Kapitel 180

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Ich schnappte mir die Tüten aus dem Kofferraum von Erwin und marschierte damit los. Hoffentlich hatte ich nichts vergessen. Ich hatte neue Klamotten und ein Handy besorgt, so wie ich das mit Mama und Franzi abgesprochen hatte. Und gleich nachdem ich Carmen an der Schule abgesetzt hatte, war ich erst durch einen Drogeriemarkt gestürzt und hatte alles zusammengegriffen, was man da so brauchen konnte. Beim Bäcker hatte ich dann noch etwas zum Frühstücken besorgt. Mit jedem Schritt, den ich mich dem Hostel näherte, schlug mein Herz etwas schneller, denn es war ja heute das erste Mal, dass ich wieder alleine mit der oiden Brunzkachl zutun hatte. Und so richtig sicher, was mich da erwarten würde, war ich nicht. Schließlich würde ich uns nicht unbedingt als die besten Freundinnen bezeichnen. Andererseits war ich ja nicht als ihr Feind im Anmarsch, sondern um ihr zu helfen. Und das musste doch sogar sie anerkennen. Trotzdem braute sich so ein blödes Gefühl in mir zusammen. Egal, ich atmete einmal tief durch und marschierte die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer. Vor der Tür atmete ich noch einmal tief durch, ehe ich anklopfte. Auf das Anklopfen folgte keine Reaktion. Also klopfte ich noch einmal etwas lauter. Endlich hörte ich ein leises Herein. Ich öffnete die Tür und fand mich dem Bett gegenüber, in dem die oide Brunzkachl zusammengerollt lag. Irgendwie sah sie nicht aus, als ginge es ihr wirklich gut. Ihre Augen waren ziemlich gerötet und ihre Haare sahen aus wie ein demoliertes Vogelnest. „Guten Morgen!", versuchte ich es mit fröhlicher Stimme. „Das Kindermädchen", kam es aber nur schnippisch zurück. „Was willst du denn hier? Dich an meinem Anblick ergötzen?" Gut, mit so etwas hatte ich ja fast schon gerechnet. Dann wurde es wohl Zeit, sofort etwas zu klären. „Ich bin nicht das Kindermädchen. Ich habe nämlich einen Namen und der ist Lucy. Ist das klar Bärbel." Okay, das Bärbel war vielleicht etwas fies. Die oide Brunzkachl riss ihre Augen auf. „Wow, du kannst ja auch selbstbewusst sein. Das hätte ich nicht erwartet." Sie schien wirklich erstaunt. War ich vor ihr wirklich immer so unsicher aufgetreten? Na ja, die Lauteste war ich noch nie, aber es war ja nun auch nicht so, dass ich mir die Butter vom Brot nehmen ließ, wie Oma das immer nannte. „Was willst du also hier?", schoss sie hinterher. Und sie ließ keinen Zweifel daran, dass sie mich gerade lieber nicht sehen würde. Das konnte ja echt noch spannend werden. Wie würde Tessa reagieren? Sie hatte auch gestern nicht so viel Probleme im Umgang mit der Trutschn gehabt. Einfach locker von der Leber weg quatschen, ohne sich beeindrucken zu lassen. Das war Tessas Technik. Dummerweise war ich aber nicht Tessa sondern Lucy. Und ich war da halt ruhiger und überlegter. Egal! „Ich bin hier, um dir ein paar Sachen zu bringen und ein paar Sachen mit dir zu besprechen. Willst du erst einmal was zum Frühstück?" Essen schadete ja nie und lockerte oft die Stimmung. Das wäre nicht von Nachteil. „Frühstück?" Ruckartig setzte sie sich in ihrem Bett auf. Na dann war das doch schon einmal ein Treffer. „Hast du auch Kaffee?" Neugierig linste sie zu meinen Tüten. „Du bist schwanger. Kein Koffein!" Das wusste ich noch von Tessa. „Und du bist nicht meine Mutter!", kam es angepisst zurück. „Nee, würde ja vom Alter schon nicht klappen." Ups, das war mir so herausgerutscht. Bestimmt war sie gleich wieder sauer. „Da hast du recht", grinste sie auf einmal. „Dann gib die Brötchen her. Der Parasit in mir hat Hunger." Parasit. Das hörte sich irgendwie nicht so gut an. Trotzdem war das ja vielleicht der Moment schon einmal eine bestimmte Frage zu stellen. „Willst du das Kind eigentlich behalten?" Ein hysterisches Lachen ertönte. „Wieso willst du dich als Kindermädchen bewerben, Kindermädchen?" Sie konnte also nicht aufhören mich zu provozieren. „Nee, du kannst zu schlecht zahlen. Macht mir zu viel Arbeit die Pfandflaschen einzulösen, Bärbel!" Kopfschüttelnd schaute sie mich an. „Ich habe dich echt unterschätzt. Du hast immer so brav und angepasst gewirkt. Aber du kannst auch ganz schön fies werden." Ein Grinsen schlich sich in ihr Gesicht. „Das gefällt mir." Okay, das musste ich nicht verstehen. Aber wenn das der Weg war zu ihr durchzudringen, dann war mir das auch egal. Das würde ich schon hinbekommen. „Also, was ist mit dem Baby, Bärbel?" Sie zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich kann es ja nicht einfach wegwerfen." Innerlich zuckte ich zusammen. Das war doch wohl nicht ihr ernst. „Aber wahrscheinlich nehmen sie es mir ja sowieso wieder weg. Ich habe ja nichts zu bieten. Wie soll ich denn ein Kind durchbringen und erziehen? Dazu bin ich doch gar nicht in der Lage." Hatte sie eben das Wort wieder benutzt? „Wieder?!" Sie zuckte mit den Schultern. „Ja, wieder. Ich war mit 16 schon einmal schwanger. Meine Tochter ist jetzt also 19." Ich schaute sie schockiert an. Die oide Brunzkachl hatte eine Tochter. „Und warum unterstützt sie dich jetzt nicht?" Das Gesicht von ihr verfinsterte sich. „Weil sie nicht weiß, dass es mich gibt. Das Jugendamt hat sie mir damals weggenommen als sie zur Welt gekommen ist. Meine Eltern haben sofort die Adoptionspapiere unterschrieben, damit sie den zusätzlichen Ballast los waren." Wie bitte? So etwas war doch nicht möglich. „Und das hast du dir gefallen lassen? Wolltest du sie denn nicht behalten?" Die Brunzkachl schüttelte ihren Kopf. „Klar hätte ich meine Kleine behalten wollen, aber wie? Ich war noch nicht mit der Schule fertig und hatte keine Ausbildung. Wovon hätten wir leben sollen?" „Da gibt es doch Unterstützung vom Staat." Sie schnaubte durch die Nase. „Nicht, wenn du niemanden hast, der dir dabei hilft." „Aber deine Eltern?" „Meine Eltern waren schwer mit ihren Karrieren beschäftigt. Mein Vater war Prof an der Uni und meine Mutter war selbstständige Unternehmerin." „Aber dann hätten sie doch dich und das Kind finanziell unterstützen können." Wieder ertönte ein Schnauben. „Das war nicht vorgesehen. So etwas war eine Schande und passt nicht in ihren Plan für mich." „Was denn für einen Plan?" „Na Abitur, Studium und dann Karriere. Und irgendwann dann einen passenden Kerl." Das konnte doch echt nicht sein. „Und hast du Abitur gemacht und studiert?" Das mit der Karriere schloss ich eher aus.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt