Kapitel 105

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Ich parkte Erwin auf unserer Auffahrt und stellte den Motor aus. „Die Oper war echt schön." Mika ließ seinen Kopf an die Kopfstütze sinken und schloss die Augen. „Fand ich auch." Also mit Sicherheit würde ich mir keine CD davon kaufen. Aber für eine Oper war es echt erträglich. Das eine Lied kannte ich sogar. Das sang Papa immer spaßeshalber wenn er Oma ärgern wollte. Bei ihm hieß es dann immer ‚Auf in den Kampf die Schwiegermutter naht' und nichts mit Torero. „Dann lass uns mal reingehen. Ist schon ganz schön spät." Mika öffnete die Tür und stieg aus. Ich folgte seinem Beispiel. Vielleicht konnten wir ja wenigstens noch ein bisschen in meinem Zimmer kuscheln, denn im Gegensatz zum Kino war das in der Oper ja nicht möglich gewesen. Ganz zu schweigen von dem fehlenden Popcorn. Bestimmt schliefen alle schon und merkten es nicht einmal, wenn Mika sich erst morgen früh in das Gästezimmer schlich. Schnell schlang ich meinen Arm um seine Taille und schmiegte mich im Gehen an ihn. Nachdem ich die Tür aufgeschlossen hatte, schlug uns wildes Stimmengewirr aus dem Wohnzimmer entgegen und alles war hell erleuchtet. So ein Mist. Sonst waren Papa und Mama doch immer schon um diese Zeit im Bett. Was war denn hier los? „Habt ihr Besuch?" Ich zuckte mit den Schultern. Eigentlich war mir da nichts bekannt. „Das ist echt unglaublich. Ich dachte immer so etwas wäre eine Erfindung dieser Reality Dokus im privaten Bildungsfernsehn" Worüber regte Papa sich denn so auf? Neugierig marschierte ich ins Wohnzimmer und sah Papa, Mama und Andi auf unserem Sofa sitzen. Was machte denn Andi hier? Ich hatte gar nicht sein Auto draußen gesehen. Und wieso sah er so mitgenommen aus? Seine Haare standen in alle Richtungen ab, als wär er die ganze Zeit mit seinen Händen dadurch gefahren. „Ist etwas mit Carmen?" Nervös schaute ich zwischen den dreien hin und her und ließ mich auf das Sofa neben Mama plumpsen. „Carmen geht es gut. Alles okay", beruhigte sie mich sofort und strich über meinen Arm. Erleichtert atmete ich auf. Ich hatte schon Angst, dass sie wieder abgehauen oder etwas anderes passiert war. „Die olle Modeltrude hat einen Polizeieinsatz ausgelöst, weil sie die Tür aufgebrochen und sich in Andis Bett gepackt hat. Nackt!" Papa schüttelte angewidert den Kopf. „Frau Schöller über mir hat das wohl mitbekommen und die Polizei gerufen." Wieder fuhr Andi sich mit den Händen durch seine Haare. „Ein Glück, dass Carmen und ich unterwegs waren. Als wir nach Hause gekommen sind, haben sie Marlen gerade abgeführt." Ich schlug meine Hände vor das Gesicht. Meine Güte, hatte diese Frau denn überhaupt keinen Stolz und Anstand? Wie musste das nur auf die Kleine gewirkt haben? „Wo ist Carmen denn jetzt?" Schließlich war sie hier ja nirgends. „Wir haben sie in dein Bett gelegt. Sie war hundsmüd." Das war eine super Idee von Mama. Da fühlte sie sich garantiert sicher. „Das ist hoffentlich okay für dich?" Andi schaute mich unsicher an. Ich nickte nur. „Jedenfalls kann ich mit ihr nicht mehr in unsere Wohnung. Wer weiß auf was für Ideen Marlen noch kommt. Nachher zündet sie uns noch die Bude an." „Ja, der musst du mittlerweile alles zutrauen", stimmte Mama sofort zu. „Dann musst du bei uns einziehen. Jasi und Papa haben bestimmt nichts dagegen.", meldete sich Mika zu Wort. Er stand immer noch neben dem Sofa. Ich hatte in der ganzen Aufregung fast vergessen, dass er ja auch noch da war. „Nee, das geht nicht." Andi schüttelte seinen Kopf. „Marlen kennt euer Haus und die Wohnung von Dani und Chris auch. Da sucht sie garantiert zuerst." Das klang logisch. Klar zum Polterabend von Leo und Max war sie ja bei Jasi. Und ihre Eltern wohnten ja auch gleich dort um die Ecke. „Ich habe mich ja schon nach dem letzten Vorfall am Flughafen nach einer neuen Wohnung umgesehen, aber es ist gar nicht so leicht etwas Vernünftiges in Dortmund zu finden. Ich muss da aber jetzt mit Hochdruck dran arbeiten. Da hilft alles nichts." Andi sah ziemlich verzweifelt aus. „Jetzt muss ich aber erst einmal etwas für den Übergang finden, Carmen setzt da keinen Fuß mehr in die Wohnung." „Ich rufe morgen gleich mal einen alten Kollegen aus der Schule an, der ist mittlerweile Makler. Der findet garantiert ganz schnell etwas Annehmbares für euch." Ja, Papa und seine Spezis. Er kannte immer irgendwen, der irgendwen anderes kannte. Das war fast wie bei der Mafia. Manchmal fragte ich mich echt, ob er hier eigentlich den halben Pott kannte. Wahrscheinlich. Und die andere Hälfte kannte garantiert Marco. „Und so lange bis ihr etwas Neues habt, bleibt ihr hier bei uns. Unsere Adresse kennt die oide Trutschn nicht." Mamas Idee war genial. Hier war Carmen garantiert sicher vor der Brunzkachl. „Ich kann ja die Kleine dann auch immer zur Schule fahren", bot ich an. Ich holte sie ja sowieso immer von der Schule ab und passte auf sie auf. Dann würde ich halt nur nicht in Dortmund sondern hier in Bochum auf sie aufpassen. „Das kann ich doch nicht machen. Ich kann euch doch hier nicht die ganze Zeit auf der Pelle hängen." Andi schüttelte den Kopf. „Klar kannst du das." Papa klopfte ihm auf die Schulter. „Außerdem wird das nicht lange sein. Da sorgt der Matthias schon für. Ich schwöre dir in nicht einmal einem Monat hast du eine neue Behausung für euch." „Wenn das wirklich für euch okay ist." Andi schaute unsicher zwischen uns hin und her. „Heute musst du dir aber das Gästezimmer mit Mika teilen und ab morgen gehört es dir ganz alleine mit Carmen." Ich schaute zu meinem Freund, der nur nickte. Scheinbar schien ihm das ja nichts auszumachen. „Dann lasst uns schnell nach Dortmund fahren und eure wichtigsten Sachen holen. Noch ist die Alte bei der Polente." Papa sprang auf. „Wenn wir alle drei mit unseren Autos fahren ist das Ruckzuck gemacht." Mama sprang auch auf. „Und zu viert schaffen wir noch mehr. Du packst dich zu Carmen", bekam ich die Anweisung von ihr. Ich nickte und machte mich auf den Weg in mein Zimmer. Leise öffnete ich die Tür. Meine Nachttischlampe war noch an und die Kleine lag eingekuschelt in meinem Bett und hatte den Stoffdelfin, den wir im Zoo gekauft hatten ganz fest an sich gepresst. Schnell zog ich mich um und schlüpfte auch in mein Bett. Ich drückte meine Lippen ganz sanft auf ihren Haaransatz und löschte das Licht. So hatte ich mir den Abend und die Nacht zwar nicht vorgestellt, aber was sollte es. Das Wohl von Carmen und auch Andi war allemal wichtiger als eine Kuschelrunde mit Mika. Wir hatten dafür ja noch unser halbes Leben Zeit. Und morgen fingen ja auch wieder hundert Jahre an. Das würde jedenfalls Oma so sagen. Ich hatte ja auch noch meine Überraschung geplant. Da hatten Mika und ich dann nur Zeit für uns beide. Das würde ihm bestimmt auch gefallen. Zufrieden schloss ich meine Augen und fiel fast schlagartig ins Schlafkoma.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt