Kapitel 165

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Ich trat durch die Küchentür und sah Andi am Küchentisch sitzen. Er hatte sich scheinbar noch keinen Millimeter bewegt seit Carmen und ich ihn verlassen hatten. Auch unser benutztes Geschirr stand noch unberührt auf dem Tisch. Er hatte seinen Kopf gesenkt und starrte auf etwas vor ihm auf der Tischplatte. Im Näherkommen sah ich, dass es das Ultraschallbild war, das er so anstarrte. Ich schaute auf das Geschirr. Nee, das konnte warten. Aber Andi nicht. Behutsam legte ich eine Hand auf seine Schulter. Sofort schoss sein Kopf hoch und er griff nach dem Geschirr, ehe er aufsprang. „Und ist Flipper schon im Bett." Ich nickte. „Dann sollte ich ihr schnell noch gute Nacht sagen gehen." Das war vielleicht eine gute Idee. Ich schnappte mir das Geschirr aus seiner Hand. „Tu das." Bestimmt würde ihm das gut tun und vielleicht etwas herunterholen. Eine kurze Kuscheleinheit mit der Kleinen war mit Sicherheit nicht verkehrt. Ohne ein weiteres Wort verließ er die Küche. Ich räumte die Teller schnell in der Geschirrspüler. Mit einem Lappen wischte ich den Tisch ab. Das Ultraschallbild lag dort wie ein Mahnmal, während ich drumherum wischte. Verflucht! Warum musste das jetzt sein. Hatte ich nicht lange genug auf meine Chance bei Andi gewartet. Wir hatten es uns einfach verdient endlich ohne Probleme glücklich zu sein. Gefrustet warf ich den Lappen in die Spüle. „Carmen hat schon geschlafen." Andi fuhr sich mit seinen Händen durch die Haare und ließ sich wieder auf den Stuhl plumpsen, den er erst vor kurzem verlassen hatte. Wieder ging sein Blick sofort zu dem Ultraschallbild. Manno, er sah aus wie ein geprügelter Hund. Ich lief zu ihm und ließ mich auf seinen Schoß gleiten. Seine Arme umschlangen sofort meine Taille und sein Kopf verschwand in meinen Haaren. „Luz, es tut mir so leid", schniefte er. „Ich wollte dich nicht in so etwas hineinziehen. Das musst du mir glauben. Ich verstehe auch nicht, wie das überhaupt passieren konnte." Also in seinem Alter sollte er wohl schon wissen, wie es dazu kam, dass eine Frau schwanger wurde. „Wir haben immer verhütet. Ich habe nicht ein einziges Mal ohne Kondom mit Marlen....." Er schluckte schwer. „Sex gehabt." Wenigstens sprach er in diesem Zusammenhang nicht von Liebe, sondern nur von Sex. Das war gut, dass das ganze für ihn keinen höheren Wert mehr hatte. Und ehrlich gesagt beruhigte mich das auch mit dem Kondom, denn bei der Alten konnte man ja nicht wissen, was man sich sonst einfing. Trotzdem blieb dann die Frage, wieso war sie jetzt schwanger. „Bist du dir ganz sicher, dass ihr es nicht irgendwann einmal vergessen habt?" Andi schüttelte vehement den Kopf und starrte mich ungläubig an. „Nein, niemals. Das kann doch gar nicht sein, dass sie ein Kind von mir bekommt." Plötzlich fiel mir Tessa ein. Sie und Leo hatten auch mit Kondom verhütet und trotzdem war es schief gegangen. „Vielleicht ist es ja mal abgerutscht." Andi schüttelte wieder den Kopf. „Das hätte ich ja gemerkt." „Oder gerissen?" Das hatte ich irgendwo schon einmal gehört. „Oder es war einfach defekt." Warum sollte es in dem Bereich nicht auch mal Produktions- oder Materialfehler geben? „Letztlich ist es aber auch egal, wie es passiert ist. Tatsache ist, dass es passiert ist. Und du musst dir überlegen, wie du damit umgehen willst." Ich schaute ihm in die Augen. „Willst du zurück zu ihr?" Das war die Frage, vor der ich am meisten Angst hatte. „Bist du verrückt? Auf gar keinen Fall." Andi schaute mich schockiert an. „Ich will nur mit dir zusammen sein." Die Antwort tat so gut und dieses blöde Gefühl in meinem Bauch verschwand sofort wieder. Das war die einzige Antwort, die ich brauchte. Alles andere würden wir geregelt bekommen. „Willst du das Kind zu dir nehmen?" Ich war mir ziemlich sicher, dass die Antwort ja lautete. „Ich werde mich morgen gleich an meinen Anwalt wenden und schauen, was da möglich ist. Marlen ist doch überhaupt nicht in der Lage ein Kind zu versorgen." Ich sah ihm an, dass er gerade wieder an alles dachte, was Carmen uns erzählt hatte. Natürlich wollte er nicht, dass es seinem Kind auch so ging. Das konnte ich gut verstehen. Das wollte ich auch auf keinen Fall. „Meinst du, du hast Chancen, ihr das Kind abzunehmen?" So wie das Stalking bei der Polizei aktenkundig war, konnte man einen Richter bestimmt von ihrer Unfähigkeit überzeugen. „Ich hoffe. Wenn nicht, muss ich mir etwas anderes einfallen lassen." „Du meinst Geld?", schoss es mir sofort aus dem Mund. Wenn ich Papa fragte, lieh es uns bestimmt etwas. Andi zuckte mit den Schultern „Das wäre wahrscheinlich am erfolgsversprechendsten." „Wir bekommen das hin." Ich schlang meine Arme um seinen Hals und drückte mich an ihn. So wie er gerade schaute, konnte er ein wenig emotionale Unterstützung gebrauchen. Andis Arme klammerten sich ganz fest um mich und ich spürte, wie sein Herz mindestens genauso schnell schlug wie meines. Plötzlich löste Andi sich von mir und schaute mich ernst an. „Das hört sich toll an. Aber ich muss das hinbekommen, nicht wir. Ich kann dich da nicht mit reinziehen und von dir erwarten, dass du darauf Rücksicht nimmst und dein ganzes Leben durcheinander kommt, weil ich jetzt noch ein Kind habe. Ich bin dann ein alleinerziehender Vater mit zwei Kindern und du bist eine junge hübsche Frau, die noch alles vor sich hat. Deine Ausbildung und alles, was sich dir bietet. Zwölf Jahre und 344 Tage sind halt doch von Bedeutung. Auch wenn wir uns die ganze Zeit versucht haben etwas anderes vorzumachen. Ich kann dir einfach nicht das bieten, was dir zusteht. Und ich kann verstehen, wenn du mich jetzt nicht mehr willst." Die letzten Worte kamen stockend und ganz leise über seine Lippen. Wie bitte? Das war doch wohl nicht sein Ernst. „Natürlich will ich dich immer noch.", schoss es mir aus dem Mund. „Ob du nun ein oder zwei Kinder hast, spielt doch keine Rolle. Ich liebe dich und damit basta. Und die zwölf Jahre und 344 Tage haben damit überhaupt nichts zutun. Das Gleiche könnte mir auch bei einem Gleichaltrigen passieren. Ich liebe dich. Und das ist alles was zählt. Hast du das verstanden?", schleuderte ich ihm wütend entgegen. Was sollte denn der Blödsinn, den er da gerade von sich gab. Das hörte sich ja an, als wollte er mit mir Schluss machen. Das konnte er ja mal ganz schnell wieder vergessen. Nicht jetzt, wo wir endlich zusammengefunden hatten. Und mit Sicherheit nicht wegen eines Babys. Ich schaute erwartungsvoll zu ihm. Das musste doch jetzt bei ihm angekommen sein.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt