diese Krankheit immernoch. Ich trug sie weiterhin in mir. „Und....was ist jetzt? Du sagtest am Telefon damals...dass du noch eine Essstörung hast?". „Ja ich hab sie noch", murmelte ich. „Okay. Aber es geht? Du hast es im Griff", fragte Samu leise und zog jetzt mich in seine starken Arme. „Ja, ja das hab ich", flüsterte ich zurück, kuschelte mich an ihn und schloss die Augen. „Du bist wunderschön, einfach perfekt. Ich liebe alles an dir, jeden Millimeter", hauchte Samu noch ehe wir beide unseren Gedanken nachgingen und irgendwann eng aneinander gekuschelt einschliefen.

Teil 1: „Blackrose" Story🥀 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt