Kapitel 170

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„Lucy, Lucy! Da bist du ja endlich. Wir sind schon fast mit dem Abendessen fertig. Wo warst du denn so lange?" Ich stellte meine Einkaufstüten neben dem Esstisch ab. „Ja, wo warst du denn so lange. Ich habe dich schon seit heute morgen vermisst", zwinkerte Andi mir zu und zog mich auf seinen Schoß, wo ich einen Kuss zur Begrüßung bekam. „Manno Papa, ich habe zu erst gefragt. Und außerdem ist Lucy nicht nur für dich da. Ich will auch einen Kuss", quietschte die Kleine sofort und machte eine spitze Schnute. Ich musste grinsen und beugte mich zu ihr, um ihr auch einen Kuss auf den Scheitel zu drücken. Zufrieden schaute sie ihren Papa an. „Siehst du, Lucy hat mich nämlich genauso lieb." Von Andi kam nur ein undefinierbares Brummen. „Was hast du denn da alles eingekauft?" Ehe ich überhaupt antworten konnte, war Carmen auch schon aufgesprungen und durchforstete meine Tüten. „Das sind ja T-Shirts für mich." Begeistert riss sie die Klamotten heraus und begutachtete sie genau. „Da ist ja sogar ein Delfin drauf." Sie hielt sich das Shirt vor die Brust und ihre Augen strahlten. „Kann ich das morgen anziehe, wenn ich wieder zu Vivi gehe?" Ohne auf eine Antwort zu warten, schnatterte sie gleich weiter. „Kann mich dann auch wieder Luca von der Schule abholen? Das war nämlich voll cool. Wie waren erst zusammen bei Mecces und dann hat er mich zu Vivi gefahren. Ich habe sogar einen Milchshake und ein Eis bekommen." Na, das hatte ich mir doch gedacht, dass er den Abstecher machte. „Warum kann Vivi eigentlich nicht auch in meine Klasse gehen? Dani ist in den Pausen immer bei den Jungs und die lassen mich nicht mitspielen. Und die Mädchen in meiner Klasse sind voll doof. Ja, Vivi muss in meine Schule." Okay, das war mir neu, dass es zwischen Dani und ihr bröckelte. Aber eigentlich passte das ganz gut zu meiner Idee Carmen nach den Ferien umzuschulen. Der Widerstand dürfte sehr gering sein. „Das wird schwierig", bremste Andi die Euphorie seiner Tochter. „Nicht, wenn Carmen in Vivis Schule hier in Bochum geht." Er schaute mich verwundert an, nickte dann aber. „Das stimmt natürlich, aber...." „Nichts aber", würgte ihn Carmen sofort ab. „Ich will auf Vivis Schule. Dann kann ich da auch mit dem Fahrrad hinfahren und nicht immer mit dem ollen stinkenden Auto. Und Luca kann mich auch viel öfter abholen, weil er ja auch in Bochum wohnt." Also eins musste man Carmen lassen, sie dachte praktisch. „Egal wo du aber zur Schule gehst, du gehst jetzt ins Bett." Andi trommelte einmal kurz mit seinen Händen auf dem Tisch. „Lucy,..." „Nein, ich bringe dich ins Bett und Lucy kann erst einmal etwas in Ruhe essen", unterbrach Andi die Kleine entschieden. Mit einem Flunsch bekam ich einen Gute-Nacht-Kuss aufgedrückt. „Aber du schläfst immer ein, wenn du mir vorliest", machte sie ihren Unmut deutlich. „Heute garantiert nicht. Ich habe nämlich noch einiges zu erledigen." Andi grinste mich an und zwinkerte. Sofort durchströmte mich ein leichtes Kribbeln, denn ich hatte so eine Ahnung, was das sein könnte, was er noch zu erledigen hatte. Da sollte ihn auch lieber nichts von abhalten. Nachdem die beiden aus der Küche verschwunden waren, griff ich nach den Sandwiches, die noch auf dem Teller in der Mitte des Tisches lagen. Da hatte sich Andi aber wieder Mühe gegeben. Sie waren super lecker mit Majo bestrichen und zu der Salami und dem Käse hatten sich auch Tomaten und kleine Gewürzgürkchen gesellt. Voll Appetit biss ich hinein. Mmm, das war himmlisch. Auch wenn ich vorhin schon mit Tessa gegessen hatte, die vier Sandwiches würden schon noch genug Platz in meinem Magen haben. So viel Burger hatte ich ja auch gar nicht gegessen. Die waren ja zu Tessa gewandert. Sofort tauchte vor meinem inneren Auge das Bild von der oiden Brunzkachl wieder auf, die in der hintersten Ecke des Restaurants ihren Burger fast verschlungen hatte. Irgendwie hatte sie sich die ganze Zeit dabei ängstlich umgeschaut. Fast so als befürchtete sie, dass ihr den einer wegnahm. Das konnte doch nicht nur gespielt gewesen sein, weil sie irgendeinen miesen Plan gegen mich ausheckte. Nee, das wäre Blödsinn. Dafür würde sie garantiert nicht freiwillig so heruntergekommen herumlaufen und betteln gehen. Und dass sie bei Tessa gebettelt hatte, lag wahrscheinlich wirklich an den Windelpupsen. Schon rein hormonell bedingt hatte sie sich da mehr als Schwangere bei einer jungen Mutter erhofft als an dem Tisch irgendwelcher Teenies. Das war ja logisch. Außerdem hatte sie Tessa wenn nur ganz am Rande bei Leos Polterabend mitbekommen. Zur Hochzeit hatte sie ja keine Zeit und war auf Ibiza. Nee, Tessa hatte definitiv recht und ich war vorhin paranoid. Die Brunzkachl würde nicht freiwillig einen Burger vernatschen, nur um mich zu stalken. Aber dann bedeutete das, dass sie wirklich bettelte, um überhaupt etwas zu futtern zu haben. Das..... das konnte doch echt nicht sein. „Was grübelst du denn so, Luz?" Andi legte seinen Arm um meine Schulter und setzte sich auf den Stuhl neben mir. „Du hast ja kaum was gegessen." Besorgt schaute er mich an, ehe er grinste. „Lass mich raten, Tessa und du habt schon einen gewissen Fast Food Laden geplündert bis er schließen konnte." Ich nickte schnell. Er musste ja nicht wissen, dass mir etwas anderes den Appetit versaut hatte. Oder sollte ich mit ihm darüber reden, was ich gesehen hatte? Vielleicht könnte ich es ja ganz vorsichtig ansprechen. „Was meinst du denn zu der Idee mit der Umschulung von Carmen wirklich? Sie hat eben kaum der Geschichte zugehört, weil sie die ganze Zeit davon geredet hat." Andis Blick war unsicher. „Ganz ehrlich hatte ich heute die Idee auch schon. Ich fände es schon gut, wenn sie hier in der Nähe zur Schule geht. Das macht sie dann auch selbständiger und erspart uns eine Menge Fahrerei. Also nicht, dass ich sie nicht gerne fahre, aber....." Andi winkte ab. „Das weiß ich doch, Luz. Aber du hast recht. In zwei, drei Jahren will sie bestimmt auch mal alleine zur Schule und irgendwann hast du auch einen Job und dann geht das sowieso nicht mehr. Außerdem nach der ganzen Sache mit Marlen wäre es mir auch lieber Carmen ganz aus Dortmund weg zu haben. Nicht dass doch noch etwas passiert." Mm, das war dann wohl gerade ein ziemlich blöder Moment das ganze anzusprechen. Vielleicht sollte ich erst einmal etwas mehr in Erfahrung bringen. „Und hast du etwas Schönes zum Anziehen für die Zeugnisverleihung gefunden?" Andis neugieriger Blick lag auf mir. Ich schüttelte schnell den Kopf. „Ich gehe morgen noch einmal mit Tessa los, aber ohne die beiden Windelpupse. Dann ist das entspannter." „Ja, das glaube ich dir locker. Na, dann drücke ich dir morgen die Daumen, dass du was findest. Und jetzt..." Er griff nach meiner Hand und zog mich vom Stuhl. „....wird es Zeit, dass wir auch ins Bett kommen. Ich habe nämlich noch etwas zu erledigen." Er zwinkerte mir frech zu. „Ich würde meine Tochter nämlich niemals anschwindeln." Ja, das stimmte. Und das war auch gut so. Das sollte man doch unbedingt unterstützen. Also lief ich erwartungsvoll mit ins Schlafzimmer.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt