Kapitel 60

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„Verzieh dich einfach wieder zu deinen Freunden und lass mich in Ruhe", fuhr Leo mich wütend an. „Hattet ihr viel Spaß daran euch auszumalen, wie ihr meine Hochzeit crasht und alles kaputt macht?" Wütend schüttelte sie ihren Kopf und ein paar ihrer Locken, die sich aus der Hochsteckfrisur gelöst hatten, fielen ihr ins Gesicht, während weitere Tränen über ihre Wangen kullerten. „Ich habe echt immer gedacht, ihr seid meine Freunde." Jetzt ließ sie ihren Kopf hängen. „Wir sind doch deine Freunde", begehrte ich schnell auf, aber sie reagierte überhaupt nicht. Was sollte ich denn jetzt machen? Am besten die Chance nutzen und weiterreden. Wenn ich es schaffte ihr die ganze Situation richtig zu erklären, dann musste sie das doch verstehen und konnte gar nicht mehr sauer sein. Und wenn sie gar nicht zuhörte? Ach, das war Quatsch, wenn sie hier in der Stille dieses Hügels neben mir saß, wie sollte sie da nicht zuhören, wenn sie sich nicht gerade die Ohren zuhielt. Und das tat sie nicht. Außerdem, welche Möglichkeit gab es denn sonst noch? Keine! Also begann ich loszubrabbeln. „Und Tessa und Leo haben es extra geheim gehalten, um eure Hochzeit nicht zu beeinflussen. Sie wussten doch wie wichtig euch die ist und für sie war das nur eine Sache für sie beide", beendete ich meinen Monolog. Keine Ahnung, wie lange ich auf sie eingeredet hatte, ohne auch nur eine Reaktion zu bekommen. Ich schaute zu Leo, die mittlerweile zwar nicht mehr mit hängendem Kopf dasaß, aber mich keines Blickes würdigte, sondern nur stur auf den See starrte. Manno, konnte sie denn nicht irgendetwas sagen? Was sollte ich denn jetzt machen? Sollte ich einen weiteren Monolog führen und alles noch einmal mit anderen Worten auf sie einprasseln lassen? Oder sollte ich einfach nur abwarten, ob sie doch noch irgendetwas sagte. So ganz ohne Feedback war eine Unterhaltung nämlich ziemlich anstrengend. Ich entschied mich dafür einfach auch auf den See zu starren. Da unten war die Feuerwehr immer noch mit dem Bergen der Boote beschäftigt. „Und der Leo hat Tessa mit der Hochzeit echt übertölpelt und du hast ihm dabei geholfen?" Ich schaute zu Leo, die immer noch auf den See starrte. Okay, da war eine Reaktion. Da konnte ich doch drauf aufbauen. „Ja, er wollte halt gerne heiraten, um Tessa und die Kinder abzusichern." Man, hörte sich das blöd an. „Und weil er sie liebt", setzte ich schnell nach. „Und er hatte Angst, dass Tessa es sich noch einmal überlegt, wenn er nicht sofort Nägel mit Köpfen macht. Du weißt ja, was Tessa eigentlich vom Heiraten hält." „Das ist ja auch richtig, dass die Kinder den gleichen Namen wie beide Eltern haben und in einer stabilen Familie aufwachsen." Also ein Trauschein war zwar kein Garant für eine stabile Familie, aber wenn das ein Argument war für Leo, die ganze Sache besser zu schlucken, dann wollte ich ihr da mal lieber nicht widersprechen. „Aber warum habt ihr uns nicht eingeweiht? Max und ich wären doch auch gekommen." Okay, kein wirklich wütender Ton mehr, sondern nur Enttäuschung. Das war doch gut, oder? „Dann hätte doch Marco davon mitbekommen und dann wäre nichts mehr mit der kleinen Stadionhochzeit gewesen. Außerdem wussten wir doch bis zum letzten Augenblick nicht, ob Tessa überhaupt ja sagt." Leo stieß einen kleinen Schnauber aus „Oh ja, dafür waren wir ja vorgesehen Marco glücklich zu machen und ihm seine Traumhochzeit zu ermöglichen. Tja schade Marmelade, dass das nun alles futsch ist." Leo schaute mich verbittert an. Wie meinte sie denn das? „Wieso ist denn nun alles futsch?" „Weil die Hochzeit geplatzt ist dank Tessa. Sie und ihre heimliche Heirat haben Max und meine Hochzeit verhindert. Oder meinst du wir bekommen jetzt noch einmal auf die Schnelle einen Termin im Standesamt und können dann morgen das Ding in der Kirche durchziehen." „Ihr seid doch rechtskräftig verheiratet. Das hat der Standesbeamte jedenfalls gesagt, nachdem du abgehauen warst." Leo schaute mich mit aufgerissenen Augen an „Echt jetzt?" Ich nickte. „Dann heiße ich jetzt Leokardia Reus." Wieder nickte ich. „Oh Mann, Max wird so sauer auf mich sein, dass ich einfach abgehauen bin." Leo schossen sofort wieder ein paar Tränen in die Augen. „Bestimmt lässt er sich gleich wieder von mir scheiden", schniefte sie. Diesmal schüttelte ich den Kopf und zog sie in eine Umarmung. „Garantiert nicht, so verzweifelt wie er dich gesucht hat." Mein Blick fiel über ihre Schulter und ich sah in einiger Entfernung Andi stehen, der uns beobachtete und den Daumen nach oben zeigte. Mist, ich hatte ja in der Aufregung ganz vergessen ihm Bescheid zugeben, dass ich Leo gefunden hatte. Mit einem weiteren Handzeichen deutete er auf sein Handy. Das sollte dann wohl bedeuten, dass er den anderen Bescheid gab. Und dann deutete er noch Richtung Auto und setzte sich in Bewegung. Dann wartete er wohl da auf uns. Eine Frage ploppte in meinem Kopf auf. „Wieso meintest du eigentlich, dass ihr vorgesehen wart für Marcos Traumhochzeit?" Leo löste sich aus meiner Umarmung und schaute mich an „Naja Max ist doch der Erstgeborene und schon immer wurde von unserer Hochzeit erzählt. Genau wie Marco immer schon angefangen hat mit seinem Enkelkind Gequatsche. Weißt du noch, als er den Schwangerschaftstest von Jasi gefunden hat? Da hat er auch gleich Max und mich in Verdacht gehabt und gefeiert." Oh ja, daran konnte ich mich noch gut dran erinnern. „Dann willst du eigentlich gar kein Kind?" So viel wie sie davon erzählte, wunderte mich das schon. „Doch, aber....", sie stockte kurz und winkte ab „Ach, ist ja auch egal." Ich schüttelte meinen Kopf „Nee, ist es nicht." „Manno, alle erwarten doch von Max und mir, dass wir das erste Kind bekommen. Das wird ja nun nichts mehr. Und dass wir als erste heiraten. Auch das hat nicht funktioniert. In beidem ist uns Tessa zuvor gekommen. Einfach so..." Ich sah, wie sie schluckte. „Dabei haben wir doch nur versucht alle glücklich zu machen und alle Erwartungen zu erfüllen." Ich schaute sie schockiert an. „Aber ich dachte..." Sie ließ mich gar nicht aussprechen. „Marco hat doch immer von einer riesigen Hochzeit geschwärmt und irgendwie wollte ich auch meinem blöden Vater eins auswischen. Er steht doch so auf Luxus und kann sich den nicht mehr leisten. Er sollte sehen, dass es uns ohne ihn viel besser geht." Ein wütendes Schnauben entrang sich ihr. „Mir wäre es doch auch scheißegal, wie, wann und wo ich heirate. Nur Max ist wichtig. Aber alle sagen, dass man die erste Hochzeit richtig groß und mit allem feiern muss, damit man es später irgendwann nicht bereut." Sie zuckte mit den Achseln „Ich wollte halt alles richtig machen und Max und alle anderen nicht enttäuschen. Und das habe ich jetzt", schluchzte sie auf. Sofort legte ich meinen Arm wieder um sie. „Hast du nicht. Du warst die perfekte Brautzilla", rutschte es mir heraus. Ihr Kopf schoss hoch „Wie hast du mich genannt?" Mist, warum hatte ich nicht mal kurz meinen Kopf einschalten können. „Brautzilla", antwortete ich kleinlaut. „Du hast uns halt mit dem ganzen Hochzeitskram echt fertig gemacht." Ungläubig schüttelte sie ihren Kopf, ehe sie ihn in ihre Hände sinken ließ. „Scheiße, ihr habt mich alle so genannt. Ich war echt ganz schön drüber. Oder?" Sie schaute mich an und ich nickte. „Ich wollte doch alles nur richtig machen und alle Erwartungen erfüllen. Weißt du, wie oft ich mich überfordert gefühlt und versucht habe, es mir nicht anmerken zu lassen?" So langsam ja. „Was soll ich denn jetzt machen? Die werden doch alle total sauer auf mich sein? Marco wird kochen. Weißt du eigentlich, wie teuer diese Scheißfeier ist?" Ich konnte es nur in etwa erahnen. „Also erstens entlädt sich Marcos Wut erst einmal auf Tessa und Leo und zweitens warten alle auf dich im Restaurant zum Hochzeitsessen." Leo riss ihre Augen auf „Echt?" Ich nickte zum wie vielten Mal auch immer. Mir fiel ein uralter Spruch von meiner Oma ein „Und drittens ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich völlig ungeniert." Leo gluckste. „Meiner ist ja ziemlich ruiniert. Aber ich sehe bestimmt gruselig aus. So kann ich doch nicht da jetzt hingehen." Ich schaute sie an „Also du gibst einen passablen Panda ab, trotz des wasserfestem Make up. Du hast doch garantiert welches genommen, oder?" Leo grinste mich an „Heiße ich Brautzilla, oder was? Natürlich war das wasserfest." Ich musste auch lachen. Diesmal umarmte mich Leo. „Danke, dass du mich gefunden und mir das alles erzählt hast. Wie hast du mich überhaupt gefunden?" Ich erzählte ihr von ihrem Horoskop, während wir mit einem Taschentuch ihr Gesicht wieder auf Vordermann brachten. „Andi wartet also auf uns?", stellte sie fest und schüttelte ihre Locken auf, nachdem sie die Haarnadeln aus ihrer Hochsteckfrisur gezogen hatte.  Nachdenklich drehte sie sich zum See und starrte darauf. Was war das denn schon wieder? Verflucht, ich hatte sie doch schon fast so weit, dass sie mitkam und jetzt dieser Rückschritt. „Ich habe gerade auf dem See die Lösung des Problems gefunden", grinste Leo mich plötzlich an „Und du wirst mir dabei helfen." So wie sich mich anschaute, hatte ich wohl keine andere Wahl, auch wenn mich das vielleicht in Teufelsküche brachte. Ich dachte an mein kurzes Versprechen vorhin bei meinem Stoßgebet. Dann war jetzt wohl Zahltag. „Komm mit. Wir fahren jetzt ins Restaurant." Ja, sie war fest entschlossen, so wie sie mich an meiner Hand von der Bank zog. „Nehmt euch in Acht, Brautzilla kommt.", gackerte sie „Das wird euch allen noch leid tun." Das fürchtete ich auch. Und viel schlimmer noch. Ich hing wieder mittendrin.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt