Keine fünf Minuten später ließ ich die Haustür hinter mir ganz leise ins Schloss fallen. Wir wollten ja niemanden wecken und auf uns aufmerksam machen. Tessa stand mit ihrem Rucksack auf den Schultern neben meinem Auto. Ich drückte schnell auf die Fernbedienung, damit sie sich schon ein mal ins Auto manövrieren konnte. Das war gar nicht so einfach mit so einem dämlichen Gips und Krücken, konnte ich mich erinnern. Ich hatte mir das Ding bloß vor ein paar Jahren beim Skifahren und nicht Fußballspielen eingefangen. Schnell schwang ich mich auf den Fahrersitz, um das Fluchtauto zu starten. Ich schnuffelte kurz. Hier roch es nach Würstchen. Nee, oder? Tessa hatte vier Würstchen zwischen den Lippen klemmen. "Gib mal her, ehe du erstickst." Ich zog mir zwei zwischen ihren Lippen hervor und biss hinein. "Frühstück muss ja schließlich warten." Mein Magen applaudierte mir zu dieser Entscheidung. Manno, scheinbar hatte Tessa ihren Appetit wiedergefunden, denn sie knabberte die anderen beiden auf. Aber ehrlich gesagt beruhigte mich das etwas, wenn sie schon so einfach den Abgang machen wollte. Das passte nämlich so eigentlich gar nicht zu ihr. "So, und jetzt sage mir, warum du so austickst und abhaust?" Das wollte ich jetzt echt wissen. Ich schaute schnell zu ihr, bevor ich mich darauf konzentrierte auf die Hauptstraße abzubiegen. "Weil ich hier weg muss, ich weiß doch nicht, wie es jetzt weitergehen soll. Und überhaupt", schniefte sie plötzlich. "Wenn alle Bescheid wissen, dann kann ich doch nicht einfach entscheiden, was ich will." Sie machte eine kurze Pause. "Und ich weiß doch noch gar nicht, was ich will." Was sollte das alles heißen? Und wieso schniefte Tessa? Tessa schniefte nie. Wenn war ich eher die Heulsuse von uns beiden. Ich hatte sie noch nie heulend erlebt. Selbst gestern als sie tierische Schmerzen gehabt haben musste, waren nur ein paar vereinzelte Tränen über ihre Wangen gelaufen. Was war hier los? Ich hob meine Hand vom Lenkrad. "Stop, hast du mal auf die Uhr geguckt. Um die Zeit brauche ich Klartext und nicht irgendwelche kryptischen Aussagen." Mein Hirn war nämlich nicht in der Lage aus dem Gesagten etwas Sinnvolles zusammenzubasteln. Wieso musste sie sich entscheiden? Klar, war sie verletzt, aber das war doch bald wieder okay und dann konnte sie wieder spielen. Oder musste sie sich entscheiden, ob sie sich doch operieren ließ? War die Verletzung vielleicht doch schlimmer als sie es gestern gesagt hatten? Und was hieß hier, wenn alle Bescheid wussten? Ihre Verletzung war doch kein Geheimnis. Also der Gips und die Krücken waren auch schwer zu übersehen. "Man, Max hat gestern im Krankenhaus gesagt, dass ich schwanger bin." Ich trat voll auf die Bremse. Wie gut, dass die Ampel sowieso gerade auf rot sprang. "Du bist was?" Schockiert schaute ich sie an. "Na ja der Erpel und ich waren doch in Kitzbühl zu dem Hühnerrennen an seinem Geburtstag..." "Hahnenkammrennen.", unterbrach ich sie. Sie winkte ab "Dann halt so. Ist doch alles Vogelvieh." Klar hatte sie mir erzählt, dass sie dort beide miteinander geschlafen hatten..... zum ersten Mal. "Aber ihr habt doch verhütet, oder?" Also ich konnte mir nicht vorstellen, dass die beiden das vergessen hatten. Dazu bekamen sie doch viel zu oft einen Vortrag von Marco zu hören. Tessas Vater versorgte sie schon seit ein paar Jahren ständig mit Kondomen, für den Fall des Falles. "Klar, haben wir das, aber da ist dann nachher etwas schief gegangen." Sie schaute mich verlegen an. "Man, der Leo hat doch vorher auch noch nie und deshalb wusste er halt nicht, dass er das Teil am Ende festhalten muss." Sie verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse "und dann ist das blöde Teil halt verschwindibus gegangen." Das hätte ich jetzt echt nicht gedacht. So eine große Klappe, wie der Kerl immer gehabt hatte, hätte ich darauf getippt, dass er auf einen ziemlich umfangreichen Erfahrungsschatz zurückgreifen konnte. Bevor er mit Tessa zusammengekommen war, hatte er doch alles, was nicht bei drei auf dem Baum war, angebaggert. Ich schüttelte meinen Kopf und starrte sie an, als es hinter mir hupte. Ups, es war ja schon wieder grün. "Na wie auch immer, jedenfalls muss es dabei passiert sein, denn seitdem hatten wir ja immer keine Zeit dafür." Nee, das konnte doch echt nicht sein, dass sie gleich beim ersten Mal schwanger geworden war. Jetzt war mir auch klar, warum sie Zeit für sich zum Überlegen brauchte. Klar, sie musste sich entscheiden, ob sie das Kind behalten wollte oder abtreiben. Manno, sie war doch auch erst 18 und steckte mitten in der Ausbildung, ganz zu schweigen von der Profikarriere. Und natürlich wollten alle da ein Wörtchen mitsprechen. Ihre Eltern, Leo.... aber eigentlich war es ja ihr Körper und sie musste die Entscheidung treffen. Schließlich musste sie ja auch mit den Konsequenzen leben. Ja, sie brauchte definitiv Abstand. "Das......das." Ich schüttelte schockiert meinen Kopf. Irgendwie fehlten mir gerade immer noch die Worte. Ich wollte wirklich nicht in ihrer Haut stecken. Aber ich konnte sie auf keinen Fall alleine irgendwo hinfliegen lassen. Wie sollte sie denn mit ihrem Gips und den Krücken das alles alleine managen. Das ging doch nicht. "Ich komme mit. Ich lasse dich doch nicht alleine fliegen. Wie willst du das überhaupt mit den Krücken alleine schaffen." Ich parkte auf einem Parkplatz direkt am Terminal ein. "Das geht nicht, du musst noch eine Woche zur Schule", lehnte Tessa sofort ab. Das war ja nun kein Grund. Da passierte doch sowieso nichts mehr. "Das ist mir doch Wurst. Du brauchst mich. Das ist wichtiger." Ich sah, wie sie mit sich kämpfte und dann aber den Kopf schüttelte. "Ich muss das alleine für mich klären." Manno, wenn ich sah, wie sie sich mit ihren Krücken abquälte. Das war doch Mist. Ich schnappte mir ihren Rucksack aus dem Auto und lief hinter ihr her zum Abfertigungsschalter. "Du willst nach Berlin?" Das überraschte mich im ersten Moment, als ich das Flugziel auf ihrem Ticket sah. Tessa nickte. "Mama war doch damals auch in Berlin." Stimmt, das hatte Franzi gerade gestern erst erzählt, dass sie auch nach Berlin durchgebrannt war, als sie von ihrer Schwangerschaft mit Max und Phil erfahren hatte. Aber Franzi kam auch ursprünglich aus Berlin, also machte das Sinn. Andererseits lebte Phil, Tessas großer Bruder ja auch da, genau wie ihre Großeltern und zwei Onkels von ihr.......und Nessa, unsere Freundin. Bestimmt fuhr sie zu Nessa. Das war gut. Sie war ja zwei Jahre älter als wir und konnte Tessa bestimmt Tipps geben. "So, ich muss dann." Tessa zeigte mit ihrer Krücke Richtung Gate. "Hier dein Rucksack." Ich half ihr das Teil auf ihren Rücken zu hieven. Das hätte sie doch niemals alleine geschafft. "Bist du sicher, dass ich nicht doch mitkommen soll?" Und wenn ich nur mitflog und sie bei Nessa abliefert und dann gleich wieder zurückflog. Mein Sparbuch gab das durchaus her. Ich hatte schließlich in letzter Zeit oft genug den Babysitter gemacht und mir ein paar Cent dazuverdient. Damit wollte ich mir zwar eine Lackierung für Erwin finanzieren. Er sollte nämlich in Airbbrush auf der Motorhaube zusammen mit dem Vereinslogo von Schalke verewigt werden. Aber das war jetzt wichtiger. Schnell umarmte ich Tessa ganz fest. Vielleicht überlegte sie es sich dann ja doch noch. "Du bleibst hier und passt auf meinen Erpel auf." Tessa schaute mich ernst an. Okay, wenn sie mich darum bat, dann würde ich das tun. Klar, Leo würde garantiert am Rad drehen und sie verzweifelt suchen. Ich wusste ja, dass sie ihm einen Brief dagelassen hatte. Aber das würde ihn mit Sicherheit nicht zur Ruhe bringen. Trotzdem würde er von mir nichts erfahren. "Geht klar, aber wenn du mich brauchst, rufst du sofort an und ich bin ganz schnell da." Ich würde mich sofort in meinen Erwin schmeißen und zu ihr fahren. Das waren nur vier Stunden Fahrt. Tessa drückte mich ganz fest und humpelte dann zum Gate. Ich schaute ihr hinterher. Das war doch echter Mist. Kopfschüttelnd drehte ich mich um und lief zurück zu meinem Erwin. Was machte ich denn jetzt? Es war gerade einmal 6 Uhr. Und das auf einem Sonntag. Ich könnte nach Hause nach Bochum fahren. Nee, ich musste zurück zu Tessas Familie, damit ich da war, wenn alles aufflog. Ich hatte ja versprochen, Tessas Erpel zur Seite zu stehen. Und wenn ich etwas versprach, dann hielt ich das auch, so wahr ich Lucy Goretzka hieß.
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Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️
Lãng mạnLucy kommt sich so langsam wie das letzte Einhorn vor. Alle ihre Freundinnen haben einen Freund, nur sie nicht. Und der Kerl für den sie schwärmt, sieht in ihr alles mögliche - die Babysitterin und die Tochter seiner Kollegin - aber nicht das, was s...