Kapitel 82

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Mein Handy gab einen Signalton ab. Das war bestimmt wieder ein Geburtstagsgruß. Tessa hatte auch gerade eben angerufen und mir gratuliert, genau wie einige meiner Mannschaftskameraden. Neugierig schaute ich also auf das Display. Ups, das war ja gar kein Geburtstagsgruß, sondern meine Horoskop-App. Ihre Zukunft steht in den Startlöchern . Nachdenklich legte ich es wieder beiseite und schnappte mir noch eine Weißwurst aus der Schüssel. „Möchtest du noch Senf?" Mika schob mir die Senfschale herüber und begann wieder in seiner Müslischale zu löffeln. Genau wie Maja hatte er die Weißwurst zum Frühstück verweigert. „Seids ihr mit dem Vogelfutter fertig?" Oma schnappte sich die Müslipackung und die Milch und begann den Tisch abzuräumen, ohne auf eine Antwort zu warten. Sie schüttelte ihren Kopf „Ned a moi a gscheite Semmel mit Leberkas hams g'essen." An ihrem Gesichtsausdruck sah ich, dass ihr die beiden suspekt waren. Na ja, kein echter Bayer verstand jemanden, der keine Weißwurst oder Leberkas-Semmel aß. „Immer diese Preißn", brabbelte sie leise vor sich hin. „Mensch Valentina, alle die nördlich der Donau leben, sind für dich Preußen", lachte Papa. „Du und dein Weißwurst-Äquator." „Ich bin aber halb Schwabe", meldete sich Mika zu Wort und ignorierte Mamas Handzeichen den Mund zu halten. Ja, sie kannte Oma und Opa gut. Die beiden hatten sich mit Papa nur angefreundet, weil er wenigstens für einen Münchner Verein gespielt hatte. Wenn auch für den falschen, wie Opa immer betonte. Ja, Mamas ganze Familie waren 60er Anhänger. Außerdem hielten sie Papa zu Gute, dass er ja viele Jahre in München gelebt und damit auch Kultur geschnuppert hatte. Trotzdem wollten sie immer noch nicht verstehen, warum wir von hier weggegangen waren. „Lieber Herrgott, des is ja no elendiger", kam es von Opa. „So, jetzt wird es aber auch Zeit, dass wir uns umziehen, damit wir pünktlich loskommen." Mama schaute entschuldigend zu Mika und versuchte es mit einem Themenwechsel. Plötzlich schlug sie sich mit der Hand vor die Stirn und sprang auf. „Menschenskind, ich habe ja ganz vergessen, dass ich noch Geburtstagspost für dich habe." Sie wühlte in ihrer Tasche und drückte mir einen bunten Umschlag in die Hand. „Den hat Andi mir noch am Donnerstag gegeben." Hatte sie Andi gesagt? Ich fetzte den Umschlag auf, zog ein Blatt heraus und faltete es auseinander. „Das hat ja Flipper gemalt", grinste Luca, der über meine Schulter linste. „Flipper?" Mama schaute uns verwundert an. „Ja, der neue Kosename von Carmen", klärte ich sie auf. Ihr Blick ging skeptisch zwischen mir und Luca hin und her. Wahrscheinlich fragte sie sich, warum er den kannte. Ich schaute wieder auf das Bild, auf dem großer Delfin gemalt war und daneben stand mit ihrer krakeligen Schrift. Alles Gute zum Geburtstag. Ich habe dich ganz doll lieb. „Ich dich auch", flüsterte ich ganz leise. Scheinbar aber nicht leise genug, so wie mich mein Bruder mich anschaute und mir zuzwinkerte. „So, jetzert sputets eunk." Opa klopfte mit seiner Hand auf den Tisch und stand auf „Hörts ned die Wiesn rufen?" Papa schüttelte grinsend seinen Kopf „Du bist ja schon fertig, Korbinian." „Ja, freilich." Opa hatte wirklich schon seine übliche Jeans gegen die Krachlederne getauscht und griff gerade nach seinem Hut mit dem Gamsbart. Ich schnappte mir schnell mein neues Dirndl und rannte in unser Zimmer.....
„Das passt, als wäre es für dich gemacht", grinste Oma als ich mit dem neuen Dirndl wieder auftauchte. „Ist es ja auch", lachte ich nur und drehte mich ein paarmal im Kreis, damit der Rock richtig aufschwang. „Und hast du die Schürze auch rechts gebunden?" Mika nahm das sofort in Augenschein. Natürlich hatte ich das gemacht. Schließlich ging ich doch heute das erste Mal mit meinem Freund auf die Wiesn. „Ich wäre mehr für die Mitte", brummte mein Bruder. „Ich auch", knurrte auch Opa. „Ich kann die Schleife aber nur an einer Stelle machen", versuchte ich die Stimmung zu beruhigen. Das klappte scheinbar, denn die beiden brummten zufrieden. „So, wir sind auch abmarschbereit." Papa kam zusammen mit Mama, die in Tracht gekleidet war, ins Wohnzimmer marschiert. Er trug zu seiner Jeans das bedruckte Shirt, das ich für ihn gekauft hatte.„Und zufrieden, Dodo?" Grinsend trommelte Papa auf seine Brust, wo die Hosenträger zu sehen waren. Ich musste lachen. „Was denn, du hast keine Tracht von Luca angezogen?" Papa schaute Mika verwundert an. „Das nenne ich mutig. Ich bin hier nämlich der einzige bisher, bei dem das geduldet wird. Aber auch nur, weil ich in Tracht wenigstens geheiratet habe." Sein Blick ging zu seinem Schwiegervater, der nur das Gesicht verzog. „Und wois darin ausschaust wie a Storch im Salat. Der Preißn-Schwab wui koa Wadln zoagn", grantelte Opa . Ich hatte nicht einmal mitbekommen, dass Mika Tracht anziehen sollte. „Opa, das muss er doch auch nicht. I mog ern a so." Schnell legte ich einen Arm um Mikas Taille und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Genau, Papa. Jetzt ist gut", warnte auch Mama Opa. „Wo bleibts denn die Maja?" Oma schaute auf die Uhr an der Wand. Ja, so langsam wurde es Zeit, dass wir loskamen. Als ich aus dem Zimmer verschwunden war, hatte Maja gerade in Unterwäsche am Koffer gewühlt. Also müsste sie ja wohl auch jeden Moment kommen. Wie auf Kommando kam sie durch die Tür marschiert. „Biene!!!" Mein Bruder schaute seine Freundin schockiert an. „So willst du doch nicht wirklich auf die Wiesn?" Maja schaute an sich hinunter. „Wieso nicht? Ich habe mir doch extra den Trachtenkram besorgt, weil ich gelesen habe, dass man das auf der Wiesen trägt." Trachtenkram traf es ziemlich gut. Sie trug eine Jeans über und über mit Edelweiß bestickt, die den Schnitt einer Kniebundhose hatte. Dazu trug sie ein enganliegendes Dirndlmieder und ein Seidenhalstuch auch mit Edelweiß bedruckt. „Sacra, diese Preißn", gluckste Opa. „Korbinian", zischte Oma ihm warnend zu und trat ihm auf den Fuß. An ihrem Gesicht erkannte ich aber, dass sie sich das Lachen auch verkneifen musste, genau wie Mama und ich. „Ich war dafür extra in Oberhausen zum Einkaufen." So, wie Maja schaute, erwartete sie dafür scheinbar Anerkennung von allen. „Ja, Oberhausen. Damit kannst du vielleicht auf die Cranger Kirmes oder zum Oktoberfest vom Kleingartenverein Bottrop." Luca schüttelte seinen Kopf. „Hallo, nix gegen den Pott", mischte sich Papa sofort ein und Maja schaute Luca empört an. „Was Luca damit sagen will, so bist du sofort als Touri zu identifizieren", versuchte ich die Wogen zu glätten. „Als Bayerin würdest du ein Dirndl wie meins tragen." Ich sah, wie Majas Augen verdächtig zu glitzern begannen. Nein, wir konnten hier kein tränenreiches Drama gebrauchen, sonst kamen wir wirklich noch zu spät. „Magst du nicht vielleicht eins von meinen Dirndln tragen? Du siehst zwar toll so aus, aber darin würdest du absolut traumhaft aussehen", schmeichelte ich gleich noch ein bisschen. „Ja, selbst Joop hat damals gesagt, ein Dirndl muss jede Frau einmal getragen haben", schaltete Mama sich ein. „Der Joop?" Maja schaute sie mit großen Augen an. Wer war das bitte? Also ich kannte ihn nicht, aber das war ja auch egal, Hauptsache Maja kannte ihn und das Argument zog. Und viel wichtiger, sie zog sich um. Ich konnte gut verstehen, dass es Luca peinlich war, so mit ihr auf die Wiesn zu gehen. Ein Clownskostüm wäre da auch nicht anders. „Pass ich denn da überhaupt rein?" Sie schaute zweifelnd an sich herunter und dann zu mir. „Na klar, komm mit." Ich zog sie schnell in unser Zimmer, denn so langsam war hier mal Tempo angesagt, wenn wir noch genug Zeit auf der Wiesn haben wollten. Welches Dirndl sollte ich ihr denn geben? Ich schob die Bügel hin und her, als mir plötzlich ein Gedanke durch den Kopf schoss. Schnell stürzte ich zu meinem Koffer und kramte das Dirndl, das ich in Dortmund gekauft hatte, heraus. Maja schlüpfte ohne weitere Worte hinein und ich band ihr die Schürze. Natürlich nach rechts, denn bei ihr war ich mir sicher, dass sie keine Jungfrau mehr war und sie auch nicht in der Mitte tragen konnte.  Sie drehte sich kurz vor dem Spiegel. „Das sieht toll aus." Ihre Augen strahlten vor Begeisterung. Und ja, es stand ihr wirklich super. „Du kannst es behalten, ich  schenke es dir." Ich hatte ja ein neues und brauchte es nicht mehr. Und dann gab es wenigstens auf der nächsten Wiesn nicht wieder ein Klamottendrama. Luca würde sie ja bestimmt jetzt immer mitnehmen. Maja riss die Augen auf „Echt jetzt? Das.....das ist..." „In Ordnung", unterbrach ich sie „So und jetzt lass uns los, sonst bauen die schon ab, bevor wir da sind." Man, was ich mich auf die Wiesn freute.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt