Kapitel 183

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„Danke", schniefte die oide Brunzkachl- Boah, den Namen musste ich mir aber ganz schnell abgewöhnen - und umarmte mich kurz. „Ich muss jetzt los Carmen von der Schule abholen." Nicht, dass ich sie wieder warten ließ, so wie gestern. „Wie geht es ihr denn? Hat sie alles gut verkraftet?" Ein schuldbewusster Blick begegnete mir. „Wieso hast du die Kleine überhaupt so drangsaliert?" Das wollte ich jetzt echt mal wissen. Genia begann zu schluchzen. „Man, ich habe mir damals doch ständig etwas eingeklinkt. Oder meinst du ich habe das so ertragen mit den anderen Kerlen hinter Andreas Rücken in die Kiste zu hüpfen." Ich musste schlucken. Gab sie gerade echt zu, dass sie Andi betrogen hatte? Und das sie ständig unter Drogen war? Schockiert starrte ich sie an. „Andreas war echt ein ganz lieber. Er hat mich immer an den kleinen Bruder meiner Schulfreundin Paula erinnert und ich dachte mit ihm schaffe ich den Ausstieg." Paula? So hieß doch Andis Schwester auch. Egal. „Aber?" Ich schaute sie neugierig an. „Was aber? Natürlich bin ich da nicht so raus gekommen. Stattdessen habe ich immer mehr von den Scheißpillen gefressen." Scheißpillen. Ein ganz mieses Gefühl überkam mich. „Nimmst du die immer noch?" „Spinnst du? Für wie verantwortungslos hältst du mich. Ich habe damit aufgehört, als ich wusste, dass ich schwanger bin. Das war total hart, weil ich die ganze Scheiße bei Carlo dann unvernebelt mitbekommen habe." Bei dem Gedanken bekam ich sofort eine fette Gänsehaut. Das war total gruselig. „Aber das war doch trotzdem kein Grund Carmen so zu quälen und zu vernachlässigen!", empörte ich mich. Denn egal wie mies es einem ging, konnte man das doch nicht an einem unschuldigen kleinen Kind auslassen. Schließlich war man doch selbst an seiner Lage schuld. „Manno, sie sah genauso aus, wie ich mir meine kleine Tochter damals immer vorgestellt habe. Mit diesen blonden Haaren und den kleinen Rattenschwänzen. Und diese blauen Augen. Sogar den Namen hatte ich damals ausgesucht. Ich wollte die Kleine auch Carmen nennen, weil ich die Oper immer so schön fand." Die oide Brunzkachl und Oper. Das hätte ich nie erwartet. Genauso wenig wie die dicken Kullertränen, die ihr jetzt über die Wangen liefen. „Und als ich dann Andis Tochter kennengelernt habe, wollte ich einerseits ihr alles das geben, was ich meiner Tochter nie geben konnte. Die Spitzenkleider und so. Und andererseits konnte ich die Kleine kaum ertragen, weil sie mich an meinen größten Verlust erinnert hat." Die letzten Worte waren mit einem heftigen Schluchzer verbunden. Auch wenn das eine Menge erklärte, konnte ich es trotzdem nicht komplett nachvollziehen. „Das ist doch aber kein Grund sie so zu quälen", machte ich meinem Unverständnis Luft. „Der Kleinen hätte sonst was passieren können, als sie aus Angst vor dir abgehauen ist." Noch mehr Tränen quollen aus ihren Augen. „Meinst du das weiß ich nicht? Jetzt! Aber zu dem Zeitpunkt war ich total zugedröhnt. Du hältst mich für total unfähig mit Kindern umzugehen, stimmt's? Und das Jugendamt wird es auch wieder so sehen und mir das Kind wieder wegnehmen." Ihre Verzweiflung war greifbar. Aber dann hieß das ja.... „Du willst das Kind behalten?", fragte ich überrascht. Bis jetzt war ich mir da nämlich nicht ganz so sicher und hatte schon überlegt, ob wohl ein Gespräch mit Tessa helfen könnte, sie dazu zu überzeugen. So von Mutter zu Mutter. Ich fand nämlich, dass ein Kind absolut zu seiner Mutter gehörte. „Das traust du mir wohl nicht zu, Kindermädchen!" Diesmal war es aber durchaus provozierend. Sie winkte mit ihrer Hand ab. „Ich traue es mir ja selbst nicht zu. Wie soll das funktionieren. Ich habe nicht mal mehr einen Job, wenn man das überhaupt so nennen kann, wenn man anschaffen geht. Was soll ich dem Kind schon bieten?" „Wie wäre es mit Liebe und Zuwendung?" Sie schnaubte kurz. „Du lebst wirklich in einer rosa Wolke, Kindermädchen. Von Liebe und Zuwendung wird man nicht satt." So langsam reichte es mir mit dieser Provokation wieder und damit, dass sie mich wie ein Kleinkind behandelte. „Nee, das weiß ich auch, Bärbel." Ja, provozieren konnte ich auch. „Aber wenn du deinen Arsch hochbekommst, dann findest du auch einen Job. Oder kannst du nur die Sprache der Liebe und Beine breit machen, Bärbel?" Sie schaute mich mit aufgerissenen Augen an und begann zu grinsen. „Das Kindermädchen solche Worte sagen zu hören, hätte ich nicht erwartet. Nee, ich kann sogar vier Sprachen fließend." Wunderte mich das? Eigentlich nicht bei ihrem Hintergrund, den ich ja nun kannte. „Ich kann Englisch, Französisch", sie kicherte kurz „auch sprechen. Und Spanisch und Italienisch, du Fußballergöre." Na damit sollte sich doch wohl absolut ein Job finden lassen. „Dann solltest du auch Geld auf normalem Weg verdienen können, um dein Baby und dich finanzieren zu können, Professorentöchterchen." Ihr Blick verfinsterte sich sofort wieder. „Nenn mich nie wieder so!", funkelte sie mich an. Ups, da war ich wohl über das Ziel hinausgeschossen. Mist, hoffentlich hatte ich damit nicht wieder unsere fragile Basis zerstört. „So, jetzt seh lieber zu, dass du Land gewinnst und den kleinen Satansbraten abholst." Wie hatte sie Carmen gerade wieder genannt? Das war doch wohl nicht wahr. „Carmen ist kein Satansbraten!", fauchte ich sie an. Scheiß doch auf fragile Basis. So nannte niemand die Kleine. Die oide Brunzkachl fing an zu lachen. „Bei dir vielleicht nicht, aber egal was ich mit ihr angestellt habe, glaube mir, die Kleine hat auch ganz gut ausgeteilt. Die ist echt nicht ohne und weiß sich ganz gut zur Wehr zu setzen." Das war ja auch gut so. Wer weiß, wie sie das sonst alles verkraftet hätte. „Du bist echt wie eine Löwenmutter für die Kleine. Man könnte meinen sie wäre wirklich deine eigene Tochter. Und sie liebt dich abgöttisch. Manno, war ich darauf eifersüchtig. Aber du hast das echt geschickter angestellt als ich und dir Andreas über die Kleine gekrallt. Da kann ich nur den Hut ziehen." Wie, ich hatte mir Andi über die Kleine gekrallt. Das stimmte doch gar nicht. Ich mochte Carmen schon immer und das mit Andi war dann dazugekommen. „Das war keine Berechnung. Das hat sich so ergeben", verteidigte ich mich. „Ja, klar. Sei dir auch gegönnt. Ihr gebt bestimmt eine total süße kleine Familie ab. Bestimmt wohnst du doch schon bei den beiden." Ich verzog das Gesicht. Also offiziell nicht, aber inoffiziell irgendwie schon, denn ich war kaum noch bei Papa und Mama zu Hause. „So und jetzt sehe zu, dass du die Kleine nicht warten lässt, Kindermädchen", grinste sie und zwinkerte mir zu. Die oide Brunzkachl schob mich zur Tür. „Bis morgen und wenn etwas ist, dann..." „dann melde ich mich", unterbrach sie mich. Bevor sich die Tür hinter mir schloss, hörte ich sie ganz leise Danke sagen. Irgendwie war das Ganze total komisch gelaufen und ich hatte eine Menge über was ich nachdenken konnte. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich auf einem guten Weg war, der oiden Brunzkachl - ähm Genia - zu helfen. Und das Gefühl erfüllte mich mit Freude.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt