Kapitel 174

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„Sie haust in der Nähe von der Reinoldikirche, so viel ich weiß. Und wenn es mit dem Flaschen sammeln klappt, dann auch mal in einem Hostel in der Nähe vom Bahnhof. Mehr weiß ich auch nicht." Sie zuckte mit den Schultern. Hinter uns knarzten die Treppen. „Ach hier", sie griff hinter sich. „Wenn ihr sie findet, hier ist noch Post für sie." Die Trude drückte Tessa ein paar Umschläge in die Hand. „Sie soll sich bloß nicht in der Nähe von Carlo blicken lassen, wenn sie weiß, was gut für sie ist", zischelte sie uns noch zu. „Hallo Severin", ertönte eine tiefe Stimme hinter uns. „Hast du nichts zu tun? Oder warum hältst du hier ein Pläuschken?" Der Ton war alles andere als freundlich und die Trude vor uns zuckte leicht zusammen. „Ähm Carlo, sie haben... ähm hier.... ähm geklingelt", stotterte sie ziemlich unsicher, fast schon verängstigt.   „Wollt ihr Süßen bei mir anheuern?" Der muskelbepackte Kerl, der neben uns aufgetaucht war, musterte uns mit einem abschätzigen Blick. „Gutes Material seid ihr auf alle Fälle." Mir wurde bei seinen Blicken speiübel. Scheiße, worauf hatte ich mich mit meiner Hilfsidee nur eingelassen? Andererseits wer mit dem zutun hatte, brauchte ganz dringend Hilfe, um aus dem Mist herauszukommen. Hoffentlich sah das die oide Brunzkachl auch so. „Wir sind von den Zeugen Jehovas und wollten für Erleuchtung sorgen. Darf ich Ihnen eine Broschüre überreichen?" Wo hatte Tessa die denn nun schon wieder hergezaubert? So langsam machte meine Freundin mir echt Angst, so vorbereitet, wie sie war. „Zeugen Jehovas?!" Verächtlich spuckte er uns die Worte um die Ohren und warf mir das kleine Heft, das Tessa ihm gereicht hatte ins Gesicht. „Seht zu, dass ihr hier verschwindet oder soll ich euch Beine machen! Ihr versaut ja das ganze Geschäft. Ich will euch hier nie wieder sehen. Sonst könnt ihr was erleben." Seine Körperhaltung wirkte auf einmal noch bedrohlicher. Mein Puls beschleunigte sich und in mir machte sich ein Drang breit nach dem Pfefferspray in meiner Handtasche zu suchen. „Schon gut. Wir gehen ja schon." Tessa hob beschwichtigend ihre Hände „Gott sei mit euch." Sie drehte sich zu mir um und zog mich an meinem Arm flott die Treppe hinunter. „Scheiß doch auf Gott", blökte er uns hinterher. „Und du beweg deinen Arsch wieder in dein Zimmer. Gleich kommt dein nächster Kunde. Ist das andere Zimmer in Schuss? In einer Stunde kommt nämlich die Neue und da will ich keinen Ausfall, weil die erst noch aufräumen muss", blubberte er weiter. „Wenn mir Bärbel noch mal über den Weg läuft, mache ich sie kalt. Uns hier so im Dreck sitzen zu lassen." Oh oh, der war wirklich nicht gut auf die oide Brunzkachl zu sprechen. „Komm lass uns hier flott verschwinden. Ich habe keine Lust hier eine Minute länger als nötig zu sein. Ich habe zwei Töchter und einen Mann, die mich brauchen." Tessa beschleunigte ihr Tempo und ich atmete etwas auf, als mir wieder die frische Luft auf der Straße um die Nase wehte. Die Leute sahen jetzt auch gar nicht mehr so angsteinflössend wie vorher aus. Im Vergleich mit diesem Carlo machten sie einen geradezu freundlichen und vertrauenserweckenden Eindruck. „Auto ist unverändert", grinste uns der Typ an, dem Tessa das Geld gegeben hatte und bewegte sich von dem Kotflügel weg, an dem er die ganze Zeit lässig gelehnt hatte. „Kann ich euch sonst noch irgendwie helfen? Falls ihr etwas braucht, kann ich so ziemlich alles legal besorgen." Sein Grinsen und das Betonen des legal, deutete eher daraufhin, dass wohl auch alles illegale möglich wäre. Wieder machte sich eine Gänsehaut bei mir breit. Der Drang hier ganz schnell weg zu wollen, verstärkte sich extrem. „Geht klar. Wir melden uns, wenn wir was brauchen." Tessa entriegelte das Auto und schwang sich schnell auf den Fahrersitz. Auch wenn man es ihr nicht wirklich äußerlich anmerkte, war ich mir sicher, dass sie den gleichen Drang hatte. Ich hüpfte auch schnell ins Auto. Mein Hintern hatte gerade den Sitz berührt als sie auch schon den Motor startete und den Knopf für die Türverriegelung drückte. „Na dann auf in die Fußgängerzone, Watson. Hier, die Post." Sie legte die Umschläge in meinen Schoß. Ich blätterte kurz durch. Ein Brief war definitiv von Andis Anwalt und der andere vom Gericht. Dann hatte die oide Brunzkachl die ja noch gar nicht erhalten. Die anderen Briefe sahen eher wie Rechnungen aus. Als letztes hielt ich das Heft von den Zeugen Jehovas in den Fingern. „Wieso hattest du das eigentlich in der Hosentasche? Hast du etwa schon mit so einer Situation gerechnet?" Tessa fing an zu lachen. „Watson, du hast ja eine hohe Meinung von mir." „Na ja, nach der Nummer mit dem Geld in der Hosentasche, traue ich dir alles zu, Sherlock." „Das mit dem Geld war wirklich geplant. Habe ich letztens in so einem Thriller gesehen.", kicherte sie. „Aber den Zeugen Jehovas Mist, das war Zufall. Gestern stand nämlich so ein Onkel bei uns vor der Tür und wollte mich belabern. Freundlich wie ich nun mal bin, habe ich ihm das Teil abgenommen und in meine Arschtasche gesteckt. Weil der Mist, den die von sich geben ist doch für den Arsch. Ich sage nur keine Bluttransfusionen und keine Geburtstage feiern. Die haben doch einen Knall. Als der Idiot da aber aufgetaucht ist, ist mir das wieder eingefallen." Ich schüttelte den Kopf. „Und was hättest du gemacht, wenn Carlo nun interessiert an dem Verein gewesen wäre?" Sie zuckte mit den Schultern „Weiter improvisiert." Das war so typisch Tessa. „Ich war mir aber ziemlich sicher, dass das bei seiner beruflichen Tätigkeit nicht der Fall ist. Das hätte mich schon gewundert." Mich ehrlich gesagt auch. Der passte eher zu irgendwelchen okkulten Teufelsanbetern. Vielleicht war er auch der Teufel höchstpersönlich, so wie er mit den Frauen umging. „Danke, dass du mit mir unterwegs bist." Ich beugte mich zu Tessa und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Alleine wäre ich total aufgeschmissen. Hatte ich mich da vielleicht doch in meiner Idee verrannt und das Ganze war eine Nummer zu groß für mich? Ich hatte keine Ahnung. Aber irgendwie brauchte die oide Brunzkachl auf alle Fälle Hilfe. Das stand außer Frage, besonders nach dem ich Carlo kennengelernt hatte. Die Frage war nur, ob Tessa und ich da die Richtigen für waren oder ob wir da jemand brauchten, der sich etwas besser in diesem Milieu auskannte. „Wie wollen wir denn jetzt weitermachen? In der Innenstadt sie zu finden ist doch wie die Nadel im Heuhaufen suchen." „Watson, jetzt sei nicht so deprimiert. Wir gehen zu erst in den Burgerladen und futtern etwas, dann bessert sich garantiert deine Stimmung und wir können uns einen Plan machen, wo wir zu erst suchen. Vielleicht ist uns der große Manitu des Hungers ja auch hold und spült uns die schwangere Auster wieder vor die Füße, weil sie auch wieder was zwischen die Kiemen braucht." Ja, das war ein Ansatz. Ehrlich gesagt sogar einer, der mir gefiel. Zwar hatte ich nach dem Ganzen nicht wirklich Hunger, aber die Hoffnung sie dort wieder zu finden, stand bestimmt nicht schlecht. Also was hatten wir zu verlieren.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt