Kapitel 88

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Ich drückte das zweite Mal die Türklinke herunter, aber nichts passierte. Warum ging diese blöde Tür nicht auf? „Na, traust du dich nicht rein, weil du Angst hast zerknuddelt zu werden?" Andi tauchte neben mir auf und grinste mich an. „Ich kann ja vorgehen und dich beschützen." Beherzt drückte er die Türklinke herunter und schaute mich dann schockiert an. "Wieso ist hier abgeschlossen? Die Schlüssel....", er brach ab. Ja, ich wusste, dass es hier in keiner Tür einen Schlüssel gab, wie es sich in einem Haushalt mit kleinen Kindern gehörte. Die verwahrte er nämlich in einem Fach im Wohnzimmer, wo Carmen nicht herankam. „Marlen!", brüllte er auf einmal los. Kurze Zeit später öffnete sich die Schlafzimmertür und Madame trat heraus. Ich kniff meine Augen zusammen und öffnete sie wieder. Es gab wirklich Frauen, die diese Corsagen und Strumpfhalter in knallrot trugen. Ich dachte, so etwas gab es nur in Filmen. „Wieso ist Carmens Tür abgeschlossen?" Andi schaute den sündigen Engel fragend an. „Ich brauchte etwas Ruhe, damit ich heute Nacht fit bin." Sie strich sich mit dem langen Fingernagel ihres Zeigefingers über die Vorderseite der Corsage. Boah, innerlich begann ich mich zu schütteln. „Und ein Mittagsschlaf tut der Kleinen auch mal ganz gut. Sie wollte aber nicht im Zimmer bleiben, also habe ich abgeschlossen." Mittagsschlaf für eine Siebenjährige? Hatte die einen Knall. „Du hast was?" Andi schaute sie sauer an und streckte seine Hand aus „Schlüssel sofort." Mit Trippelschritten bewegte sie sich ins Wohnzimmer und kam lächelnd wieder mit dem Schlüssel in der Hand zurück. „Reg dich doch nicht so auf, Schatzi. Ihr tut ein bisschen Ruhe mal ganz gut. Und der Satansbraten scheint das ja auch zu brauchen, wenn er immer noch schläft. Sie hat auch ziemlich schnell aufgehört gegen die Tür zu trommeln." Was hatte sie gerade wieder gesagt? Ich hatte mich doch wohl verhört. „Wie hast du meine Tochter genannt?" Nein, ich hatte mich nicht verhört. „So nennt sie sie immer, auch als sie sie fast im Möbelhaus vergessen hat", schoss es mir aus dem Mund. Andi schaute mich schockiert an und der Blick der oiden Brunzkachl erdolchte mich fast. Verflucht, warum konnte ich nicht einmal mei Schnauzn halten? „Halt deine Klappe oder warum habe ich dir vier Grüne gegeben. Undankbares Miststück." Ich schnappte nach Luft. „Du Schlampe hast die Kleine da einfach in der Kinderbetreuung abgegeben und vergessen, weil du dich mit irgendeinem Kerl getroffen hast. Ich wusste auch nicht, dass das Geld Schweigegeld sein sollte. Eigentlich dachte ich, dass es für die Betreuung von Carmen war, weil ich sie das ganze Wochenende bei mir hatte. Im übrigen hätte ich auch umsonst auf sie aufgepasst, damit sie nicht unter dir leiden muss", ging mein Temperament etwas mit mir durch. „Ach, der Satansbraten interessiert dich doch gar nicht. Du miemst doch nur den Babysitter, weil du scharf auf meinen Kerl bist. Aber das kannst du vergessen. Der gehört mir, du Flittchen." Wie hatte sie mich gerade genannt? Mein Blick ging zu Andi, der nur mit offenem Mund zwischen uns hin- und herstarrte. Was sollte ich denn jetzt machen? Er schloss seinen Mund und öffnete ihn wieder, während er mich anschaute. „Du hast auf Carmen aufgepasst?" Ich nickte. Am besten erzählte ich einfach alles. „Ja, ich war mit Mika Möbel aussuchen und da hat Carmen uns gefunden, weil die Kinderbetreuung schon geschlossen und keiner sie abgeholt hat, obwohl sie ausgerufen wurde....." Andi schaute mich aufmerksam an „So war das doch gar nicht", versuchte mich die Brunzkachl zu unterbrechen. „Du bist mal ganz still", fuhr er sie aber nur an, also erzählte ich weiter. „Das ist ja unglaublich", schüttelte er auf einmal den Kopf. „Und ich habe mich gefreut als mir die Schnecke vom Zoo und allem erzählt hat, weil ich dachte, ihr habt euch endlich zusammengefunden." Sein Blick ging zu der oiden Trutschn und es spiegelte sich Enttäuschung darin. „Dem Satansbraten fehlt jegliche Erziehung. Sie respektiert mich überhaupt nicht. Da musste ich die Daumenschrauben mal etwas anziehen. Außerdem ist sie ja nicht einmal deine richtige Tochter." Was war das denn für ein Argument? Und was hieß hier unerzogen? Carmen war sogar sehr gut erzogen. Bei dem Wort Daumenschrauben lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Was hatte sie mit der Kleinen gemacht? Ich schnappte mit den Schlüssel, den Andi immer noch in der Hand hielt und steckte ihn mit zitterigen Händen in das Schloß. Endlich ging die Tür auf und ich stürzte in das Zimmer  von der Kleinen. Manno war das hier kalt. Wollte die Brunzkachl sie erfrieren lassen? Schnell machte ich das Fenster zu, das sperrangelweit offen stand. Andi war zum Bett gestürzt, wo die Kleine sich unter den Decken verkrochen hatte. Kein Wunder in dem Eisstall. Wieso kam sie aber jetzt nicht vor? „Schnecke, du musst dich nicht mehr verstecken. Ich bin jetzt da." Andi hob vorsichtig die Decke an. „Scheiße!", keuchte er und drehte sich zu mir. Er war kreidebleich. Da lag gar nicht Carmen, sondern nur alle ihre Stofftiere. „Wo ist meine Tochter?", brüllte er die oide Trutschn an, die erschrocken zusammenzuckte. Ja, so hatte ich Andi auch noch nie erlebt. Ich schaute mich schnell im Zimmer der Kleinen um. „Da ist ein Zettel." Schnell lief ich zu ihrem Schreibtisch. Andi folgte mir und schnappte ihn sich.  Ich gehe von hier weg. Papa ich habe dich lieb
„Sie muss durch das Fenster abgehauen sein." Schnell lief ich wieder dorthin und riss es auf. Hoffentlich hatte sie sich nicht verletzt. Glücklicherweise wohnte Andi ja im Erdgeschoss. Trotzdem musste sie aber ein kleines Stück hinunterspringen. Erleichtert atmete ich auf, dass sie dort nicht mit gebrochenem Hals lag. Aber wo war sie dann? „Dann ist der kleine Bastard wenigstens weg und wir haben unsere Ruhe." Wie dreist konnte ein einzelner Mensch eigentlich sein? „So, jetzt reicht's, Pack deine drei Schlüpper zusammen und verlass sofort meine Wohnung", fauchte Andi die Brunzkachl  an.  „Aber wo soll ich denn dann hin? Und wer kümmert sich um deine Bedürfnisse." Die hatte Nerven. Hier war ein kleines Kind verschwunden und sie schaltete auf Tuchfühlung, so wie sie mit ihrer Hand über Andi Brust strich. Die dachte auch mit Sex ließ sich alles regeln. Andi schlug ihre Hand aber nur weg. „Dann zieh doch unter die Brücke. Ist mir egal. Du solltest nur beten, dass meiner Tochter nichts passiert ist und wir sie schnell finden, sonst dreh ich dich durch den Fleischwolf." Ja, so sauer hatte ich Andi wirklich noch nie erlebt. Pikiert stürzte die Trutschn aus dem Zimmer. Ich griff mir Carmens Zettel und las schockiert die Zeilen ein weiteres Mal. Wie verzweifelt musste die Kleine sein, wenn sie einfach abhaute? Warum hatte ich das nicht gemerkt und mich um sie gekümmert? Warum hatte ich verflucht noch mal auf Luca gehört und mich zurückgezogen? Mir wurde ganz übel. Sie hatte vorhin sogar versucht mich anzurufen, weil sie meine Hilfe brauchte. Scheiße. Ich spürte, wie mir die Tränen über die Wangen liefen. Wenn ihr etwas passierte, könnte ich mir das nie verzeihen.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt