Kapitel 98

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Max schob Tessa in den menschenleeren Raum. Sofort setzte sie sich stöhnend auf den Platz mit Leos Foto und rieb sich den Bauch. „Passt mal auf ihr kleinen Ungeheuer, ihr reißt euch jetzt gefälligst zusammen und bleibt da, wo ihr seid bis der Papa da ist." Ehe sie noch weiterreden konnte, verzog sie wieder schmerzhaft das Gesicht. Ich schaute zu Max, der ziemlich blass aussah. Also eigentlich tat er das immer, aber im Moment toppte er es noch. Das war..... das war gar kein gutes Zeichen. „Was macht ihr denn hier?" Wo kam denn nun schon wieder Marco her? War dieser Kerl eigentlich hier überall im Stadion oder hatten die ihn geklont, damit er überall anwesend war? Beunruhigt schaute er zu seiner Tochter. „Tessas Fruchtblase ist geplatzt und sie hat schon häufig Wehen. Wir müssen ganz dringend ins Krankenhaus, aber sie weigert sich ohne Leo", setzte Max seinen Vater verzweifelt ins Bild. Der schüttelte seinen Kopf „Sie ist genauso stur und uneinsichtig wie ihre Mutter. Musst du ihr eigentlich alles nachmachen?", wandte er sich an seine Tochter. „Ihr habt Glück, dass ich gerade hier bin. Du schaffst sie erst einmal nach da hinten, zweite Tür links. Da ist der Behandlungsraum vom Doc." Marco deutete auf eine Tür, die zu einem Gang führte. Die war mir bei der Hochzeit hier gar nicht aufgefallen. „Da kann sie sich erst einmal auf die Liege legen." Max nickte und half seiner Schwester beim Aufstehen. Sofort stöhnte sie wieder. „Ist laufen nicht wegen der Nabelschnur Mist?" Ja, Marco hatte ja mit Geburten schon so einige Erfahrung als achtfacher Vater. Genaugenommen hatte er hier wohl die meiste Erfahrung damit und mehr Geburten miterlebt als wir drei zusammen. So wie Max aussah, war er nämlich auch nicht gerade der überzeugende Geburtshelfer. Obwohl, er hatte wenigstens schon seine kleine Schwester Mariska damals auf die Welt geholt, weil Franzi das auch irgendwie mit den Wehen unterschätzt hatte und die Kleine dann Zuhause geboren wurde, ehe der Notarzt da war. So viel ich wusste, war das wohl der Auslöser für das Medizinstudium bei Max. Na ja und die einzige Geburt, die ich miterlebt hatte, war meine eigene. Ohne eine Antwort seines Sohnes abzuwarten, hob Marco seine Tochter stöhnend auf seine Arme und trug sie in die von ihm angegebene Richtung. Er legte sie auf einer Untersuchungsliege, wie ich sie vom Arzt kannte, ab. Ja, auch die Schränke in dem Raum deuteten eindeutig auf Arzt und Behandlungsraum hin. „Du warst auch schon einmal leichter.", schnaufte er und rieb sich den Rücken. „Da hatte ich ja auch noch keine Untermieter, die nicht auf mich hören", fluchte Tessa und rieb sich erneut ihren Bauch mit schmerzverzogenem Gesicht. „Ich habe gesagt ihr sollt euch beruhigen und warten. Ihr kommt da sowieso nicht raus, bevor der Papa hier ist. Und wenn ich die Beine zusammenpresse", maulte sie ihren Bauch an. „Ich gehe Leo holen." Marco verschwand eiligst aus der Tür. „Na endlich einer, der mal was tut." Oha, das musste echt wehtun, so übellaunig wie sie war. „Tessa wir können nicht länger warten. Wir müssen sofort los ins Krankenhaus. Wahrscheinlich wirst du die Kinder sowieso schon im Krankenwagen bekommen." Tessa schüttelte entschieden den Kopf. „Nicht ohne meinen Erpel." „Dann bekommst du sie wahrscheinlich hier. Verflucht nochmal, willst du das?" Max schaute sie sauer an. Scheinbar waren seine Nerven ziemlich angespannt, denn sonst war er immer die Ruhe in Person. „Geht das denn?" Das war doch nicht Tessas Ernst. Obwohl, so begeistert wie sie schaute, schon. Die Tür wurde aufgerissen und ein Mann im mittleren Alter kam hereingestürmt. „Ich bin der Mannschaftsarzt", stellte er sich kurz vor. „Und du studierst gerade Medizin?", wandte er sich an Max, der nur nickte. Wieder stöhnte Tessa auf und krümmte sich zusammen. „Also ich bin ja kein Geburtsmediziner, aber das sieht für mich nicht so aus, als ob das noch lange gut geht." Na der war ja ermutigend. „Welche Woche ist sie denn?" Ehrlich gesagt hatte ich keinen blassen Schimmer. Ich überlegte kurz. In welcher Woche war sie denn beim Derby? „Irgendetwas in die 30", rutschte es mir heraus und ich begann in ihrer Tasche zu buddeln. Da musste doch dieser Mutterpass sein. Da war er jedenfalls als wir vor ein paar Wochen im Krankenhaus waren. „Geht doch nichts über präzise Antworten", grinste der Mannschaftsarzt kopfschüttelnd. „37.", kam es aber glücklicherweise von Max und Tessa im selben Augenblick. „Das ist gut, dann müssen wir sie nicht gleich auf die Heizung legen, damit sie weiterbrüten können. Hattest du in deinem Studium schon das Thema?" Wieder wandte sich diese Frohnatur an Max, der wieder nur nickte. „Okay, dann lass uns die Ärmel hochkrempeln, wird schon nicht schlimmer werden als eine OP am Kreuzband. Hier können wir uns ja auch ein bisschen auf die Natur verlassen und müssen hoffentlich nicht schlitzen und wenn alles gutgeht nur auffangen." Na der war ja mehr als lustig. Hatte der wirklich ein abgeschlossenes Medizinstudium? „So, und du gehst mal hier raus und zeigst dann dem Notarzt den Weg, wenn er endlich da ist." Damit war dann wohl ich gemeint. Ich drückte noch einmal kurz Tessas Hand und versuchte mich an einem aufmunternden Lächeln. So wie sie ihr Gesicht verzog, bekam sie es aber gar nicht mehr mit. Schnell bewegt ich mich also raus in den Gang vor die Kabinentür. Verflucht, so war das doch gar nicht geplant. Eigentlich sollte ich sie doch nur ins Stadion begleiten. Da war nicht von einer Spontangeburt die Rede. Mein Magen zog sich zusammen. Hoffentlich ging das alles gut. Ih stellte mich auf den Gang vor der Kabine und beobachtete das Getümmel in der Mixed Zone, das immer mehr wurde. Die ganzen Kameras wurden langsam in Stellung gebracht. Na ein Glück, dass die nicht wussten, was hier hinter mir gerade passierte. Die wären doch sonst wie die Aasgeier im Anflug. Apropos Anflug. Wo blieb denn bloß Leo? Ich begann wieder ein Stoßgebet nach da oben zu schicken. „Bitte, bitte lieber Herrgott, lass alles gut werden. Nimm Tessa die Schmerzen und lass die beiden Kleinen schnell und quietschgesund auf die Welt kommen. Ich werde mich auch immer um sie kümmern und für sie da sein", brabbelte ich ganz leise vor mich hin. „Bitte, bitte, lieber Herrgott, sorge auch dafür, dass Leo endlich kommt. Alles muss gut werden." Wie zur Bestätigung hörte ich das Klappern der Töppen auf dem Betonboden und schaute in Leos puterrotes Gesicht. Hinter ihm kam Marco angeflitzt. „Wie geht es meiner Zuckerschnecke?" Man, ihm war die Angst förmlich ins Gesicht geschrieben. „Gut, jetzt beeile dich aber." Ich umarmte ihn kurz, ehe er in der Kabine verschwand. Marco lehnte sich kurz schnaufend neben mich an die Wand. „Ich werde Opa", grinste er auf einmal und stürzte auch in die Kabine.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt