Kapitel 41

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Leo ließ sein Handy wieder in die Tasche seiner BVB Trainingshose gleiten. „Alles klar, dann komm" Er griff sich Tessa, die vor Schreck ihre Krücken fallen ließ, und hob sie auf seine Arme. „Wie jetzt? Mit dem bisschen Herumgetippe hast du jetzt einen Flug nach Las Vegas klar gemacht, oder wie?" Sie schaute ihn überrascht an. „Nix Las Vegas. Da dauert der Flug zu lange und dann überlegst du es dir nachher doch noch einmal. Außerdem passt Elvis nicht zu uns. Wir sind beide Kinder aus dem Pott." Tessa runzelte die Stirn „Nicht Las Vegas, sondern Pott. Finde ich gut. Also fahren wir jetzt zum Standesamt und bestellen das Aufgebot", kam es begeistert von ihr. „Nee, nee. Jetzt wird geheiratet", grinste Leo breit. „Jetzt?" Tessa schaute ihn irritiert an. „Wo willst du denn jetzt heiraten? Auf einem Freitag Nachmittag. Da findest du doch keinen Standesbeamten mehr. Du kennst schon den Spruch Freitag ab eins macht jeder seins." Mit der filmenden Kamera lief ich hinter den beiden hinterher in die MixedZone. „Doch, und jetzt höre auf zu reden und hebe dir deine Spucke zum Ja-Sagen auf. Wir heiraten jetzt." Der Kerl hatte echt gute Laune, weil sein Plan voll aufging. „Jetzt? Aber wo?" Tessa schien noch nichts zu ahnen. „Na hier." Leo stellte sie wieder auf ihre Füße und Maja, die auch hinter uns her geflitzt war, reichte ihr ihre Krücken. „Hier." Tessa fing an zu strahlen. „Das....das ist perfekt. In welche Loge müssen wir?" Leo schüttelte den Kopf „In keine Loge." Tessa kaute auf ihrer Lippe. „Keine Loge? Dann so in die VIP?" Wieder schüttelte Leo den Kopf. „Keine Loge, nicht die VIP. Die Süd und das Spielfeld kann es auch nicht sein. Das hätte ich ja bemerkt. Wo dann?" „In der Kabine", haute der Bräutigam heraus. „In der Kabine? Das ist perfekter als perfekt", strahlte die Braut begeistert. „Von perfekt gibt es keine Steigerung", moserte mein Bruder hinter mir. Ich drehte mich zu ihm um „Aber von Luca! Da gibt es den Superlativ Erbsenzähler." Er erwiderte meinen Blick mit zusammengekniffenen Augen. Ja, er mochte es überhaupt nicht, wenn ich ihn so nannte. Aber dann sollte er sich auch nicht so verhalten. „Ähm, brauchen wir nicht auch noch Trauzeugen, oder so?" Tessa drehte sich zu Maja und mir. „Wie viele darf ich da haben?" „Einen jeder." Nils war neben mir aufgetaucht und hielt den Brautstrauß aus schwarz gelben Rosen in der Hand. Tessas Blick ging zwischen Maja und mir hin und her und ich sah eine gewisse Verzweiflung in ihren Augen. Klar wollte sie ihren Zwilling nehmen, aber es tat auch gut, dass ich ihr mindestens genauso wichtig war. Schnell hob ich die Hand mit der Kamera. „Nix Kunstkurs. Ich bin heute die Fotografin." Tessa fing an zu grinsen. „Dann ist Maja meine Trauzeugin. Und wer ist deiner?", wandte sie sich an ihren zukünftigen Ehemann, der sich das  Kinn kratzte „Also eigentlich habe ich da jemand als Überraschung geplant, aber ich habe keine Ahnung, wo er bleibt." Bei dem Wort Überraschung wurde mir sofort spontan übel. Das Wort Überraschung wollte ich in den nächsten Monaten, wenn nicht sogar Jahren nie wieder hören, so wahr ich Lucy Goretzka hieß. Leo fischte wieder nach seinem Handy und schaute darauf, ehe er den Kopf schüttelte. „Keine Nachricht." Plötzlich knallte laut Musik aus den Lautsprechern. „Boah, geil. Die Einlaufmusik", grinste Tessa breit. „Dann heißt es jetzt wohl los." Sie schaute Leo überrascht an „Die ist für uns?" Er nickte „Was sonst? Oder wolltest du den Hochzeitsmarsch?" Tessa schüttelte lachend ihren Kopf „Na dann los. Oder worauf wartest du?" Sie marschiert Richtung Kabinen los und wir mussten uns beeilen an ihr dran zu bleiben. Unglaublich, welches Tempo sie mittlerweile mit diesem Gips und den Krücken drauf hatte. Wahrscheinlich wäre sie auch die einzige Person, die damit noch Fußballspielen konnte. „Ah, da ist ja das Brautpaar", begrüßte uns ein etwas rundlicher älterer Herr in gediegenem Anzug aber mit BVB Schal um den Hals vor der Kabinentür. „Mein Name ist Emmerich und ich bin der Glückspilz, der Sie heute trauen darf. Ich muss Ihnen sagen, dass sie mir heute einen riesigen Wunsch erfüllen, ehe ich am Ende des Monats in Pension gehe. In den ganzen 30 Jahren, die ich jetzt schon als Standesbeamter arbeite, habe ich mir immer eine richtige schwarzgelbe Hochzeit gewünscht. Und dann noch in der Location." Er öffnete die Tür und ließ uns eintreten. „Wahnsinn", quietschte Tessa los „Ihr habt hier echt alles mit schwarzgelben Rosen geschmückt. Und wir sitzen auf deinem Kabinenplatz." Ja, unser Plan war bis hierhin aufgegangen und die Begeisterung der Braut war der schönste Lohn für die ganze Aufregung heute und in den letzten Wochen, schließlich planten Leo, Nils und ich ja schon seit gut drei Wochen. „So, dann können wir ja anfangen." Der Standesbeamte schaute einmal in die Runde „Ähm.... mein....mein Trauzeuge fehlt noch", stotterte Leo. „Na, das ist doch nicht so schlimm. Dann klären wir das erst noch mit dem Familiennamen. Das ist ja sowieso noch offen. Also wie haben Sie sich denn nun entschieden?" Stimmt, da war ja noch etwas. Wir wussten ja nicht, ob Tessa ihren Mädchennamen behalten oder einen Doppelnamen wollte. „Ich nehme den Namen Reus an", gab Leo überzeugt von sich. „Spinnst du?", fuhr Tessa hoch „Das geht doch nicht. Ein Reus gehört auf's Spielfeld und nicht ins Tor. Außerdem kannst du das deinen Fans nicht antun, die schon ihre Trikots beflocken lassen haben." Leo schaute sie verunsichert an „Okay, dann nehme ich einen Doppelnamen." Dieses Mal klang er schon nicht mehr ganz so überzeugt, sondern eher fragend. Tessa schüttelte ihren Kopf „Nicht?", kam es ganz kleinlaut von Leo. „Nicht. Das ist doch der gleiche Müll mit der Beflockung. Außerdem passt das auf kein Trikot." „Wie dann? Jeder behält seinen Namen?" Manno, hörten denn die Probleme heute überhaupt nicht mehr auf? „Nee, ich will schon wie mein Mann und meine Kinder heißen. Sonst bleibe ich nachher beim Kinderarzt immer sitzen, wenn der Weidenfeller aufruft, weil ich ja nicht so heiße. Nee, nee. Ich nehme den Namen Weidenfeller an und starte dann damit richtig durch, wenn ich wieder kann." Tessa klopfte kurz an ihren Gips.    Hatte sie gerade gesagt, sie wollte Leos Namen annehmen? Mir blieb der Mund offen stehen. Damit hätte ich ja niemals gerechnet. „Na dann ist das auch geklärt." Der Standesbeamte lächelte zufrieden. „Wissen Sie, ich habe sowohl Ihre als auch Ihre Eltern." Er deutete mit seiner Hand zwischen beiden hin und her „auch schon getraut. Leider aber nicht in dem schönen Ambiente, sondern nur in unserer langweiligen Amtsstube. Wo sind die überhaupt? Sollten die nicht auch dabei sein?" Ja, eigentlich sollten Eltern bei der Hochzeit dabei sein, aber in dem speziellen Fall nicht. Wer wusste denn, ob Tessa es sich dann nicht wieder überlegte und einen Rückzieher machte. „Nee, heute ist alles nur im kleinen Rahmen. Wir wollten diesen Moment ganz für uns alleine", entschuldigte sich Leo. „Ach verstehe", winkte der Standesbeamte ab „Das ist ja auch schön so und eine Sache ganz zwischen Ihnen beiden. Groß feiern kann man ja später auch noch, wenn es in die Kirche geht." Bei dem Wort Kirche war Tessa zusammengezuckt. Ich bezweifelte, dass sie sich darauf einließ. „So, dann müssten wir aber langsam beginnen, sonst bekomme ich nachher noch Ärger mit meiner Frau, wenn ich nicht pünktlich zum Essen zu Hause bin. Das ist auch eine Weisheit eines alten Ehemanns, die ich Ihnen mit auf den Weg geben kann ‚Happy wife, happy life", zwinkerte er Leo zu, der sofort nickte und zu Nils schaute. „Springst du dann als Trauzeuge für mich ein?" „Nichts lieber als das, Schnuckiputz." Ehe man das Wort Trauzeuge überhaupt hätte buchstabieren können, hatte Nils sich auch schon neben Leo gesetzt. „Dann freue ich mich heute Sie alle hier an diesem speziellen Ort begrüßen zu können, um diese beiden besonderen Personen in den Stand der Ehe zu begleiten....." Ich schaute einmal kurz auf die Kamera in meiner Hand, die alles mitfilmte. „Dann antworten Sie bitte mit Ja." Hoffentlich fingen die beiden jetzt nicht wieder an zu reimen. Ich ratterte in meinem Kopf kurz durch, was sich auf ja überhaupt reimte und stellte zufrieden fest, dass es da nicht viel gab. „Ja", antwortete Leo mit dünner Stimme. „Ja, ich will", kam es dagegen ganz bestimmt von Tessa. Juhu, das war geschafft. „So, jetzt kommen dann noch die Ringe. Das ist eine kleine Überraschung von mir.", grinste der Standesbeamte und bei dem Wort fuhren sofort wieder alle meine Alarmantennen hoch und ich reckte den Hals. Wow, war das niedlich. Er hatte ein Ringtablett in Form von zwei Trikots gebastelt, auf denen sogar Reus und Weidenfeller stand, zusammen mit der Nummer und auf denen die Ringe befestigt waren, die ich zusammen mit Leo besorgt hatte. Nachdem die Ringe ohne weitere Vorkommnisse am Finger steckten, atmete ich auf. Wie oft passierte es schließlich in irgendwelchen Filmen, dass die Dinger durch die Gegend rollten und im Nirwana verschwanden. Jetzt fehlten nur noch die Unterschriften. Und auch hier lief alles glatt, keine Miene versagte, niemand verschrieb sich. „Dann gratuliere ich Ihnen." Der Standesbeamte stand auf und reichte Leo und Tessa die Hand. „Ach ja, Sie dürfen die Braut oder auch den Bräutigam", er zwinkerte Tessa zu „jetzt auch küssen." Das ließ sich die Braut nicht zweimal sagen und stürzte sich mit ihren Lippen auf ihren Angetrauten. Und was machte ich? Natürlich voll rauf zoomen. Mama wäre so stolz auf mich. Mein Blick ging zu Maja, der schon wieder dicke Tränen über die Wangen kullerten. Ich stupste meinen Bruder neben mir an und deutete mit meinem Kopf zu ihr. Er zuckte verständnislos mit den Schultern. Manno, der war ja empathisch wie ein toter Scheibenputzfisch. Ich drückte ihm die Kamera in die Hand. Das wichtigste war ja alles im Kasten und fischte in meiner Hosentasche nach Taschentüchern, ehe ich zu Maja lief und sie ihr in die Hand drückte. Dann umarmte ich Tessa, die mittlerweile von Leo abgelassen hatte. „Ich freue mich so für dich." „Wir beide reden aber noch einmal über deine Rolle als beste Freundin. Mich da so in die Falle laufen zu lassen", grinste sie mich an. „Danke" An ihrem Gesicht konnte ich ablesen, dass sie dieses Danke ganz ehrlich meinte. Die Kabinentür wurde schwungvoll aufgerissen „Ich hoffe, ihr habt noch nicht angefangen. Ich bin jetzt da."

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt