Kapitel 55

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„Also, du weißt Bescheid. Erst filmst du freihändig und dann nachher im Trauzimmer nimmst du das Stativ." Ich nickte und schnappte mir aus dem Kofferraum die Kameratasche und die Stativhülle, die ich mir umhängte. Mein Blick fiel zu der Uhr, die dort gleich neben dem Marktplatz stand. Es war gleich 11.30 Uhr „Wann sollte die Hochzeit sein?" „12 Uhr", brummte Papa und begann ans Auto gelehnt an seinem Handy zu zocken. Ich schaute zu Mama, die durch den nahegelegenen Park tigerte. Scheinbar verschaffte sie sich gerade einen Überblick über etwaige Fotolocations. Ich schaute mich um. Wenn in einer halben Stunde die Hochzeit war, warum war dann noch niemand hier? Unser Auto war das einzige. „Bist du dir sicher, das die Hochzeit um 12 Uhr ist?", fragte ich also sicherheitshalber noch einmal Papa, der ohne aufzuschauen, nickte. Erleichtert atmete ich auf, als drei Autos auf den Parkplatz bogen. Das erste Auto hatte ein Dortmunder Kennzeichen, dann kam ein Berliner Kennzeichen und zum Schluss wieder ein Dortmunder. Das waren dann doch hoffentlich die Großeltern. Also das Berliner Kennzeichen sprach dafür. „Dit jibt et echt nich" Gut, das war Chris, der da aus dem Auto sprang, stellte ich zufrieden fest. Dann hatte ich also recht mit meiner Vermutung. „Ick frage mich, ob die inne Schweiz eijentlich nur 30 fahren dürfen. Martin hätte echt Karin ans Steuer lassen sollen. Die hät ick bestimmt nich abjehangen. Dabei war dit jerade mal dunkeljelb. Da kann man doch wohl noch üba die Ampel rollern", schimpfte er vor sich hin. Mit einem lauten Hupen fuhr Emma auf den Parkplatz und hinter ihr kam auch ein Auto mit Schweizer Nummer. Ich rannte zu Emmas Beifahrertür und riss sie auf. „Mensch, wo bleibt denn Brautzilla? Und was machst du überhaupt hier?" Tessa schaute mich überrascht an, als sie sich aus dem Auto hievte „Das gleiche könnte ich dich auch fragen. Mich haben sie zur Trauzeugin verdonnert, nachdem Maja lieber kotzt als hierher zu kommen. Und was ist deine Ausrede?" Ich zuckte mit den Schultern und grinste „Eine ziemlich ähnliche. Luca kotzt auch, wie du weißt, und ich muss nun das Kameragirl geben. Und wo bleibt nun Brautzilla?" Tessa fing an zu lachen „Papa hat in der ganzen Aufregung den Brautstrauß vergessen und musste noch einmal zurück zum Blumenladen."  „Im Ernst?" Ich musste grinsen als sie nickte. „Der ist irgendwie total durch den Wind, von wegen sein erstes Kind heiratet." Wir schauten uns an und fingen an zu kichern „Wenn der wüsste." „Wenn wer was wüsste?" Wo kam denn auf einmal Mama her? Sie hatte doch aber nichts mitbekommen, oder? Ich schaute unsicher zu ihr. Nee, das sah nicht so aus. „Ach, Papa, dass auf der Wittbräucker Straße ein kleiner Stau ist", winkte Tessa grinsend ab „Dann würde er wahrscheinlich noch flatteriger." „Und wie ist die Braut so drauf?" Mama mache sich ja immer gerne vorher ein Bild, damit sie wusste, wie sie auf die Leute eingehen musste. „Sagen wir mal so, sie war nicht gerade begeistert, dass Maja ausfällt und ich auf das Foto muss, obwohl meine Kleidung nicht perfekt zu Phils Krawatte passt." Tessa verzog ihr Gesicht „Dabei sollte sie zufrieden sein, dass ich mich ihr zuliebe überhaupt in den Fummel gequetscht habe." Sie zog kurz über ihrem mittlerweile runden Bauch an dem Stoff. „Na ein Glück hatte Mama dieses Stretchkleid. In etwas anderes hätte ich gar nicht gepasst." Das Kleid war schwarz und hatte ein hübsches gelbes Muster. „Und die richtige Farbe hat es auch", stellte sie zufrieden fest. „Jedenfalls musste Phil jetzt eine von Paps alten BVB Krawatten ummachen, damit Brautzilla endlich wieder zufrieden war." Ein lautes Hupen ertönte wieder und Phil kam mit seinem SUV auf den Parkplatz geprescht.  „Ich bringe mich dann schon einmal in Position für das Brautpaar." Mama schaute mich auffordernd an. „Ich komme auch sofort", versprach ich ihr und begann die Kamera aus der Tasche zu fummeln. „Ja hallo Familie Weidenfeller", ertönte eine Stimme und ließ sowohl Tessa, also auch Leo und mich zusammenzucken. Herrgottkruzinoamoi, was machte der denn hier? Innerlich schlug ich mir die Hand vor den Kopf. Was machte wohl ein Standesbeamter auf dem Standesamt? Mist, das hatte ja gerade noch gefehlt. Aber hatte er nicht gesagt, er ginge in Pension? „Ich hätte ja nicht gedacht, Sie so schnell wieder zu sehen. Wissen Sie eigentlich wie gerne ich noch an diese besondere Trauung zurückdenke?" Er lächelte begeistert. „Schön Sie wiedergesehen zu haben. Ich muss dann aber auch mal, meine Frau wartet garantiert schon mit dem Essen und da wird sie immer ungemütlich, wenn ich zu spät komme. Merken Sie sich das immer gut, junger Mann. Happy wife, happy life." Er zwinkerte Leo verschwörerisch zu und klopfte ihm auf die Schulter. „Na dann, viel Spaß noch. Mein Nachfolger macht das auch echt gut", verabschiedete er sich und lief los. „Das war knapp. An den hatte ich ja gar nicht mehr gedacht", stöhnte Tessa auf und begann dann aber erleichtert zu grinsen. „Jetzt brauchen wir aber überhaupt keine Angst mehr haben, das wir auffliegen, schließlich sitzt er ja gleich bei Mutti am Fressnapf." „Wer war das denn?" Wo kam denn auf einmal Franzi her? „Ähm....ähm nur ein Fan von meinem Erpel." Tessa hatte sich als erste von uns dreien wieder gefangen. „Aber was machst du hier? Und wo ist Brautzilla und ihr Gefolge?" Franzi fing an zu lachen. „Dein Vater ist lieber über irgendwelche Schleichwege gefahren, nachdem Oma Manu ihn angerufen und ihm vom Stau auf der Wittbräucker erzählt hat. Glücklicherweise war Phil nicht so dämlich." Okay, dann war Franzi wohl bei Phil im Auto gewesen. „Brautpaar Bürki Reus." Ein Mann im dunklen Anzug erschien auf der ausladenden Treppe. „Die kommen gleich", brüllte ihm Franzi zu und wir setzten uns gemeinsam in Bewegung zu ihm. „Okay." Nachdenklich schaute er auf uns alle „Sind denn schon die Trauzeugen vor Ort? Dann könnten wir da schon einmal die Formalien hinter uns bringen." „Ja, hier.", meldete sich Phil zu Wort und zog Tessa hinter sich her. „Perfekt. Dann folgen Sie mir bitte."  Gerade als die Tür hinter ihnen zu fiel, ertönte wieder lautes Hupen und Marvins Auto bretterte auf den Parkplatz, gefolgt von Marcos SUV auf dessen Motorhaube ein riesiges Blumenherz aus roten Rosen prangte. Wie auf Kommando flogen alle Türen auf und Jasi und Marvin sprangen aus dem einen Auto und Marco und Max und Leo aus dem anderen. „Sind wir noch pünktlich?" Brautzilla schaute sich mit hochrotem Kopf verzweifelt um, während ich die Kamera auf sie hielt.  „Ja, is allet jut, meene Mini-Schnute." Chris lief auf seine Enkelin zu und zog sie beruhigend in seine Arme, ehe er sie wieder von sich streckte „Du siehst aba auch wat schnieke aus." Schnieke? Was sollte das sein? So, wie Leo strahlte musste es aber wohl etwas positives sein. „Ja, Opa hat recht, du siehst wunderschön aus." Auch Daniela umarmte ihre Enkelin. Na dann war ja auch klar, was schnieke bedeutete. Das hellgrüne Kleid von Leo stand ihr aber wirklich gut. Ich musste schmunzeln, als ich die Krawatte in der gleichen Farbe bei Max sah. „So kommt, dann machen wir gleich noch schnell ein paar Fotos neben dem Auto." Mama war voll in ihrem Fotografinnen-Modus. „Mensch Junge, wo wart ihr denn so lange? Ich habe dich doch vor dem Stau gewarnt." Marcos Mutter baute sich kopfschüttelnd vor ihrem Sohn auf. „Ich bin ja auch Schleichwege gefahren. Über Schüren", brummte er. „Mensch, da ist doch aber seit Ewigkeiten die Baustelle und Umleitung." Sie schaute ihren Sohn mit einem missbilligendem Gesichtsausdruck an. „Das weiß ich jetzt auch", kam es kleinlaut von Marco. „Na egal", winkte seine Mutter ab „Hauptsache, ihr seid trotzdem noch pünktlich. Eine kranke Trauzeugin, ein fehlender Brautstrauß und ein lausiger Chauffeur. Was soll da jetzt noch schief gehen. Das waren genug Katastrophen für eine Hochzeit", lachte sie und hakte sich bei ihrem Sohn unter. Ich filmte mit der Kamera fleißig das Geschnatter der anwesenden Gäste, um die aufgeregte Stimmung einzufangen. Ab und zu schwenkte ich auch zum Brautpaar, das sich artig Mamas Anweisungen folgend positionierte. Das laute Knarren der Tür zog wieder meine  Aufmerksamkeit auf sich. Diesmal erschien nur Phil auf der Treppe. „Es kann losgehen. Kommt ihr." Sofort setzten sich alle in Bewegung. Ich drängelte mich schnell nach ganz vorne und hastete die Treppe hoch. Schließlich musste ich ja noch meinen Platz mit der Kamera im Trauzimmer einnehmen, bevor das Brautpaar eintrat.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt