Kapitel 128

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Ich drehte die Musik etwas lauter und schaute auf die Uhr in Erwins Display. Es war kurz vor zwölf. Da lag ich ja gut in der Zeit. Na ja, kein Wunder, ich hatte meine Klausur ja auch schon lange vor Schluss abgegeben. Erleichtert atmete ich auf. Es war die letzte vor den schriftlichen Abiprüfungen und ich hatte mich genau richtig vorbereitet, so dass mein ganzes Wissen nur so aus dem Stift geflossen war. Manchmal musste man ja auch Glück haben. Sofort fiel mir mein Horoskop von heute früh wieder ein  Alles, was sie anfassen funktioniert und ebnet den Weg in ihre Zukunft  Also mit Blick auf die Klausur, die ich geschrieben hatte, traf das mit Sicherheit zu. Ob das auch bei dem Shooting zutraf, das morgen anstand, war nur die Frage. Die konnte ich mir aber auch gleich selbst beantworten, denn es fand ja morgen statt, also nein. Es sei denn ich hätte zwei Tage hintereinander das gleiche Horoskop. Heute fand ja nur die Anreise statt. Und was sollten schon drei Stunden oder so im Auto mit meiner Zukunft zu tun haben? Gestern hatte ich noch mit Mama und Andi geklärt, dass es um 14 Uhr losgehen sollte. Perfekt, dann hatte ich noch gechillte zwei Stunden, um meine Reisetasche zu packen. Ich konnte ja schon einmal im Kopf eine Packliste erstellen. Viel musste ich ja nicht einpacken. Das Shooting fand in Bremerhaven statt, wo auch unser Hotel war.  Wenn wir heute dort ankamen, war ja schon fast Schlafzeit. Also brauchte ich nichts mehr zum Umziehen. Im besten Fall ging ich mit Mama und Andi noch etwas Essen. Sofort tauchte Nils Stimme in meinem Kopf auf.  Okay, vielleicht sollte ich doch noch etwas Nettes einpacken. Aber was? In meinem Geist tauchte mein leerer Kleiderschrank vor mir auf und wanderte weiter unter mein Bett. Was lag da wohl noch und war nicht reif für den Wäschekorb? Viel dürfte es nicht sein. Verflucht, warum hatte ich nicht vorgestern daran gedacht? Dann hätte Papa bestimmt schon die Wäsche gemacht. Ich schaute noch einmal schnell zur Uhr. Wenn ich eine Maschine auf Kurzwäsche machte und den Wäschetrockner auf höchste Stufe, könnte das ja vielleicht noch klappen. Sofort trat ich etwas mehr auf's Gas. Ich hatte keine Minute zu vertrödeln. Na nu, Andis Auto parkte ja auch schon vor unserem Haus. Hatte ich mich doch in der Zeit geirrt? Oder hatte sich etwas an dem Plan geändert? Mist! Hatte mein Horoskop nicht gesagt, dass alles, was ich anpackte funktionierte? Blöd nur, wenn ich nicht mehr dazu kam meine Wäsche anzupacken. Dann konnte es ja nicht funktionieren. Manno, war ich heute mal wieder logisch unterwegs. Schnell parkte ich Erwin ein. „Bis Montag kannst du dich ausruhen." Ich strich zur Verabschiedung sanft über sein Lederlenkrad und sprang aus dem Auto. Hoffentlich warteten sie nicht schon auf mich. Ich brauchte dringend noch Zeit. „Hallihallo, Dodo. Da bist du ja schon", begrüßte mich Papa lächelnd, als ich durch die Tür stürzte. In seiner Hand hatte er eine Teekanne und Salzbrezn. Was wollte er denn damit? „Geht es dir nicht gut?" Ich deutete mit meiner Hand auf die beiden Sachen. Eigentlich sah er aber nicht so aus, als ob er das nötig hatte. „Nee." Er schüttelte angewidert seinen Kopf. „Du weißt doch, von Tee fange ich erst an zu kotzen." Ja, da war ja was. Papa konnte Tee absolut nicht ab und war wahrscheinlich der einzige Mensch unter der Sonne, der auf Cola schwor, wenn er mit dem Magen hatte. „Das ist für Mama." „Mama?!" Ich schaute ihn alarmiert an. „Ja, Mama. Sie liegt im Bett, wenn sie sich nicht gerade die Seele aus dem Leib kotzt." Ach du lieber Himmel. Ich rannte die Treppe hoch, in das Schlafzimmer meiner Eltern und schaute in das blasse Gesicht meiner Mutter. „Hallo, Spatzl", kam es kraftlos von ihr. Ich ließ mich auf dem Bettrand neben ihr nieder. „Komm mir lieber nicht so nahe, falls das ein Virus ist. Nicht, dass du dich auch noch ansteckst und das Shooting platzt", scheuchte sie mich sofort wieder weg. Wie jetzt Shooting? „Aber das platzt ohne dich doch sowieso." Sie schüttelte den Kopf. „Quatsch, ich bin zu ersetzen. Das Model nicht." Ehe ich weiter darauf eingehen konnte, sprang sie aus dem Bett und rannte Richtung Bad. Das laute Würgen hörte sich nicht wirklich gut an. Okay, da konnte ich gerne drauf verzichten. „Kotzt sie schon wieder?" Papa schaute mich besorgt an, als er das Tablett mit der Teekanne und den Brezn ins Zimmer balancierte. Ich nickte nur und verzog mein Gesicht. In meinem Kopf klangen dabei die Worte wieder, dass die Fotografin zu ersetzen war. Hieß das, das Shooting fand mit einem anderen Fotografen statt? Mein Herz fing sofort an zu rasen. Nee, das ging doch nicht. Wenn Mama das nicht machte, dann wusste ich doch überhaupt nicht, wie ich mich bewegen sollte. „Ich habe Jeremy erreicht. Er kann einspringen." Andi kam ins Zimmer und schaute mich erstaunt an. „Du bist schon da? Das ist ja prima." Ein Lächeln breitet sich in seinem Gesicht aus. „Dann können wir ja früher los. Ich würde nämlich ungerne im freitäglichen Berufsverkehr auf der A1 feststecken. Wo ist denn Lisa?", wandte er sich an Papa. „Den Porzellangott anbeten", klärte der ihn sofort auf. „Und dir macht es wirklich nichts aus, auf Carmen aufzupassen?" Sein skeptischer Blick blieb an Papa haften. Der schüttelte aber sofort enthusiastisch den Kopf. „Ach Quatsch, dann habe ich wenigstens Ablenkung von der Krankenversorgung. Da brauchst du dir keinen Kopf machen." Wieso sollte sich Papa um Carmen kümmern? Eigentlich sollte sie doch bei Chris und Dani das Wochenende verbringen. „Chris hat Hexenschuss und Dani ist erkältet." Scheinbar hatte Andi meine Gedanken lesen können. „Hast du deine Sachen schon gepackt?" Ich schüttelte schnell den Kopf und rannte in Richtung meines Zimmers. Mist, dann war nichts mehr mit Wäsche machen. Verflucht! Schnell schmiss ich mich auf den Bauch und linste unter mein Bett. Viellicht war da ja noch etwas davon brauchbar. Dann hieß es wohl Schnupperprobe. Wo waren denn die ganzen Sachen hin?! Der Platz unter meinem Bett war total leer. Hilfe! „Suchst du das, Dodo?" Ich schoss mit meinem Kopf hoch. Aua! Mist, ich hatte mich wohl etwas verschätzt. Grummelnd rieb ich mir den Hinterkopf, den ich mir am Bettgestell angeschlagen hatte und schaute zu Papa. „Ich dachte, das könnte alles mal gewaschen werden." Auf seinem Arm thronte ein ordentlich zusammengelegter Wäscheberg. „Du bist meine Rettung." Ich umarmte ihn überschwänglich und drückte ihm einen dicken Schmatzer auf die Wange. „Immer wieder gerne. Du kleine S-c-h-lampe. Dann pack mal schnell. Andi wartet schon." ich nickte und schnappte mir meine Reisetasche, die ich schon gestern neben meinem Schreibtisch platziert hatte. Schnell griff ich mir meine Lieblingssachen aus dem Stapel und feuerte sie hinein. Für drei Tage brauchte man ja nicht so viel. Ich unterdrückte einfach sofort wieder Nils Stimme, die sich gerade wieder einen Weg in meinen Kopf versuchte zu bahnen. Er wäre garantiert anderer Meinung. Besonders, wenn er sehen würde, was ich eingepackt hatte. Aber das war egal. Die meiste Zeit waren wir sowieso beim Shooting und den Rest der Zeit würde ich in meinen bequemen Schlafklamotten im Zimmer verbringen, während Andi und der Fotograf arbeiteten. Also wozu einen großen Aufriss machen? Da packte ich doch lieber etwas zum Lernen ein. Das machte garantiert mehr Sinn, als irgend eine tolle Klamotte, die ich dann sowieso nicht trug. Aus dem Bad griff ich mir noch das Waschzeug und schmiss es dazu. Zufrieden schloss ich den Reißverschluss der Tasche und schob den restlichen Wäscheberg wieder mit meinem Fuss unter das Bett. Ja, so sah mein Zimmer wieder ordentlich aus. Ich lief zurück ins Schlafzimmer meiner Eltern. Mama lag im Bett und knabberte angewidert an einer Brezn. „Spatzl, das tut mir echt leid. Aber der Jeremy ist auch ein ganz Lieber. Du packst das schon." Man sah, dass es ihr richtig mies ging. Trotzdem bemühte sie sich mich aufzumuntern.
Ich musste kurz schlucken. Ja, für Mama würde ich mir alle Mühe geben und sie nicht blamieren. „Und du passt mir gut auf Dodo auf." Papa schaute Andi ernst an. „Nicht das der Linsencowboy oder irgend einer von den Modefuzis seine krummen Finger an sie legt." Boah Papa, ging es noch peinlicher? Wie alt war ich noch einmal? „Sonst singt derjenige ein paar Oktaven höher. Wir haben uns doch verstanden." Ja, es ging noch peinlicher. Andi schien das aber nicht weiter zu stören, denn er schlug mit Papa ein. „Keine Angst. Ich pass schon auf." Na, wunderbar. Er hielt mich also auch für ein Kleinkind. Der würde schon noch sehen, was er davon hatte. Ich würde dieses Wochenende nutzen und ihm das Gegenteil beweisen. Ja wohl, das würde ich. „Genau so und nicht anders, Lucy- Maus", hörte ich schon wieder Nils Stimme. Ich musste da echt vorwärts kommen, bevor ich noch ein echtes psychisches Problem mit Stimmen in meinem Kopf bekam. „Na dann, viel Spaß." Mama winkte uns noch einmal kurz zu und stürzte wieder Richtung Bad. Mit Sicherheit würden wir mehr Spaß als sie haben. Dafür würde ich schon sorgen. Okay, so ziemlich alles war besser als Brechreiz. Aber egal. Ehe ich mich versah, hatte mir Andi meine Reisetasche abgenommen und wie waren auf dem Weg zu seinem Auto. Na dann auf nach Bremerhaven.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt