Undercover

Teil 19

Der Abend war bereits ein wenig fortgeschritten, als Chris endlich die Grillzange weglegen konnte. Nicht, weil niemand mehr etwas essen wollte, sondern weil nichts mehr zum Grillen da war, obwohl Lily reichlich eingekauft hatte. Er nahm sich einen Becher Bier, sah sich um und musste schmunzeln, als er Sam bei einer Gruppe Frauen stehen sah, mit denen sie sich angeregt unterhielt. Er gab zu, dass er anfangs skeptisch gewesen war, ob Sam in „seine Welt" passen würde, auch wenn sie selbst schon allerlei auf dem Kerbholz hatte und ziemlich tough war. Immerhin hatte sie im Gefängnis gesessen und es scheinbar unbeschadet überstanden. Außerdem war sie ein ganz anderes Kaliber als Cheryl, bei der er mittlerweile nicht mehr verstand, weshalb er sich überhaupt jemals zu ihr hingezogen gefühlt hatte.
Sam schien sich jedoch sehr gut in seine Welt einzufügen, was ein weiterer Pluspunkt zu ihren Gunsten war. Chris schlenderte zur Stereoanlage und sah die CDs durch, die jemand mitgebracht hatte. Es waren durchweg Hardrock- und Heavy Metal-Bands, aber er musste grinsen, als er plötzlich eine Ed Sheeran-CD in den Händen hielt. Er fragte sich, wem die wohl gehörte. Vermutlich einer der Frauen. Kurzerhand würgte er „Highway to hell" mittendrin ab, was mit allgemeinen empörten Rufen quittiert wurde, und legte die Ed Sheeran-CD in den Player. Vermutlich würde er dafür von seinem Kumpels geköpft werden, aber er hatte Sam schließlich etwas versprochen.
Während die ersten Klänge von „Perfect" aus den Lautsprechern schallten, ging er zu Sam, beugte sich zu ihr und fragte dicht an ihrem Ohr: „Darf ich bitten?"
Er hielt ihr die Hand hin, die Sam lächelnd nahm, und er führte sie etwas abseits, ehe er sie an sich zog und die Arme um sie legte.
„Ist das okay?" fragte er leise.
„Mehr als okay," antwortete Sam ebenso leise und legte ebenfalls ihre Arme um ihn.
„Du hast ein interessantes Parfüm, wenn ich das so sagen darf," meinte Chris amüsiert.
Sam verdrehte die Augen und lachte kurz.
„Ich hatte eine nette Begegnung mit Cheryl. Sie hat mir ihr Bier ins Gesicht geschüttet."
„Bitte?"
Chris sah sie teils überrascht, teils verärgert an und sah sich dann um, um zu sehen, ob er Cheryl irgendwo entdeckte.
„Hey."
Sam legte ihre Hand an seine Wange und drehte seinen Kopf sanft wieder zu sich.
„Vergiss sie. Das ist hoffentlich geklärt und spielt keine Rolle mehr."
Chris seufzte.
„Okay, aber wenn sie nochmal so etwas bringt, sag mir Bescheid."
„Wird sie nicht," versicherte Sam ihm, schmiegte sich an ihn und legte ihren Kopf auf seine Brust.
Langsam bewegten sie sich zur Musik und Sam musste lächeln, als Chris sie fester an sich zog und ihr einen Kuss auf die Haare hauchte. Sie schloss die Augen und ließ sich von seiner Nähe und der Musik davon tragen. Sie fühlte sich in seinen Armen unglaublich wohl und geborgen. Ein Gefühl, das sie seit Pauls Tod schmerzlich vermisst hatte.
„Bleib heute Nacht bei mir," hörte sie ihn auf einmal leise sagen.
Sam nahm ihren Kopf von seiner Brust und sah zu ihm auf.
„Okay," antwortete sie ebenso leise.
Sie sahen sich lächelnd an, versanken förmlich in den Augen des anderen. Während dieses Momentes gab es nur sie zwei.
Der Moment wurde jäh unterbrochen, als die Musik ausgeschaltet wurde. Sam hatte das Gefühl, mit einem Male wieder nach einem traumhaften Besuch auf Wolke 9 auf der Erde angekommen zu sein. Fast so, als wenn sie mitten in einem wunderschönen Traum aus dem Schlaf gerissen worden wäre.

Sie hörte jemanden klatschen und kurz darauf FPs Stimme.
„Leute, dürfte ich mal kurz eure Aufmerksamkeit haben?"
Sam seufzte und tauschte ein kurzes Lächeln mit Chris, bevor sie beide, die Arme umeinander gelegt, wieder zurück zu den anderen gingen.
„Wie ihr sicher wisst, feiern wir heute den Einzug von Lily und Sam," fuhr er fort, worauf die Southside Serpents mit Jubel antworteten.
„Kommt ihr beiden bitte mal zu mir?"
Nur ungern ließ Sam Chris los und ging zu Lily, die bereits neben FP stand. Sie warf ihr einen fragenden Blick zu, aber Lily hob nur kurz die Schultern und schüttelte den Kopf. Sie wusste also auch nicht, was FP vorhatte.
„Wir freuen uns, euch hier begrüßen zu dürfen und wir hoffen, ihr beiden fühlt euch hier wohl. Allerdings könnt ihr nur unter einer Bedingung hier bei uns wohnen."
Lily und Sam tauschten einen verwirrten Blick.
„Und die wäre?" fragte Lily schließlich.
FP sah sie schmunzelnd an.
„Der Trailerpark darf ausschließlich von den Southside Serpents bewohnt werden. Das heißt, wenn ihr hier bleiben möchtet, müsstet ihr in die Gang eintreten," erklärte er.
Sam sah überrascht zu ihm und dann zu Lily, die ebenso überrascht aussah. Das war jetzt aber verdammt schnell gegangen.
„Ähm, ich glaube, ich spreche auch für Lily, wenn ich sage: nichts lieber als das," grinste Sam und sah zu Chris, der lächelnd zu ihr sah und ihr mit seinem Becher zuprostete.
„Wow, ja auf jeden Fall," sagte Lily jetzt, lachte kurz und drückte FP einen Kuss auf die Wange.
„Das freut mich. Allerdings kann ich es nicht allein entscheiden, ob ihr wirklich aufgenommen werdet," meinte er grinsend und wandte sich dann an die anderen Serpents.
„Alle die dafür sind, melden sich bitte mit 'aye'," forderte er sie auf und kaum hatte er es ausgesprochen, schallte es aus allen Richtungen „aye".
Lily und Sam waren regelrecht überwältigt vom Zuspruch der Gangmitglieder und sie hatten vollkommen vergessen, dass sie der Gang eigentlich nur beitreten wollten, um an Informationen zu kommen. Während dieses Abends hatte es sich völlig geändert. Nun wollten sie einfach nur zu dieser tollen Truppe gehören, die sie so nett aufgenommen hatte.
„Scheint so, als wäre es eindeutig," grinste FP und sah zu den zwei Frauen.
„Um es zu besiegeln, müsst ihr noch die Aufnahmerituale bestehen, aber da sehe ich kein Problem."
„Ach, dieser sexistische Mist," hörte Sam eine Frau laut genug sagen, dass alle es hören konnten.
„Wie sehen diese Aufnahmerituale denn aus?" wollte Sam wissen.
„Würde mich auch interessieren," meinte Lily, die FP nun ziemlich skeptisch ansah.
„Zum einen müsst ihr die 6 Serpent-Gesetze auswendig aufsagen können und zum anderen müsst ihr beide uns den sogenannten Schlangentanz an der Stange zeigen. Ob ihr das zusammen macht oder getrennt, spielt dabei keine Rolle. Ebenso wie der Tanz aussieht. Ihr könnt eurer Fantasie freien Lauf lassen."
Lily und Sam wechselten wieder einen Blick. Damit hatten sie beide nicht gerechnet.
„Ernsthaft?" fragte Lily nach.
Irgendwie hoffte sie, dass FP gerade nur einen Scherz gemacht hat.
„Ernsthaft. Jede Frau, die heute hier ist und eine Serpents-Jacke trägt, musste da durch," antwortete er.
„Wie sieht denn das Aufnahmeritual für Männer aus? Irgendwas sagt mir, dass sie sich nicht halbnackt vor den anderen an einer Stange räkeln müssen."
Sam sah FP fragend an. Sie war alles andere als begeistert von dem, was FP da verkündet hatte.
Er räusperte sich.
„Die Männer müssen ein Messer aus einem Terrarium mit einer Giftschlange holen," sagte er schließlich.
„Hhm, dann tanze ich lieber halbnackt an einer Stange," meinte Sam trocken und alle lachten.
„Ihr habt Zeit, es euch bis morgen zu überlegen. Wann ihr den Schlangentanz tanzt, ist euch überlassen."
„Okay," sagte Lily und hoffte insgeheim, dass sie FP irgendwie davon überzeugen konnte, dass sie den Southside Serpents auch ohne diesen Tanz beitreten konnte.
Wirklich begeistert war sie nicht von der Vorstellung, halbnackt vor versammelter Mannschaft mit dem Hintern zu wackeln.
Plötzlich fing jemand an zu klatschen und sie sahen alle automatisch in die Richtung aus der es kam. Eine blonde Frau mit Serpents-Jacke, die Sam als Penny erkannte, trat zwischen den anderen Gangmitgliedern hervor und lächelte süffisant.
„Herzlichen Glückwunsch euch zweien," meinte sie mit einer Stimme, die vor Sarkasmus nur so triefte.
Anschließend wandte sie sich an FP.
„Wie lange kennst du die beiden eigentlich schon, FP? Eine Woche? Ich glaube, das ist Rekord. So schnell wurde noch nie jemand bei uns aufgenommen. Die Kleine da scheint dir ja mächtig den Kopf verdreht zu haben. Oder etwas anderes. Wenn ich gewusst hätte, dass hier jeder einfach so Mitglied wird nach ein bißchen Rumgeknutsche, wäre ich gar nicht erst eingetreten."
„Pass auf, was du sagst, Penny," sagte FP warnend.