Kapitel 107

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„Was schaust du denn so traurig, Spatzl?" Mama schaute mich prüfend an, als ich wieder in die Küche kam. „Ach, ich hatte für uns beide heute eigentlich eine Kletterwand in der Kletterhalle gebucht", ließ ich meine Enttäuschung raus und setzte mich wieder auf meinen Stuhl. „Na das ist ja blöd. Hat er dir denn nicht vorher gesagt, dass er heute schon nach Berlin zurück muss?" Ich schüttelte meinen Kopf. Das hatte er gestern nicht mit einem Wort erwähnt und auch nicht an den anderen Tagen als wir geschrieben und telefoniert hatten. Sonst hätte ich da ja wohl nichts gebucht und mich auch noch darauf gefreut. „Das ist aber nicht sehr zuverlässig." Papa zog missbilligend seine Augenbrauen hoch. Wieso hatte er das überhaupt mitbekommen? Er war doch gerade noch mit Andi und Phil in ein Gespräch vertieft gewesen. „Man versetzt sein Mädchen doch nicht einfach so." Andi schaute mich schockiert an „Das ist bestimmt meine und Carmens Schuld, weil wir jetzt hier sind." Das war ja mal absoluter Blödsinn. Damit hatte das garantiert nichts zutun. „Mika wusste ja nicht, dass ich das Klettern gebucht habe", versuchte ich meinen Freund in Schutz zu nehmen. „Außerdem kann er ja auch nichts dafür, wenn in Berlin so kurzfristig eine Veranstaltung angesetzt wurde." Papa schaute nicht wirklich überzeugt. „Machen die das denn da so kurzfristig? Du studierst da doch auch", löcherte er sofort Phil. Der verzog aber nur das Gesicht und schüttelte den Kopf „Also an unserer Fakultät nicht, aber...." „Siehst du, Dodo. Da ist was faul", unterbrach ihn Papa sofort aufgebracht. „Krapfen, Phil hat gesagt an seiner Fakultät. Mika ist aber in einer anderen. Nicht wahr?" schritt Mama ein. So langsam nervte mich diese Diskussion echt und ich hatte genug davon. „Ich gehe dann mal auf mein Zimmer und lerne ein Bisschen." War ja auch nicht verkehrt. Wir hatten ja auch schon November, bald war Weihnachten und dann waren auch schon bald die ersten Klausuren. „Hattest du nicht gesagt, dass du klettern gehen wolltest", hielt mich Phil auf. Ich nickte. Ja, das hatte ich, aber ich konnte mich ja wohl schlecht alleine sichern. „Na da hast du ja verfluchtes Glück, dass ich heute Zeit und ausgerechnet ausgesprochene Lust auf Klettern habe", grinste er mich breit an. Hatte ich das gerade richtig verstanden? „Du willst mit mir klettern gehen?" Noch einmal nachfragen konnte ja nicht schaden. „Klaro. Wann müssen wir denn in der Kletterhalle sein?" Ich schaute schnell auf meine Uhr „In einer Stunde. Wir müssen aber noch nach Dortmund fahren." Phil sprang auf „Na dann los."......
„Das war total cool. Danke, dass du Zeit hattest." Das Klettern mit Phil hatte extremsten Spaß gemacht. Ich hätte gar nicht gedacht, dass er der volle Klettermax war. „Du bist ein echtes Kletteräffchen und genauso abgedreht wie Tessa", grinste er mich an. „Wie hast du mich gerade genannt?" Ich boxte ihn in die Seite. „Kletteräffchen", grinste er wieder und hielt meine Hand fest. Wie gut, dass ich zwei davon hatte. Ich versuchte ihn noch einmal zu boxen. Dummerweise hatte er auch zwei Hände und hielt damit auch meine zweite fest. „Ich gebe auf", stöhnte ich also resigniert. Hah, artig ließ er mich los. Das war mein Moment, den ich sofort nutzte, um ihn noch einmal einen kleine Stüber zu verpassen. „Ich revidiere, du bist kein Kletteräffchen, sondern eine kleines hinterhältiges und gewaltbereites Kletteräffchen", gackerte er und rieb sich über die Stelle an seinem Arm, die ich getroffen hatte. Ich gab Sohlengeld und rannte schnell Richtung Auto, ehe er mich noch erwischte. „Du weißt aber schon, dass das mein Auto ist?" Mm, ja okay. Das war vielleicht nur mittelmäßig helle. „Aber ich will ja mal nicht so sein und dich hier stehen lassen." Mit einem lauten Klacken öffnete sich die Türverriegelung. Ich riss schnell die Tür auf und ließ mich in den Beifahrersitz plumpsen. „Hah, hier kann ich dich auch viel besser quälen und mich rächen." Phil beugte sich vom Fahrersitz zu mir und begann mich zu kitzeln. „Aufhören", keuchte ich nach einer Weile völlig außer Atem. So ein Kitzelangriff in einem Auto gegen einen körperlich Überlegenen war ganz schön anstrengend und ich war eigentlich chancenlos. „Okay, aber jetzt lade ich dich erst einmal noch zum Essen ein, wo du schon das Klettern bezahlt hast." Phil wollte nämlich erst nicht akzeptieren, dass ich schon alles im Voraus bezahlt hatte. „Essen?" Ja, ich spürte sofort einen gewissen Hunger in mir, der sogar noch mehr anwuchs als wir vor einem italienischen Restaurant anhielten, in dem wir schon ein paarmal mit Papa und Mama waren. Die hatten echt superleckere Pizza. „Ist das nicht zu teuer hier? Da gibt es ja richtiges Essen." Phil schaute mich verwundert an. „Also das kann ich mir schon durchaus leisten. Ich bin zwar noch Student, aber in der Tierklinik verdiene ich ganz gut. Sag bloß nicht, dass Mika dich immer nur mit Fast Food verwöhnt?" Na ja, ehrlich gesagt schon. Zu mehr als einem Burger-Spar-Menü hatte er mich noch nie eingeladen. Kopfschüttelnd wartete er gar nicht erst meine Antwort ab und legte seinen Arm um meine Schulter. „Los jetzt da rein. Wir haben genug Energie beim Klettern verbraucht."
„Die Pannacotta war total lecker", schwärmte ich, während Phil seinen SUV durch den Verkehr von Dortmund lenkte. „Du bist genauso eine kleine Fressraupe wir Tessa", schmunzelte er und warf mir einen kurzen Seitenblick zu. „Klammeraffe und Fressraupe. Hast du noch mehr Kosenamen für mich?" Wenn ich ehrlich war, fand ich die sogar echt süß und sie gefielen mir besser als das Süße von Mika. Das war so Standard. Das sagten alle, denen nichts besseres einfiel. Selbst Luca war kreativer mit seinem Biene für Maja. „Da würden mir noch eine ganze Menge einfallen." Er wackelte grinsend mit seinen Augenbrauen und ich spürte wieder diese blöde Hitze in meinen Wangen. Irgendwie war Phil total......cool und nett und interessant und hilfsbereit und großzügig und....mein Handy riss mich aus meinen Gedanken als es laut losscherbelte. „Hallo", meldete ich mich schnell. Hoffentlich war nicht schon wieder etwas mit Carmen und Andi. „Ich bin in Berlin angekommen", ertönte Mikas Stimme und im Hintergrund lief laute Musik. Wo war der denn? Auf einer Party? „Das ist schön." Mehr fiel mir gerade nicht ein. „Ich melde mich dann morgen wieder", vernahm ich seine Stimme und dann war er auch schon wieder weg. Irgendwie spürte ich Phils Blick auf mir. „War das Mika?" Ich nickte nur. Sofort war wieder diese Enttäuschung da. Ich dachte an mein Horoskop. War Phil vielleicht mein Neuanfang? Nee, das konnte doch nicht sein. Obwohl, wäre das so schlimm? Eigentlich nicht. Er parkte auf unserer Einfahrt ein. Man, war das schnell gegangen. „Also, ich will mich ja nicht einmischen, aber heute ist wenn überhaupt nur eine Party von der Fachschaft und garantiert keine Lehrveranstaltung, die er verpasst hätte." Phil löste seine eine Hand vom Lenkrad und strich mir sanft über meinen Arm„Lass dich nicht von ihm verarschen, Okay?" Er schaute mich ganz ernst an und plötzlich bekam ich eine Gänsehaut. Nein, er war der Frauenheld und nicht Mika. Aber....  „Danke, für alles." Ehe ich weiter überlegte, beugte ich mich zu ihm und drückte ihm meine Lippen auf. Was tat ich hier gerade? In meinem Kopf dröhnte das Wort Neuanfang.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt