Kapitel 89

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„Los, komm!" Andi zog mich an meinem Arm aus dem Zimmer. Wo wollte er denn hin? Das laute Knallen der Eingangstür signalisierte mir, dass die oide Brunzkachl wohl gerade den Abgang gemacht hatte. Unglaublich! Sie hatte nicht einmal angeboten uns bei der Suche nach der Kleinen zu helfen. Andererseits war es auch ganz gut, wenn sie hier nicht mehr die Luft verpestete. Nicht, dass Andi doch noch etwas unüberlegtes machte oder Carmen falls sie es sich überlegte und zurückkam der oiden Trutschn wieder über den Weg lief. Bitte lieber Gott, passe auf die Kleine auf, damit ihr nichts passiert und schicke sie wieder nach Hause. Wenn das funktionierte, würde ich sie nie wieder so hängen lassen und mich um sie kümmern, egal welches Weib hier herumturnte. Andis und mein Handy gaben einen Signalton ab. Sofort zogen wir es beide aus der Tasche und starrten darauf. Vielleicht war es ja eine Nachricht von Carmen. „Scheiß Horoskop App", knurrte Andi und steckte das Handy wieder ein. Ich öffnete aber die Nachricht. Bei Leos Hochzeit hatte sie uns doch auch geholfen sie zu finden. Am Ende des Tages findet jeder sein Zuhause. „Sie kommt wieder nach Hause, steht hier", brach es aus mir heraus. „Carmen ist aber Krebs und nicht Waage", brummte Andi. Na da schaute ich doch sofort nach. Auch wenn der Weg lang ist, führt er ans Ziel, wenn man den ersten Schritt macht, las ich vor. „Super, und welcher Weg?" Ich zuckte mit den Schultern. Okay, das half uns nicht wirklich weiter. Ich ließ das Handy wieder sinken. „Los, komm wir müssen sie suchen." Wieder zog mich Andi an meiner Hand zur Tür. „So geht das nicht, wir können doch nicht einfach ohne Plan losstürzen." Ich blieb stehen. Ein Blick aus dem Fenster zeigte, dass es schon dämmerte. Mir wurde bei dem Gedanken, wie die Kleine da in der Dunkelheit alleine unterwegs war, ganz mulmig. Was, wenn sie mit irgendjemand mitging und in die Fänge von einem Sexualstraftäter geriet oder einem Kinderhändler oder so einem Kinderpornoring? In meinem Kopf setzte ein Kinofilm ein mit Carmen in der Hauptrolle, der mir überhaupt nicht gefiel. Als nächstes sah ich einen LKW, der sie überrollte, weil sie hilflos über die Autobahn lief. Und dann den ICE. Okay, der war Quatsch. Die Züge hatten sowieso immer Verspätung. „Wir müssen sofort die Polizei verständigen, damit sie Carmen suchen.", quetschte ich heraus. „Nee, bis die anfangen, vergeht ewig Zeit und dann nehmen sie sie mir garantiert weg, wenn sie sie gefunden haben." Andi schüttelte entschieden den Kopf. „Wir müssen jetzt sofort suchen." Mein Handy schnarrte los. „Hallo, bist du das Carmen?" Blitzschnell meldete ich mich und schickte ein erneutes Stoßgebet gen Himmel. „Spatzl, was ist denn los? Du klingst ja ganz aufgeregt?" Mama! Ehe ich mich bremsen konnte, sprudelte alles aus mir heraus und ich schluchzte heftig. „Ihr bleibt wo ihr seid. Papa und ich sind in drei Minuten bei euch und dann sehen wir weiter." Ich nickte nur und beendete das Gespräch. „Mama und Papa sind schon unterwegs." Auch Andi nickte nur und ließ seinen Kopf hängen. Da war nichts mehr von seinem Tatendrang zu sehen, den er eben noch versprüht hatte. Ich lief zu ihm und umarmte ihn fest. „Was hat sie überhaupt an?" schoss es mir heraus. Wenn wir suchen wollten und Papa und Mama uns dabei halfen, mussten wir das ja wissen. Andi sprintete in das Zimmer der Kleinen und begann im Schrank zu wühlen. Ein Geistesblitz schoss durch mein Hirn. Verflucht, warum hatte ich da nicht gleich dran gedacht. Schnell wählte ich die Nummer der Kleinen. Mist, wieder nur sofort die Mailbox. Dann war der Akku wohl leer. Doppelmist. Dann konnte man es auch nicht orten. Ein Klingeln riss mich aus meinen Gedanken und ich rannte genau wie Andi zur Tür. „Marco, Franzi und alle aus der Familie, die alt genug zum Suchen sind, kommen auch gleich", informierte Mama uns und umarmte erst mich und dann Andi. „Ich habe auch noch ein paar andere Leute aktiviert", Papa hatte immer noch das Handy am Ohr und quasselte schon mit dem nächsten. „Seit wann ist sie denn weg?" Andi zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, wann dieses Monster sie eingesperrt hat." Er fuhr sich wild durch seine Haare, die in alle Richtungen standen und stürzte zur Tür. „Wo willst du hin, mein Freund?" Papa hielt ihn auf. Andi schüttelte sofort seinen Arm ab „Meine Tochter suchen", fauchte er verzweifelt. „Ja, aber nicht einfach planlos. In nicht einmal einer Viertelstunde haben wir hier mehr als zwanzig Mann, die suchen helfen. Wir müssen schon einmal planen, wo wer sucht und am besten wäre auch ein aktuelles Foto." Da hatte Mama recht. „Was, wenn sie niemals wiederkommt? Sie ist doch alles, was ich habe." Andi sah so niedergeschlagen aus, dass sich alles in mir zusammenzog. Ohne zu überlegen, lief ich zu ihm und umarmte ihn ganz fest. Seine Arme schlossen sich wie Schraubstöcke um mich. „Das wird nicht passieren." „Was hat sie denn an?" Wir lösten uns und wendeten uns Mama zu. „Sie hat Jeans und ihre rote Regenjacke an", kam es sofort aus Andis Mund „und sie hat ihren gelben Sportrucksack mitgenommen", setzte er schnell noch nach. „Okay, das ist gut. Die Farben sollten im Dunkeln besser zu sehen sein." Da hatte Papa recht. „Also, was ist mit einem Foto?" Mama saß an dem kleinen Schreibtisch im Wohnzimmer und tippte auf Andis Laptop, das sie scheinbar einfach ungefragt hochgefahren hatte. „Ich habe eins vom Zoo. Da hatte sie auch die rote Jacke an." Blitzschnell suchte ich das Foto auf meinem Handy. „Schick es auf meine Firmenmail", bekam ich von Mama die Anweisung, der ich sofort folgte. Die Türklingel zerschnitt die Stille, die sich ausgebreitet hatte. Andi rannte sofort zur Tür. Natürlich hoffte er genau wie ich, dass es Carmen war, die da einfach wieder auftauchte. „Menschenskind, Junge!" Jasis Mutter umarmte ihn sofort. „Wir finden unsere Lütte schon wieda", ertönte auch die Stimme von Chris, der Andi mit schmerzverzogenem Gesicht umarmte. „Du....du hast doch Hexenschuss.", stotterte Andi schockiert. „Ja und. Die Hexe kann mich ma, wenn et um unsere Schnecke jeht." Hinter ihnen ertönten noch mehr Stimmen und immer mehr Leute drängten in die Wohnung. Ich sah Marco, Franzi, Max und Leo. „Die Suchblätter sind gleich fertig", rief Mama in die Runde und der Drucker ratterte. „Dodo, wir finden Flipper." Wo kam denn auf einmal Luca her, der mich fest umarmte? „Das ist alles meine Schuld, weil ich auf dich gehört habe", schniefte ich und befreite mich aus seiner Umarmung. „Ist es nicht. Du hast die Alte durchschaut. Nur wir anderen haben uns von ihr einlullen lassen." So finster wie mein Bruder schaute, sah er nur immer aus, wenn er echt sauer war, weil er etwas vergeigt hatte. Dann sagte er das nicht nur, um mich zu trösten. „Wir finden Flipper", wiederholte er festentschlossen. Ich nickte und ließ mich wieder von ihm in den Arm nehmen. Erneut klingelte es und wieder kamen ein paar Leute herein. So wie sie Papa begrüßten, waren es wohl Freunde von ihm. Einer trug sogar Polizeiuniform. Wenn wir so viele waren und so oft wie es klingelte, wurden wir immer mehr, dann mussten wir doch Carmen finden. Hoffnungsvoll schickte ich ein erneutes Stoßgebet zum Himmel. Ihr durfte einfach nichts passieren. Ab jetzt wäre ich immer für sie da, ganz egal was kam.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt