Kapitel 172

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Meine Finger flogen über die Tastatur und meine Ohren waren auf Radar gestellt, falls jemand kam. Tada, ich war drin. Mein Spannung war bis in die Haarspitzen angekommen. Das gab garantiert Ärger, wenn mich jemand erwischte. Bingo! Schnell noch ausdrucken und herunterfahren. Mein Herzschlag war im Höchstleistungsbereich angekommen, als ich das ausgedruckte Papier faltete und in meiner Hosentasche verschwinden ließ. Jetzt musste ich nur noch in Andis Büro. Ich schnappte mir schnell einen Notizzettel vom Block und malte ein Herz darauf. Für eine kurze Liebesbotschaft hatte doch garantiert jeder Verständnis. Mit dem Zettel in der Hand eilte ich los. Wer wusste schon, wie lange Tessa Jasi in Schach halten konnte oder wann das blöde Telefon wieder losging. Mein erster Weg führte mich deshalb auch zu Andis Ordner, die ordentlich in einem Regal hinter seinem Schreibtisch aufgereiht waren. Ein Blick sagte mir, dass der gesuchte Ordner nicht dabei war. Klar, er war ja auch privat. Also ließ ich mich schnell auf den Schreibtischstuhl gleiten und zog eines der Fächer auf. Nee, da waren nur Stifte und eine Kamera. Mist. Okay, dann das nächste. Wieder nichts. Nur blöde Prospekte. Verflucht nochmal, wo hatte er die Unterlagen versteckt? Das konnte doch wohl nicht sein. Ein Fach blieb aber noch. Bingo. Ein Ordner mit der Aufschrift Privat in Andis Handschrift sprang mich fast an. Schnell schnappte ich ihn mir und begann zu blättern. Perfekt, da war das Schreiben vom Anwalt und eine Zustellurkunde. Ich schaute mich um. Scheinbar war hier ja noch alles ruhig. Mit den Blättern in der Hand flitzte ich zum Kopierer. Wieder rastete mein Herz vor Aufregung aus. Das schlug schneller als nach dem letzten Angriff in der 90. Minute, wenn ich das Leder zum Sieg im gegnerischen Tor versenkte. Das konnte keinesfalls gesund sein. Egal. Manchmal zählte eben nur der Erfolg. Zufrieden faltete ich auch die Kopien und stopfte sie in meine Hosentasche. Ich fuhr meine Radarohren hoch. So wie es sich anhörte, waren Jasi und Tessa noch am Quatschen. Das war gut. Flotten Schrittes marschierte ich wieder in Andis Büro und ordnete die Blätter in den Ordner, ehe ich ihn wieder im Schubfach versenkte. Puh, das war geschafft. Erleichtert atmete ich auf. „Was machst du denn hier, Spatzl?" Erschrocken schaute ich auf. Wo kam denn Mama auf einmal her? Ich hatte sie gar nicht kommen hören. Verflucht, wie lange stand sie da schon an der Tür? Und wieso war sie nicht mehr in Düsseldorf? „Ähm...ich..." Verflucht, was sollte ich denn sagen? Wortlos hob ich den Notizzettel mit dem Herz und winkte ihr damit. „Ach, du wolltest einen kleinen Liebesgruß hinterlassen. Das ist ja süß. Aber du bist doch nicht deshalb nur hergekommen?" Wusste sie was? So ernst wie sie mich anschaute. Ich schüttelte den Kopf. Manno, ich konnte sie doch jetzt nicht einfach anlügen. Aber wenn ich ihr die Wahrheit sagte, war sie garantiert auch sauer und würde mir einen durchaus berechtigten Vortrag über Vertrauensbruch halten. Alleine bei dem Gedanken drehte sich mein Magen schon einmal um seine eigene Achse. „Ähm ..... also...", stotterte ich los. Was sollte ich denn sagen? Verflucht! Mein Kopf war gerade total leer. Konnte mir der Himmel nicht einen rettenden Engel schicken? „Was macht ihr denn hier in meinem Büro?" Herrgottkruzinoamoi, doch nicht Andi. Obwohl?! Wo kam der denn nun auch noch her? „Luz, das ist ja eine Überraschung." Er zog mich in seine Arme und küsste mich zur Begrüßung. „Du wusstest doch aber, dass ich heute eigentlich den ganzen Tag in Wuppertal bin." Jetzt musterte er mich auch noch genauso wie Mama. Mist, Mist, Mist. Was sollte ich denn nur machen? „Ich.....ich..." Manno, das Stottern machte mich ja noch verdächtiger. Ich schluckte einmal fest. Dann musste ich halt doch mit der Wahrheit herausrücken. Das war doch überhaupt kein Problem. „Ich habe nur eine Nachricht auf deinen Schreibtisch gelegt", fuhr ich mit fester Stimme fort. Andi machte einen langen Hals und griff an mir vorbei nach dem Zettel. „Luz, das ist süß." Manno, liebte ich dieses Schmunzeln von ihm. „Aber deshalb bist du doch nicht extra hierhergefahren? Du wolltest doch eigentlich mit Tessa nach einem Kleid für die Zeugnisverleihung suchen." „Will sie ja auch. Ich musste nur kurz noch etwas mit Jasi besprechen." Endlich schickte der Himmel den richtigen Engel. Erleichterung machte sich in mir breit, als Tessa hinter Mama auftauchte und Jasi im Schlepptau hatte. „Habt ihr gestern nichts gefunden?" Mama schaute mich verwundert an. „Was?" Gestern hatten wir doch noch nach nichts gesucht. Gestern hatten wir doch erst die Brunzkachl entdeckt. Und woher wusste sie das jetzt doch? „Na ein Kleid!" Mama schüttelte ihren Kopf, als hielt sie mich gerade nicht für ganz zurechnungsfähig. „Andi, wenn du in ihrer Nähe bist, weiß sie nicht einmal mehr, was sie gesagt hat", lachte sie. „Nee, gestern waren die Windelpupse dabei, da war das schwer", griff Tessa ein. Dankbar lächelte ich ihr zu. „Da mein Termin geplatzt ist, kann ich euch ja begleiten." Wie bitte? Nein! Auf gar keinen Fall! Das würde ja unseren Plan zerstören. Obwohl einen wirklichen Plan hatten wir ja noch nicht. Also außer der Brunzkachl helfen. „Ja, cool." Hatte Tessa einen Vollknall? Das war überhaupt nicht cool. „Und du kümmerst dich dann schnellsten um das Shooting mit den Windelpupsen?", wandte sie sich wieder an Jasi. So langsam verstand ich nur noch Bahnhof. Was sollte das alles? Tessa machte plötzlich ein ganz nachdenkliches Gesicht. „Wenn ich ehrlich bin, möchte ich, dass Lisa das Shooting macht. Ich will keinen anderen Ahnungslosen, der meine Babys fotografiert." „Was für ein Shooting?", fragte Mama sofort interessiert. „Vielleicht weihst du sie gleich ein", wandte sich Tessa an Jasi. „Bestimmt wäre ein fertiges Konzept am besten, um Kehli zu überzeugen", setzte sie noch nach. „Und wir beide folgen jetzt unserer Mission." Tessa hakte sich bei mir ein und zog mich mit sich. War sie verrückt? Sie konnte doch nicht so ein blödes Wort fallen lassen, ohne damit zu rechnen, dass das neue Fragen aufwarf. „Welche Mission?" Das war ja klar, dass Mama und Andi sofort zu schnüffeln begannen. Und das sogar gleichzeitig. Toll, was sollten wir denn antworten, ohne sie noch weiter misstrauisch zu machen? Das war heute echt verflucht. „Na Mission Abifummel", kicherte Tessa und drehte sich wieder um. „Viel Erfolg", rief uns Andi noch hinterher. „So, jetzt aber Handgas, Watson.", zischelte mir Tessa zu, als hinter uns die Agenturtür zu fiel. „Und bist du fündig geworden?" Ich nickte und zog die Blätter aus meiner Hosentasche. „Na dann los die alte Brunftkachel finden,Watson." „Oide Brunzkachl, Sherlock", korrigierte ich wieder. Tessa winkte ab „Egal, wie wäre es mit der alten schwangeren Auster?" Ich kicherte und nickte. „Ja, das passt mittlerweile wohl besser." Im Geiste fügte ich noch ein hungrige und verwahrloste hinzu. Sie brauchte garantiert unsere Hilfe. „Wir müssen uns beeilen, schließlich brauchen wir ja auch für dich noch den Fummel zur Entlassung aus dem Bildungsknast." Sie schaute mich fragend an. „Erst Fummel oder erst schwangere Auster?" „Erst schwangere Auster", schoss es mir sofort aus dem Mund. „Du weißt doch wie schlimm Hunger ist. Ein Kleid finde ich schon irgendwann noch. Wenn nicht ziehe ich ein altes an." „Oder du bekommst eins von mir. Mama hat mir erst wieder welche aus ihrer neuen Kollektion angeschleppt." Tessa schüttelte ihren Kopf. „Sie gibt die Hoffnung scheinbar nie auf. Aber da waren auch echt coole Jumpsuits dabei. Die würden dir garantiert super stehen." Na das war doch die perfekte Lösung, damit ich heute Abend Andi etwas unter die neugierige Nase halten konnte. Und wenn ich den nächsten Wochen noch etwas Cooleres fand, war das auch egal. „So, wo müssen wir jetzt hin?" Tessa schnappte sich das erste Blatt aus meiner Hand. „Die Straße kenne ich", grinste sie sofort. „Das ist aber nicht gerade die beste Gegend in der Nordstadt. Aber wir hatten ja auch nicht wirklich eine Prunkvilla am Phönixsee erwartet. Während ich fahre, kannst du ja schon einmal die Handynummer antesten, Watson." Tessa öffnete Constantin von Durstig und ließ sich in den Fahrersitz gleiten. Hoffentlich war unsere Mission erfolgreich. Ich wollte einfach nicht, dass es einer Schwangeren schlecht ging. Auch nicht, wenn es die oide Brunzkachl war. Das hatte einfach niemand verdient, auch wenn er uns so übel mitspielen wollte und so viel Mist verzapft hatte. Man musste Menschen auch eine Chance geben.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt