Kapitel 181

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Sie grinste. „Ja, Abi trotz Schwangerschaft mit 1,0. Vor dir steht ein Master in Mathematik." Ich schluckte. Das hatte ich echt nicht erwartet. Ich musste an Papa und Marco gestern denken. Sie würden wohl genauso überrascht sein. Aber das zeigte doch, dass man wirklich immer auch hinter die Fassade schauen musste. „Jetzt guckst du dumm, Kindermädchen", grinste sie. Diesmal hatte es aber gar nichts provozierendes. „Du hast doch garantiert an das Klischee geglaubt, dass ich aus einer verarmten Malocherfamilie komme und strohdumm bin. Wahrscheinlich ohne Schulabschluss." Ehrlich gesagt hatte ich mir darüber keine genauen Gedanken gemacht. Aber ja, in die Richtung hätte ich sehr wahrscheinlich gedacht. „Und wieso hast du dann als Model gearbeitet und bist im Puff gelandet?" Das verstand ich echt nicht, wenn man dieses Potential hatte. Sie zuckte mit den Schultern und ihr Gesicht sah verbittert aus. „Weil das meine Rache an meinen Alten war, weil sie mir mein Kind weggenommen haben. Ich wollte auf keinen Fall so sein, wie sie es von mir erwartet haben. Und das Modeln passte ihnen so gar nicht." Sie verzog ihr Gesicht zu einem Grinsen. „Mein Vater hatte fast einen Herzinfarkt, als er ein Nacktfoto von mir bei einem Studenten im Playboy entdeckt hat." „Du warst im Playboy?" Sie nickte. „Das ist aber schon lange her. Ehrlich gesagt, weiß ich auch selbst, dass das Modeln nicht gerade eines meiner größten Talente ist. Aber wenn du dich erst einmal nackig gemacht hast, dann kommst du in eine bestimmte Richtung und na ja, was soll ich sagen. Eins kommt dann zum anderen und du bietest auch andere Dienste an. Erst für eine Menge Kohle und dann, wenn du älter wirst, geht es rasant bergab." „Bis zu Carlo." Sie nickte. „Leben denn deine Eltern noch?" Vielleicht konnte man das ja noch einrenken und sie unterstützten sie doch noch diesmal mit ihrem Enkelkind. „Vergiss es. Ich sehe dir deine Gedanken an. Ich bin für sie gestorben, auch wenn sie noch leben. Ich war eine absolute Schande für sie." Was bitte waren das für Eltern? Ich schickte ein stilles Dankeschön in den Himmel, dass meine Eltern so anders waren. Sie würden immer zu mir und Luca stehen, egal, was wir anstellen würden. Ich schaute zu der oiden Brunzkachl, die gerade genussvoll in das Brötchen biss, das ich mitgebracht hatte. Ich schnappte mir auch eins und biss ab. Heute morgen hatte ich irgendwie vor Aufregung gar keinen richtigen Appetit gehabt. Andi hatte mich ganz besorgt angeschaut. Aber jetzt, kam der doch. „Eh, friss mir nicht meine Brötchen weg", wurde ich im nächsten Moment angeschnautzt und die Trutschn entriss mir die Bäckertüte, in der noch drei weitere warteten. Scheinbar hatte sie wohl schon so oft Kohldampf geschoben, dass sie dem Ganzen noch nicht traute. „Also, ich habe ein paar neue Klamotten für dich mitgebracht. Ich hoffe sie passen und gefallen dir auch", wechselte ich erst einmal das Thema. „Und da in der Tüte ist Duschgel, Shampoo und noch anderes Zeug." Ich deutete auf die Tüte vom Drogeriemarkt. „Ich stinke dir wohl zu sehr", grummelte sie mit vollem Mund. „Nee, aber du hast morgen einen Termin bei deinem neuen Vermieter. Und da solltest du vielleicht etwas präsentabler sein." Die Brunzkachl fing an zu husten. Scheinbar hatte sie sich wohl verschluckt. „Bei wem?" Sie starrte mich ungläubig an. „Bei deinem neuen Vermieter. Du musst schließlich den Mietvertrag unterschreiben." Sie riss ihre Augen auf. „Nicht im Ernst." Ich grinste, weil sie so überrascht aussah. „Doch sogar im Paul und auch im August." „Du verarschst mich doch. Einfach so? Das glaube ich nicht. Und wie soll ich bitte die Miete zahlen? Oder machst du das von deinem Lohn, Kindermädchen?" Ihre Überraschung war in Skepsis und Ablehnung umgeschlagen. „Nee, ich verarsche dich nicht. Wir haben gestern durch die Beziehungen von meinem Vater eine möblierte Wohnung für dich bekommen. Und Tessa klärt heute die Ansprüche, die du zur Eingliederung hast. Und Mama wollte sich nach einem einfachen Bürojob für dich umhören, damit du die Miete dann auch selbst zahlen kannst", klärte ich sie auf. „Also warum sollte ich das zahlen, Bärbel!" Ja, wenn sie mich Kindermädchen nannte, bekam sie ein Bärbel um die Ohren geknallt. Ganz einfach. „Warum solltet ihr das tun? Einfach so! Und nenn mich nie wieder Bärbel." Sie fixierte mich mit zusammengekniffenen Augen. „Dann nenn du mich nicht Kindermädchen. Ich bin Lucy. Das habe ich dir schon einmal gesagt. Wie soll ich dich denn nennen?" Ja, angepisst konnte ich auch. „Okay, Lucy. Wie wäre es mit Genia? Weil die Marlen-Phase ist definitiv durch." „Genia?" Was war das denn schon wieder für ein abgefahrener Name? „Ist das ein neuer Künstlername?" Sie schüttelte den Kopf. „Nee, das ist mein zweiter Vorname. War wohl die Idee meines Vaters, weil er so dicht an genial oder Genie war und er seiner Hoffnung einen Namen geben wollte." Das war doch echt verrückt. „Okay, Genia. Dann sieh zu, dass du in die Dusche kommst. Damit wir die Klamotten anprobieren können." „Nee, erst esse ich noch auf." Sie griff sich noch eine Semmel aus der Tüte und biss herzhaft hinein. „Mm, ich liebe diesen Käse", stöhnte sie auf einmal auf und eine Träne kullerte ihr über die Wange. „Scheiß Schwangerschaftshormone", knurrte sie auf einmal. Oh oh, das kannte ich noch von Tessa. Wie auf Kommando piepste mein Handy. Ich schaute auf das Display. Eine Nachricht von Tessa Und hat sie dich schon gefressen? Ich musste grinsen. Lebe noch antwortete ich schnell Habe Interessantes erfahren. Erzähle ich später. Garantiert war Tessa neugierig. Ich auch. Miete ist gesichert. Bringe heute Abend Anträge mit. Kannst du die bei mir abholen? Das hörte sich ja perfekt an. „So wie du lächelst, kann das ja nur Andreas sein." Die Brunzkachl oder sollte ich Genia sagen, hatte mich wohl die ganze Zeit beobachtet. „Nee, ist von Tessa. Sie hat Anträge besorgt, damit das mit der Eingliederung klappt. Die Miete wird wohl übernommen." „Echt? Das kann ich gar nicht glauben." Und genauso schaute sie mich auch an. „Ich springe jetzt unter die Dusche." Total euphorisch griff sie sich die Tüte aus dem Drogeriemarkt und verschwand aus dem Zimmer. Irgendwie hatte ich heute das erste Mal ein richtig gutes Gefühl, dass das alles funktionieren würde. Jetzt musste ich sie nur noch äußerlich in Schuss bekommen. Und dann sollte ich vielleicht auch noch einmal das Thema Baby anschneiden. Scheinbar hatte ich eine ganze Weile vor mich hingegrübelt, denn die Tür wurde aufgerissen und knallte laut wieder ins Schloss, nachdem die Brunzkachl - den Begriff würde ich wohl so schnell nicht aus meinem Kopf verbannt bekommen - ins Zimmer gestürzt kam. Dicke Kullertränen liefen ihr über die Wangen. Was war denn jetzt schon wieder los?

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt