„So, wir sind gleich da." Ich schaute aus der Seitenscheibe. Ja, wir hatten die Autobahn glücklicherweise vor kurzem verlassen. Die ersten Laternen waren schon an, denn die Dämmerung hatte bereits eingesetzt. Das war immer das Blöde im Winter. Ich mochte es nicht, wenn es schon so früh dunkel wurde. Eigentlich hätten wir schon viel früher hier sein sollen, aber ein riesiger Stau hatte uns da einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich schaute zu Andi, der ziemlich müde aussah. Im Radio dudelte leise irgendwelche Musik. Den Großteil der Fahrt hatten wir uns einfach unterhalten. Andi war total an meinen Abiprüfungen interessiert und ich hatte ihm ausführlich über die Themenbereiche und Termine erzählt. Er hatte mir sogar angeboten, dass ich mich bei naturwissenschaftlichen Fragen auch gerne an ihn wenden konnte. Natürlich hatte ich sofort wieder Nils Stimme gehört „Du hast garantiert Probleme mit der Gravitationskraft im horizontalen Bereich." Bei dem Gedanken fing ich gleich wieder an zu schmunzeln. Ja, ich hatte auch das Gefühl, dass ich da Probleme in Physik auf mich zukommen sah. Vor uns tauchte ein riesiges Hochhaus in Segelform auf. Das sah echt interessant aus. „Das ist unser Hotel." Andi deutete mit der Hand genau auf dieses Gebäude. Das war ja....wow....da hatte man bestimmt einen total tollen Ausblick. Aber nur, wenn man in einer der oberen Etagen wohnte. Und die waren bestimmt saumäßig teuer. Schade eigentlich...
„Göbel, ich hatte hier zwei Zimmer für die Agentur ........" Anstatt weiter zu zuhören, schaute ich mich lieber im Hotelfoyer um. Man merkte sofort, dass man hier an der See war. Alles war irgendwie maritim angehaucht, aber nicht auf so eine verstaubte Seeräuberart, sondern auf modern. Das gefiel mir. Mein Blick fiel zum Eingang eines Restaurants und sofort gab mir mein Magen ein Zeichen, dass es höchste Zeit war etwas zu essen. Andi hatte zwar kurz an einer Raststätte angehalten und wir hatten uns ein paar Baguette geholt, aber das war schon eine Ewigkeit her und das Mittagessen war ja auch ausgefallen, weil wir schon so früh losgefahren waren. „Okay, aber dann bräuchten wir anstatt eines Doppelzimmers zwei Einzelzimmer. Bei uns hat sich da krankheitsbedingt eine Umstellung ergeben,..." Okay, Andi verhandelte noch mit der Dame an der Rezeption. Ja klar, eigentlich sollte ich mir ja mit Mama das Doppelzimmer teilen. Mein Blick wanderte wieder zu dem Restaurant, aus dem gerade zwei Männer in Anzügen kamen. Wenn diese Krawattenträger dort essen gingen, bedeutete das garantiert, dass es mein Budget überstieg, das ich gewillt war für Essen auszugeben. Und vermutlich bedeutete es auch sehr aufgeräumte Teller, von denen sowieso niemand satt wurde. „Das tut mir wirklich leid, aber wir sind total ausgebucht." Die Hotelangestellte schaute Andi entschuldigend an. „Im Schifffahrtsmuseum findet diese Wochenende eine Großveranstaltung statt. Ich könnte Ihnen erst ab Sonntag zwei Einzelzimmer anbieten." Meine Ohren schlugen hoch. Hallo, was sollte das denn heißen? Ab Sonntag? War das ein Scherz? Da fuhren wir doch wieder nach Hause. Also mit diesem Jeremy teilte ich mir garantiert kein Zimmer. Da konnte er so viel für Mama einspringen wie er wollte und es war auch egal, ob er ein Lieber war. Das kam überhaupt nicht in die Tüte. Andi schaute mich zerknirscht an. „Wir haben ein Problem. Jeremy hat sich schon das Einzelzimmer genommen..... und...." Er fuhr sich mit seiner Hand durch die Haare und sein Gesichtsausdruck wechselte von zerknirscht auf peinlich berührt „Und wir müssten uns das Doppelzimmer teilen. Oder ich müsste sehen, ob ich in irgendeinem anderen Hotel ein Zimmer bekomme", setzte er schnell nach. Was hatte er da gerade gesagt? „Das ist deine Chance", hörte ich schon wieder Nils lauthals in meinem Kopf. „Das sehe ich auch so." Verflucht, jetzt antwortete ich dieser Stimme sogar schon. Das musste aufhören, sonst hatte ich bald echt ein Problem. „Ähm, klar. Ich kümmere mich sofort um ein anderes Hotel." Andi zückte sein Handy aus der Tasche und fing an zu tippen. So richtig begeistert sah er dabei nicht aus. „Was? Das meinte ich doch nicht." Ich sollte das nächste Mal aufpassen, was ich der Stimme in meinem Kopf antwortete. Oder wie ich antwortete. „Ich meinte, wir teilen uns das Doppelzimmer", kam es mir flott über die Lippen. „Ja, jetzt ist keine Zeit für Schüchternheit, Lucy-Maus." Oh, mein Gott. Ich sah sogar das zufrieden grinsende Gesicht von Nils vor meinem geistigen Auge. „Ehrlich? Das würde dir nichts ausmachen?" Andi sah überrascht, aber auch irgendwie erleichtert aus. „Ja, klar. Das ist überhaupt kein Problem", lächelte ich. Ja, es war genau genommen sogar das absolute Gegenteil von einem Problem, nämlich die Lösung meines Problems und eine absolute Chance. „Gut, schließlich habe ich deinem Vater ja versprochen auf dich aufzupassen und da wäre es schon blöd, wenn ich in einem anderen Hotel wohnen würde. Dann lass uns das Zimmer erkunden. Wir wohnen in der zehnten Etage." Er reichte mir die Zimmerkarte, schnappte sich unsere beiden Reisetaschen und lief zum Fahrstuhl. Schnell folgte ich ihm. Den Spruch mit Papa hätte er sich aber echt sparen können. Manno, er sollte mich mal als Frau sehen und nicht als die kleine Tochter von Papa und Mama.
„Wow, das ist ja der Wahnsinn." Begeistert schaute ich aus dem Fenster. Unter uns erstreckte sich die Weser und ich sah einige beleuchtete Schiffe. „Was ist das denn da hinten? Da steht ja ein Leuchtturm." Den musste ich mir unbedingt anschauen. „Das ist kein echter Leuchtturm. Der ist nur als Deko im Zoo. Darunter ist das Gehege der Eisbären. Ich war da vor zwei Jahren mit Carmen, als wir an der Nordsee zusammen mit Chris und Dani Urlaub gemacht haben." Hatte Andi gerade Zoo und Eisbären gesagt? „Ob der noch auf hat?" Vielleicht konnte ich da ja gleich noch hin. Andi schüttelte den Kopf „Das bezweifele ich, aber wenn alles gut läuft, können wir am Sonntag da vielleicht noch hin, bevor wir nach Hause fahren." Ich verzog mein Gesicht enttäuscht. „Ich bin mir sicher, wir kommen da noch hin. Versprochen! Du liebst wohl den Zoo? Das ist mir schon in Duisburg aufgefallen." Er schaute mich neugierig an. Ich nickte „Da passt du ja gut mit Phil zusammen", zwinkerte er. Boah, der sollte bloß damit aufhören. „Oder mit Carmen. Die liebt auch den Zoo", wechselte ich die Richtung. Wenn er eins und eins zusammenzählen konnte, sollte er doch eigentlich ganz von alleine darauf kommen, dass ich am besten zu Carmen und ihm passte. So schwer war das doch gar nicht. Scheinbar für ihn schon, denn anstatt erleuchtet auszusehen, wechselte er nur das Thema. „Wir sollten noch etwas essen gehen. Schließlich habe ich deinem Vater versprochen, mich gut um dich zu kümmern." Bei dem Satz verging mir ja schon wieder fast der Appetit. Nee, mein Magen äußerte seinen Missfallen zu meinem Gedanken. Okay, ich hatte definitiv einen Bärenhunger. „Magst du hier im Hotel in das Restaurant?" Andi schaute mich nicht wirklich überzeugt an. Ich zuckte mit den Schultern und dachte wieder an die Schlipsträger. „Eigentlich würde ich viel lieber wo anders essen. Die haben doch hier bestimmt nur so Miniportionen", ließ ich meinen Bedenken freien Lauf. Andi fing an zu lachen. „Da hast du mit Sicherheit recht. Was hältst du davon, wenn wir hier um die Ecke in ein kleines Restaurant gehen. Da gibt es frischen Fisch. Und wenn man den hier nicht isst, wo dann." Da hatte er recht. Fisch mochte ich gerne. „Aber keine Krabben oder Muscheln", rutschte es mir heraus. Das Meeresgetier mochte ich nämlich überhaupt nicht. „Nee, da gibt es super leckeren Backfisch. Aber gut zu wissen, dass du keine Meeresfrüchte magst. Das muss ich mir merken." Backfisch, ja das hörte sich lecker an. Und das Andi sich meinen Essensgeschmack merken wollte, war doch auch ein Anfang. Ja, das lief doch schon in die richtige Richtung. Enthusiastisch, hakte ich mich bei ihm unter. „Na dann los!" Was schaute er denn so irritiert?
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Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️
RomanceLucy kommt sich so langsam wie das letzte Einhorn vor. Alle ihre Freundinnen haben einen Freund, nur sie nicht. Und der Kerl für den sie schwärmt, sieht in ihr alles mögliche - die Babysitterin und die Tochter seiner Kollegin - aber nicht das, was s...