„Lucy!" Carmen krallte sich an mir fest. Andi und die Brunzkachl waren weit und breit nicht zu sehen. „Na endlich haben wir Sie gefunden." Eine Frau mittleren Alters in blau gelber Kleidung kam auf mich zugestürzt. Sie war unschwer als Mitarbeiterin auszumachen. Aber wieso hatte sie mich gesucht? „Wir haben Sie seit einer halben Stunde ausgerufen, damit Sie Ihre Schwester wieder aus der Kinderbetreuung abholen. War Ihnen nicht bekannt, dass wir um 20 Uhr dort schließen? Ich habe schon seit einer Viertelstunde Feierabend." Sie schaute mich vorwurfsvoll an. Musste ich das verstehen? Was hatte ich denn mit ihrem Feierabend zu tun? „Na dann, noch einen schönen Abend." Sie drehte sich um und marschierte davon. „Was war denn das?" Maja schaute mich auch total verwirrt an. Ich zuckte mit den Schultern. „Die dachte bestimmt, du bist Carmens Schwester." Wahrscheinlich hatte Mika mit seiner Vermutung recht. „Aber sie hat auch gesagt, dass sie Andi schon die ganze Zeit ausgerufen haben. Der überhört sowas doch nicht." „Papa ist nicht hier. Marlen hat mich da abgegeben", klärte uns die Kleine auf. „Okay, dann müssen wir noch einmal ausschwärmen und sie suchen", schlug Mika vor. Ich nickte und fragte mich, wie man das Ausrufen nicht wahrnehmen konnte, wenn man wusste, dass man ein Kind, für das man verantwortlich war, in der Betreuung abgegeben hatte. Es kam doch oft genug vor, dass die Kinder vom Spielen genug hatten und abgeholt werden wollten. Ganz zu schweigen davon, dass ja auch bei der besten Aufsicht mal etwas passieren konnte. „Ich nehme die obere Etage, du mit Carmen die untere und du, Maja das Restaurant", teilte Mika die Suchkommandos ein. Also eins war klar, wenn ich die Brunzkachl traf, konnte sie sich auf was gefasst machen. „Die Tante aus der Betreuung ist mit mir schon überall suchen gewesen. Auch im Restaurant", erklärte uns Carmen niedergeschlagen. „Wir haben Marlen nirgends gefunden. Und ich habe ganz dollen Hunger und Durst." So jämmerlich wie sie bei ihrem letzten Satz schaute, musste sofort Abhilfe geschaffen werden. „Ihr beide geht hier suchen und ich gehe mit Carmen zum Hotdog-Stand", änderte ich also schnell den Plan. Maja und Mika nickten und setzten sich in Bewegung. „Komm, du bekommst jetzt erst einmal einen Hotdog und etwas zu trinken." Sofort bekam ich ein wildes Kopfnicken als Antwort und wir quetschten uns schnell an der Kasse durch. „So, wir müssen aber immer die Kassen im Auge behalten, falls da gerade irgendwo Marlen kommt." Ich stellte mich so in die Schlange, dass ich sowohl die Kassen als auch den Ausgang im Blick hatte. Nicht, dass uns die Brunzkachl hier entwischte. „Vier Hotdogs und zwei Softdrinks", bestellte ich als wir endlich an der Reihe waren. Scheinbar war halb Dortmund an einem Samstag Abend hier. Hatten die alle kein Zuhause? „So, was magst du da rauf haben?" „Röstzwiebeln, Ketchup, Senf und Gurke", kam sofort die Antwort von Carmen. „Also einmal alles", grinste ich. Genau, wie ich es auch mochte. „Sind die anderen beiden Hotdogs für Mika und Maja?", schmatzte Carmen, während sie auf den zweiten in ihrer Hand schielte. Ich schüttelte den Kopf „Nee, das sind für jeden von uns zwei. Oder hast du nicht so großen Hunger?" Zur Not würde ich halt drei verputzen. „Doch", grinste die Kleine und hielt mir ihren leer getrunkenen Becher hin. „Und Durst habe ich auch noch." Das konnte ich mir gut vorstellen. Bestimmt hatte sie in dem Bällebecken wieder Vollgas gegeben. Schnell schob ich ihr meinen Getränkebecher hin.
„Also ich habe sie nirgends gefunden und ich habe wirklich alle Gänge abgeklappert." Mika kam kopfschüttelnd und ziemlich außer Atem zu uns. „Maja hat sie auch nicht gefunden. Sie zahlt nur noch schnell ihren Kram an der Kasse." Verflucht, wo hatte sich diese Trutschn versteckt? Mir kam ein spontaner Gedanke. „Weißt du noch, wo ihr geparkt habt?", wandte ich mich an Carmen, die sofort eifrig nickte. „Komm dann gehen wir mal schauen, vielleicht ist Marlen ja am Auto." Ich hoffte mal nicht, dass sie einfach schon weg war und die Kleine hier vergessen hatte. Aber nee, so etwas machte doch kein normaler Mensch. „Da, da ist das Auto." Carmen zeigte ganz aufgeregt auf Andis Wagen. Na wenigstens musste die Olle dann ja hier noch irgendwo sein. Wieso brannte denn da im Auto die Innenbeleuchtung? Ich lief mit Carmen an meiner Hand dichter an den Wagen heran. Als wir zwei Meter entfernt waren, öffnete sich auf einmal die Beifahrertür und ein Mann stieg aus. „Wir sehen uns dann in einer Stunde bei mir", rief er noch ins Autoinnere. Musste ich das verstehen? Carmen riss sich von meiner Hand los und stürzte zur Fahrertür. Ehe ich mich versah, hatte sie die aufgemacht. „Du Bitch hast mich in der Betreuung vergessen." Ups, woher kannte Carmen diesen Ausdruck? „Habe dich nicht so, du kleiner Rotzlöffel. Du hast ja auch alleine hierher gefunden." Ich hatte mich doch wohl verhört. Wie hatte die gerade Carmen genannt? „Ich glaube ja wohl es geht los", brüllte ich sie an. So konnte man doch nicht mit einer Siebenjährigen sprechen. Genaugenommen konnte man mit niemandem so sprechen. „Ach, das Kindermädchen. Perfekt." Wie hatte die mich gerade wieder genannt? Und was kramte die denn in der Tasche herum? Wir hatten hier etwas zu klären. „Hier sind drei Grüne. Dafür schaffst du mir die Blage vom Hals und bringst sie mir morgen pünktlich um 16 Uhr nach Hause." Sie drückte mir drei Hunderteuroscheine in die Hand. Ehe ich überhaupt reagieren konnte, startete sie den Motor und gab Gas. Das träumte ich doch wohl gerade. „Juhu, ich darf bei dir bleiben." Carmen schien weit weniger geschockt als ich, so wie sie jubelnd neben mir hüpfte. Okay, bei der Ansprache eben, war das auch kein wirkliches Wunder. „Und ist das Auto noch da?" Maja kam mit Mika im Schlepptau zu uns. „Es war noch da, aber sie ist einfach abgehauen und hat mir das Geld in die Hand gedrückt." Ich wedelte damit in meiner Hand herum. „Ich soll auf Carmen bis morgen Nachmittag aufpassen." „Ja klar!" Mika schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Andi kommt morgen Abend erst wieder. Papa hat ihn heute früh zum Flughafen gebracht. Er ist bei einem Shooting in München." Okay! Gut, dass wenigstens Mika das wusste. Dann konnte ich es mir sparen ihn anzurufen. „Was machen wir denn jetzt? Ich habe ja nicht einmal einen Kindersitz mit", stöhnte ich verzweifelt. Wäre es so schwer gewesen, mir den wenigstens noch aus dem Auto zu geben, wenn die oide Brunzkachl schon nicht einmal fragte, ob ich überhaupt Zeit hatte. „Also ich habe ja Mamas Auto und da ist der von Mari drin. Wenn du willst, kannst du den haben." Erleichtert nickte ich Maja zu. „Komm dann holen wir den schnell und dann muss ich auch langsam zur Warenausgabe." „Ich kann ja mit Maja mitfahren und ihr beim Tragen helfen", bot Mika an, als wir vor Franzis Auto standen. „Dann musst du mich auch nicht erst noch nach Hause fahren. Ich glaube, da ist jemand schon ganz schön müde." Sein Blick ging zu Carmen, die wirklich schon ziemlich k.o. aussah. Kein Wunder bei der ganzen Aufregung. „Prima Idee. So machen wir das. Und ich bringe euch dann den Kindersitz morgen vorbei, wenn ich Carmen Zuhause abgeliefert habe." „Lass dir Zeit. Wir haben mehr als nur den einen", winkte Maja ab. Mit der Sitzerhöhung unter dem einen Arm und Carmen an der anderen Hand machte ich mich auf den Weg zu Erwin. „Darf ich vorne bei dir sitzen. Und darf ich heute bei dir mit im Bett schlafen? Liest du mir auch noch eine Geschichte vor? Oder können wir noch den Film mit Sailor Moon gucken?" Na scheinbar war die Müdigkeit ja wie weggeblasen, so wie sie auf einmal wieder an meiner Hand los hüpfte. Dann hatte sich meine Samstagabend-Planung wohl spontan geändert. Wieder fiel mir mein Horoskop von heute ein, als ich die Kleine anschnallte. Sie werden heute zum Helden und Retter. Dann war ich wohl nicht Möbel-Superwoman sondern Sailor Warrior. Macht der Mondnebel, macht auf! Hier kommt Sailor Moon.
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Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️
RomanceLucy kommt sich so langsam wie das letzte Einhorn vor. Alle ihre Freundinnen haben einen Freund, nur sie nicht. Und der Kerl für den sie schwärmt, sieht in ihr alles mögliche - die Babysitterin und die Tochter seiner Kollegin - aber nicht das, was s...