Kapitel 99

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„Was ist denn hier los? Sind wir schon Onkel und Tante? Sind unsere beiden kleinen Engel schon da?" Nils kam auf mich zugestürzt. Woher wusste der denn nun schon wieder, was hier los war? „Nun sag schon." Er rüttelte an meiner Schulter. Ich zuckte nur mit den Schultern und spürte, wie mir plötzlich Tränen über die Wangen liefen. Man, das dauerte doch schon ewig und der Notarzt war immer noch nicht da. Wenn da jetzt irgendetwas schief lief. Ich musste schlucken. Nein, das durfte einfach nicht passieren. „Ach Lucy-Maus, das geht schon alles gut. Tessa bekommt das hin." Nils zog mich in seine Arme und drückte mir einen Kuss auf meinen Scheitel. Scheinbar sah ich ziemlich mitleiderregend aus. „Als Leo so kurz vor Schluss ausgewechselt wurde, wusste ich doch gleich, dass da etwas im Gange ist", plapperte er weiter. „Ihr hättet mir aber ruhig Bescheid geben können." Der Vorwurf war mehr als nur ein bisschen aus seiner Stimme herauszuhören. Wieder ertönte lautes Klackern von Töppen auf dem Betonboden. Dann war jetzt wohl das Spiel zu Ende. Was machten wir denn jetzt, wenn die da alle rein wollten sich umziehen? Das ging doch nicht. Wie auf Kommando öffnete sich die Kabinentür und Marco erschien und schob zwei riesige Körbe aus der Tür. „Jungs, ihr müsst euch heute woanders umziehen, hier werden gerade meine Enkelkinder geboren und das dauert noch einen kleinen Moment." Die Jungs fingen zum Teil an zu johlen, während der andere Teil nur genervt brummte. Sie schnappten sich die Körbe mit ihren Klamotten und begannen zu wühlen. „So ein Scheiß und ich habe mich schon so auf das Entspannungsbecken gefreut", maulte einer neben mir. „Und ich auf die Dusche", meckerte der nächste. Ja, bei der Duftwolke, die er verströmte, hätte die ihm und seiner Umwelt auch gut getan. Nils rümpfte auch seine Nase. „Das kostet den Weidenfeller aber eine ordentliche Runde", johlte ein anderer. So wie es aussah, störten sie sich aber alle nicht daran sich hier einfach im Gang umzuziehen, denn von einem Moment auf den anderen war ich von schwitzenden, müffelnden Sportlern in Unterhosen umgeben und zu meinen Füßen landeten Trikots und Sporthosen. „Das ist nichts für dich." Nils hielt mir spontan die Augen zu. Ich entfernte seine Hände wieder von meinen Augen. Klar, aber er die Jungs an und sabberte fast. „Wo ist hier die Gebärende?" Ein Arzt samt Sanitäter kamen auf uns zugestürzt und drängelten sich durch die halbnackten Sportler. „Sorry, aber wir sind vor dem Stadion kaum durch die Menschenmenge gekommen", entschuldigte sich der Sanitäter, bevor er in die Kabine verschwand. Wieder begann ich Stoßgebete gen Himmel zu senden. Wie lange konnte es denn dauern bis die Kinder da waren? Andererseits löste sich dieser fette Knoten in meinem Magen. Jetzt war ja wenigstens ein richtiger Arzt da, der Tessa helfen konnte und nicht mehr nur ein Medizinstudent und ein humorvoller Schlitzer und Fleischer. Wieder öffnete sich die Tür der Kabine und der Sanitäter erschien. „Kann mir einer der Herren helfen die Trage zu holen." Die Jungs aus Leos Mannschaft schienen auf Durchzug geschaltet zu haben oder sie waren sich dazu zu fein. Es war ja schließlich schon ein Zumutung, dass die Herren Millionäre nicht ins Entspannungsbecken konnten und sich auf dem Gang umziehen mussten. Nils war wohl auch mehr mit dem Stalken der Männerkörper beschäftigt. „Ich komme mit", schloss ich mich dem Sanitäter an. So musste ich wenigstens auch nicht mehr tatenlos hier rumstehen und warten. In der Mixed Zone war glücklicherweise schon etwas mehr Ruhe eingetreten. „Schaffen Sie es denn noch vor der Geburt ins Krankenhaus?" Der Sanitäter war wenigstens eine Informationsquelle, die ich anzapfen konnte. „Ganz sicher nicht. Mädel, deine Freundin ist schon Mutter. Wir nehmen sie nur noch für die Nachsorge mit." Ich riss meine Augen auf und starrte ihn an. „Die.....die Windel.....Windelpupse sind schon da?", stotterte ich. Er fing an zu lachen. „So hat ihre Mutter sie auch genannt. Ich hoffe mal, sie bekommen noch andere Namen. Aber ja, die beiden sind da und so wie es aussieht munter und kerngesund. Und einen perfekten Geburtsort für Dortmunder Mädels haben sie auch." Erleichtert atmete ich auf. Dann war alles gut gegangen. Ich musste zu kichern anfangen. Tessa hatte sie echt in der Kabine des BVB im Stadion bekommen. Das passte so zu ihr und Leo. Dann war ich ab sofort Patentante. Das.....das fühlte sich super an. Ich beeilte mich mit dem Sanitäter Schritt zu halten. Ein paar Minuten später befanden wir uns schon auf dem Rückweg zur Kabine und mein Herz schlug lauter als die ratternden Rollen der Trage. Diesmal verschwand ich auch einfach mit in der Kabine als Nils uns schon die Tür offen hielt. Mein Puls beschleunigte sich noch mehr als wir auch durch die nächste Tür in das Behandlungszimmer schoben. Und dann... dann sah ich und hörte ich sie. Diese zwei kleinen Knautschgesichter, die leise Geräusche des Unmuts von sich gaben, während sie in BVB Handtücher gewickelt, in den Armen von Leo waren, der neben seiner Frau auf der Liege saß und grenzdebil grinste. Tessa sah ordentlich verschwitzt aus, strahlte aber ihren Mann und ihre Töchter an. Marco stand auf ihrer anderen Seite und ihm liefen die Tränen über die Wangen. Das....das war das totale Familienglück. Das musste unbedingt festgehalten werden. Ich fischte schnell nach meinem Handy und begann zu fotografieren. Ja, das war wohl meine Mutter, die da durchkam. „Wo sind meine Enkelkinder?" Wo kam denn jetzt auf einmal Franzi her? Sie kam durch die Tür gestürzt und lief sofort zu ihrem Schwiegersohn. „Wir haben uns sofort auf den Weg gemacht, als du mich angerufen hast, Schnutzelchen. Aber die Idioten wollten uns nicht zum Stadion durchlassen. Es könnte sein, dass wir einen Anwalt brauchen, weil ich ein paar von diesen Ordnungshütern verdeutlicht habe, was ich gerade von ihnen halte." Franzi zuckte entschuldigend mit den Schultern und beugte sich zu ihrer Tochter, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu drücken. „Die beiden habt ihr super hinbekommen." „Mensch Mama, du hättest auch auf mich warten können." Phil kam auch um die Ecke gehechelt. Wieso war der hier und nicht in Berlin? „Ihr hättet ruhig früher Bescheid geben können. Beim Kalben habe ich mehr Ahnung als der da." Er zeigte lachend auf seinen Zwilling, der ziemlich mitgenommen aussah. „Sei mal nicht so vorlaut. Mein zukünftiger Kollege hier hat gute Arbeit geleistet." Die Frohnatur vom Verein klopfte Max auf die Schulter.  „Dann hast du ja schon drei Kindern aus der Familie auf die Welt geholfen, mein Großer." Franzi umarmte auch ihren Sohn. „Musstet ihr eigentlich zwei Tickets beim Storch buchen oder sind gleich zwei Störche zur Auslieferung gelandet?", gackerte Phil und umarmte erst seine Schwester und dann seinen Schwager. „Wie heißen meine Nichten überhaupt?" Ja, das würde mich auch interessieren. „Alli Lisa und Chrissi Franziska", strahlte Tessa. „Alli als Kurzform von Allison wie..." „Allison Becker", lachte ich und musste an unser Gespräch vom Derby denken. Das war dann der Torwart. „Aber Chrissi?" Ich rieb mir nachdenklich das Kinn und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. „Chrissi als Kurzform von Christiana wie.." „Der gegelte Mistkerl? Nicht euer Ernst." Marco schaute seine Tochter schockiert an. „Lionel war viel besser", empörte er sich. „Aber CR7 war schon immer mein Vorbild..... also gleich nach dir", grinste Tessa ihn an. Das besänftigte ihn wohl. „Chrissi und Alli finde ich toll. Aber hättest du nicht rechtzeitig ins Krankenhaus fahren können?" Franzis vorwurfsvoller Blick sprach Bände. „Das kommt ja von der richtigen", schnaubte Marco. „Sie ist halt ganz deine Tochter." Stimmt da war ja was, also nicht nur bei Mariska. Sie hatte ja ihre ersten Kinder, also Max und Phil, im Berliner Olympiastadion bekommen. Alle fingen an zu lachen „Ja, perfekter geht es nicht. Also ich finde, ich habe das mit unserem Stadion noch viel besser hinbekommen als du mit dem Olympiastadion", strahlte Tessa breit. „Du musst auch alles immer noch übertreffen mit deinem elenden Ehrgeiz", schmunzelte die frischgebackene Oma und bewunderte ihre Enkelinnen. „Na dann wird Dad ja doch noch seine Sparbücher los, wenn sie euch auch bei der Anzahl der Kinder überbieten", unkte Phil grinsend. „Nix da, man muss den Ehrgeiz auch mal im Griff haben." Tessa schüttelte entschieden den Kopf. „Die beiden bleiben Einzelkinder." „Es sind doch aber Zwillinge." Verwirrt schaute sie der Mannschaftsarzt an. „Dann halt Einzelzwillinge. Das ist in unserer Familie so ziemlich das gleiche." Ich musste schmunzeln. Das war echte Tessa Logik. „So, jetzt wollen wir aber ins Krankenhaus." Der Notarzt gab dem Sanitäter ein Zeichen und sie betteten Tessa schnell um, ehe sie sie aus der Kabine schoben. Ich schaute ihr und Leo mit den Babys hinterher. Wahnsinn, ich war jetzt Patentante. Chrissi und Alli! Eins war klar, ich würde immer für die beiden Mädels da sein. Egal, was passierte. Eine fette Gänsehaut lief über meinen Körper und ich begann zu zittern. „Das war ein bisschen viel Aufregung für dich, was?" Ich nickte Phil zu, der einen Arm um mich legte. „Komm, ich fahre dich nach Hause." „Chrissi und Alli", stammelte ich „Wahnsinn!" Er tätschelte meine Schulter beruhigend. Was hatte in meinem Horoskop heute gestanden? Heute wird der Grundstein für eine lebenslange Verbindung gelegt Ich strahlte Phil an. Ja, mein Horoskop hatte recht. Heute war die Verbindung zu Chrissi und Alli gelegt worden und ich würde sie den Rest meines Lebens lieben und beschützen.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt