Kapitel 76

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Ich öffnete langsam meine Augen und schaute zu dem kleinen blonden Schopf, der sich ziemlich breit in meinem Bett machte. Carmen und ich hatten uns gestern Abend gleich ohne Umwege in mein Bett gekuschelt und ich hatte wirklich noch den Sailor-Moon-Film angemacht. Es hatte genau eine Viertelstunde gedauert bis die Kleine tief und fest geschlafen hatte. Na ja, das war ja auch ziemlich aufregend gewesen. Ich musste daran denken, wie sich die Brunzkachl verhalten hatte und auch daran, wie Carmen auf sie reagierte. Irgendwie passte da etwas gewaltig nicht. Vielleicht sollte ich nachher einmal Mama davon erzählen und sie fragen, wie ich mich verhalten sollte. Eventuell bot sie ja an mit Andi einmal darüber zu reden. Das wäre mir ehrlich gesagt am liebsten, denn......keine Ahnung, aber irgendwie wollte ich so ein Gespräch nicht mit ihm führen. Sonst dachte er nachher noch ich wäre auf die Trutschn eifersüchtig oder er nahm mich gar nicht wirklich ernst. Und wenn Mama mit ihm sprach, hatte das so als Mutter doch ein ganz anderes Gewicht, als wenn ich da ankam.  Oder Papa, so von Vater zu Vater. Mist, die beiden wussten ja noch gar nicht, dass wir einen Übernachtungsgast hatten. Sie würden bestimmt Augen machen. Gestern Abend waren sie scheinbar noch unterwegs, als wir gekommen waren, denn Papas Auto war gar nicht da. Nur bei Luca hatte ich einen Lichtschein unter der Tür gesehen. „Guten Morgen." Carmen schlug langsam ihre Augen auf und grinste mich breit an. „Lucy", quietschte sie. Ehe ich mich versah, war sie unter der Bettdecke hervorgekrochen und kniete auf meinem Bett. „Was machen wir heute?" Sie fing an auf den Knien auf meiner Matratze zu hüpfen. „Können wir in die Trampolinhalle gehen." Sofort hüpfte sie noch enthusiastischer und mein Bett gab ordentliche Quietschgeräusche von sich. „Oder wir gehen schwimmen oder spielen Fußball oder...." Meine Zimmertür wurde aufgerissen. „Geh sofort runter von meiner Schwester, du mieser Drecksack." Luca kam in das Zimmer wie ein Bulldozer, stütze seine Arme wutschnaubend in die Hüften und stierte sauer zu meinem Bett. Was war denn in den gefahren? Scheinbar hatten wir ihn wohl etwas unsanft geweckt. Seine Haare standen ihm zu Berge und er trug nur eine Boxer. Schnell versuchte ich Carmen die Hände vor die Augen zu halten, damit sie dieser Anblick nicht traumatisierte. Sie zog aber meine Hände von den Augen und hüpfte umso doller auf dem Bett. „Der dachte wir ficken", kicherte sie. Ich hatte mich doch hoffentlich gerade verhört. Das F-Wort hatte sie nicht wirklich gebraucht. „Das ist ja Carmen. Ich dachte schon das wäre Mika." Luca fuhr sich mit seinen Händen durch die Haare und sah nun noch wilder aus. Was hatte er da gerade gesagt? Selbst wenn es Mika wäre, hätte er überhaupt kein Recht hier einfach so hereinzuplatzen. Ich sprang aus dem Bett auf und stürzte auf ihn zu. Mit meinem Finger bohrte ich in seine Brust. „Wage es dich nicht noch einmal hier einfach so reingestürzt zu kommen. Kennst du eigentlich das Wort Privatsphäre nicht?" Der Mistkerl hielt einfach meine Hand fest „Doch, aber ich kenne auch die Worte Verantwortung als großer Bruder, Dodo. Ich lasse nicht zu, dass meine kleine Schwester von irgendsoeinem Kerl benutzt wird." „Der Kerl ist einer deiner besten Freunde und deine kleine Schwester ist mittlerweile auch schon groß", protestierte ich. „Aber nicht groß genug, dass sich ein Kerl in deinem Bett breit macht. Du bist noch viel zu jung für.." „das Ficken", krähte Carmen wieder, die uns beobachtet hatte und damit unsere gesamte Aufmerksamkeit auf sich zog. „Genau", hörte ich meinen Bruder aber trotzdem brummen. „Ich verhungere." Die Kleine hielt sich ihren Bauch, während sie jetzt nicht mehr auf den Knien, sondern auf den Füßen meine Matratze als Trampolin benutzte. „Sind Mama und Papa schon wach und machen Frühstück?" Das wäre optimal, dann könnte ich die Kleine noch schnell ins Bad schieben und sie dann abfüttern. „Garantiert nicht. Die sind gestern spontan nach Köln, um irgend ein Musical zu gucken und übernachten da im Hotel. Sie wollten erst heute Abend wieder da sein." So ein Mist, dann konnte ich ja gar nicht mit ihnen über Carmen sprechen und sie konnten sich auch kein Bild davon machen, wie die Kleine sich verändert hatte. „Dann musst du uns frühstück machen", forderte Carmen und hüpfte auf Luca zu. Der schüttelte nur seinen Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich bin ein Mann.... und die Küche ist Weiber-Teritorium." Carmen baute sich mit genauso vor der Brust verschränkten Armen auf „Und mein Papa macht auch das Frühstück und der ist schon viel älter und ein richtiger Mann." Ich fing an zu kichern. Man, guckte Luca vielleicht blöd. „Ist das hart, wenn man nicht einmal die kleinen Mädchen beeindrucken kann", gackerte ich. Das brachte mir natürlich einen bösen Blick ein, ehe auch Luca zu lachen anfing. „Dafür machst du uns jetzt aber Frühstück, Dodo." Ich gab mich geschlagen und marschierte in die Küche.
„Ich habe die Kleine erst einmal vor dem Fernseher deponiert." Luca kam zu mir in die Küche marschiert und sah sich suchend um. Dachte der etwa, ich konnte zaubern? „Wieso ist die Kurze überhaupt hier?", erkundigte er sich. Schnell erzählte ich ihm von dem Erlebnis mit der Brunzkachl. „Die hat sie echt Rotzlöffel genannt... und Carmen hat zu ihr Bitch gesagt und vorhin immer die F-Wörter. Das ist doch nicht normal.", regte ich mich auf. „Na ja, die Kleine geht jetzt zur Schule, da kommen sie so mit Ausdrücken schon in Kontakt." Luca verzog sein Gesicht. „Ich kann mich noch daran erinnern, wie du nach deiner ersten Schulwoche zu Oma gekommen bist und sie gefragt hast, ob sie auch mit Opa bumst." Ich schlug mir die Hände vor das Gesicht. Diese peinliche Geschichte würde mich wohl bis in alle Ewigkeit verfolgen. „Manno, ich dachte das wäre ein anderes Wort für Küssen." Luca fing an zu grinsen. „Ja, da hatte Dodo was aufgeschnappt. Und wer sagt, dass es bei Carmen nicht genauso ist? Ich würde da jetzt nicht so ein Drama drum machen und es einfach ignorieren. Es ist auch nicht dein Job als Babysitter dich da reinzuhängen. Sie wird das dann bestimmt auch bei Andi sagen und der kann sich dann darum kümmern." Das war mal wieder typisch Luca, das Faultier. Nur nicht mehr machen als nötig. Andererseits hatte er Recht. Vielleicht sollte ich es wirklich ignorieren und mich da raushalten. „Ich verhungere." Carmen kam mit leidendem Gesicht in die Küche geschlichen. Schnell schob ich ihr eine Schüssel mit Cornflakes hin und holte die Milch aus dem Kühlschrank. Luca schnappte sich auch eine Schüssel, die ich befüllt hatte und setzte sich auf seinen Platz. Mein Handy auf dem Tisch piepste. Das musste mein Horoskop sein. Heute reisen Sie in die Vergangenheit und merken, wer es mit Ihnen gut meint. Na prima, die Reise hatte ich ja vorhin schon unternommen, als der Erbsenzähler mich an meine anfängliche Schulzeit erinnert hatte. Da war ich doch aber mal gespannt, wer es mit mir gut meinte. „Was machen wir denn nun heute?", schmatzte Carmen mit vollem Mund und schaute mich neugierig an. Ich zuckte mit den Schultern. Ehrlich gesagt hatte ich mir darüber noch gar keine Gedanken gemacht. „Was haltet ihr davon, wenn wir in den Zoo gehen?" Erschrocken schaute ich zu meinem Bruder. Hatte er das gerade wirklich vorgeschlagen? Scheinbar hatte er meinen schockierten Blick gesehen. „Ich kann dich doch mit dem Hüpfmonster nicht alleine lassen. Du weißt schon Große-Bruder-Verantwortung", zwinkerte er mir zu. Früher in München war Luca oft mit mir und Oma in den Tierpark nach Hellabrunn gegangen. „Au ja Zoo", jubelte Carmen sofort los und riss ihre Arme über den Kopf. „Und dann noch Mac doof?" Sie schaute unsicher zu Luca. „Nun übertreib mal nicht gleich", winkte er ab. „Ich dachte eher an Leberkas und Kartoffelsalat. Das gibt es doch bestimmt hier auch im Zoo. Was meinst du, Dodo?" Ja, das hatten wir mit Oma immer in Hellabrunn gegessen. Das war mein Lieblingsessen. Ich nickte grinsend. Dann reiste ich doch gerne noch einmal in die Vergangenheit. Irgendwie war das komisch. Ich hatte schon ewig nichts mehr mit Luca unternommen. Bestimmt war da doch irgendwo ein Haken, wenn er das freiwillig vorschlug. Egal.„Vielleicht gibt es da ja sogar Apfelstrudel", sinnierte ich. Ja, dafür würde ich ziemlich viel geben, denn der Stand in meiner Speiseliste auch ganz oben. „Na dann auf", Luca klopfte mit seiner Hand auf den Tisch und Carmen sprang sofort auf. Beide verschwanden aus der Küchentür. „Hallo, der Geschirrspüler wartet", brüllte ich ihnen hinterher. „Dein Job", hörte ich die Stimme meines Bruders, als sein grinsendes Gesicht wieder im Türrahmen auftauchte, während Carmen sich artig ihre Schüssel schnappte. „Ach und da du ja gestern genug Asche bekommen hast, zahlst du", grinste er breit. Ich wusste doch, dass da irgendwo ein Haken war.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt