Kapitel 184

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Ich schaute in die Schüssel vor mir. Darin befand sich Hackfleisch, Eier und Zwiebeln. An meinen Händen matschte der Teig für die Fleischpflanzerl. „Hallo, Luz!" Andi kam in die Küche und drückte mir einen liebevollen Kuss in den Nacken und linste über meine Schulter. „Uih, gibt es heute wieder deine leckeren Bouletten zum Abendbrot?" Die Begeisterung war deutlich in seiner Stimme zu hören. „Die hatten wir ja schon lange nicht mehr." Ja, da hatte er recht. In den letzten zwei Wochen war das Kochen bei mir ziemlich kurz gekommen und es gab nur immer belegte Brote, weil ich irgendwie soviel zu erledigen hatte. Anfänglich hätte ich echt nicht erwartet, dass es so aufwendig war, jemandem zu helfen, der versuchte wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Glücklicherweise, waren aber so langsam wirklich alle Anträge ausgefüllt und alle Behördenbesuche erledigt. Ja, ich hatte Genia immer begleitet. Das war zwar eigentlich irgendwie komisch, da sie ja viel älter als ich war und meine Mutter hätte sein können, aber trotzdem hatte sie mich darum gebeten. Und ich hatte es gerne gemacht. Ja, man konnte fast sagen, wir hatten uns mittlerweile ein wenig angefreundet. Klar, nannte sie mich noch ab und zu Kindermädchen und ich sie Bärbel, aber das war schon lange nicht mehr wirklich provozierend, sondern eher ein running Gag. Ich fand es immer wieder interessant, wenn sie aus ihrem Leben erzählte. Es war echt unglaublich, wie viel Mist sie da erlebt hatte. Und manchmal fragte ich mich, ob ich das Ganze so verkraftet hätte. Um so stolzer war ich, dass ich ihr jetzt half einen neuen Weg einzuschlagen und dass sie meine Hilfe auch annahm. Wie gut, dass ich mich da weder von Papa noch von Marco von hatte abbringen lassen. Und dass Tessa und Franzi zusammen mit Mama mir auch geholfen hatten. Vor meinen Augen tauchte das Bild von Genia auf, wie sie heute in ihrer möblierten Wohnung saß und an dem kleinen Schreibtisch an ihrem Laptop tippte. Ja, sie besaß seit gestern ein eigenes Laptop. Mama hatte es ihr besorgt. Genau wie den Job, den sie erst einmal von Zuhause ausüben konnte. Sie übersetzte für eine befreundete Agentur den ausländischen Schriftverkehr. Klar, konnte sie damit noch nicht ihren ganzen Lebensunterhalt abdecken, aber dafür gab es ja auch Unterstützung vom Staat. Trotzdem war es ein kleiner Anfang in die richtige Richtung und wir hatten schon besprochen, dass sie richtige Bewerbungen schrieb, wenn erst das Kind da war. Mit einem Master in Mathematik sollte sich da ja wohl etwas finden lassen. „Ich zieh mich nur schnell um und dann helfe ich dir", riss Andi mich aus meinen Gedanken und drückte mir noch einen Kuss in meinen Nacken. Mmm, das liebte ich immer und eine ganz feine Gänsehaut krabbelte mir über meine Arme. So langsam war es an der Zeit, dass ich Andi auch endlich davon erzählte, dass ich der oiden Brunzkachl half wieder auf die Beine zu kommen. Irgendwie hatte sich das noch nicht ergeben, aber vielleicht bot sich ja nachher nach dem Abendessen endlich die Gelegenheit dazu. Bestimmt freute er sich darüber. Ja, so ein gemütlicher Abend - ich ließ meinen Blick aus dem Fenster schweifen - auf der Terrasse in dem Strandkorb, den Chris gestern angeschleppt hatte, wäre cool. Mit ein bisschen Glück würden wir sogar etwas von dem Sonnenuntergang mitbekommen. So als kleinen Vorgeschmack für Ibiza. Denn in nicht einmal vier Wochen ging es ja schon los. Man, was ich mich freute. Carmen und Andi würden diesmal in unserer Finca wohnen und Papa hatte uns sogar ein gemeinsames Zimmer zugestanden. Ich musste grinsen. Das würde unser erster gemeinsamer Sommerurlaub, wenn man den Besuch bei Oma nicht mitzählte. Ein freudiges Kribbeln machte sich in mir breit. Diesmal würde Ibiza definitiv anders werden als in den letzten beiden Jahren. Mein Blick fiel wieder in die Schüssel vor mir. So langsam sollte ich die Fleischpflanzerl aber in die Pfanne bekommen, wenn wir die heute noch essen wollten. Gutgelaunt begann ich die ersten zu formen. „Da bin ich wieder. Wo soll ich helfen?" Andi stand jetzt nicht mehr in seinen Businessklamotten, sondern in einer Trainingshose und einem T-Shirt, vor mir und wartete auf meine Anweisungen. „Du kannst ja schon einmal die Pfanne starten." Er nickte und schon klapperte er im Schrank. Ein paar Minuten später brutzelten die ersten Fleischpflanzerl in der Pfanne, während ich die nächsten formte. Mein Handy scherbelte auf dem Küchentisch los. Ein Blick auf meine Hände, sagte mir, dass es wohl eine schlechte Idee wäre das jetzt in die Finger zu nehmen. „Gehst du mal bitte ran. Das ist bestimmt Tessa", bat ich also Andi, der ja saubere Finger hatte und nur den Pfannenwender beiseite legen musste. Bestimmt wollte sie mir erzählen, wie die Vorsorgeuntersuchung heute bei den Windelpupsen gelaufen war. „Sag ihr einfach, ich rufe sie nach dem Essen zurück." Andi nickte und nahm das Gespräch an. „Hallo, hier der Sekretär von Frau von und zu Goretzka. Was kann ich für sie tun?", meldete er sich lachend. Ich schüttelte auch lachend meinen Kopf. Manchmal war er einfach ein echter Scherzkeks. Ich fand das immer toll, wenn er so lustig war und das ganze Ernste von ihm abfiel. Wahrscheinlich lachte sich Tessa am anderen Ende auch gerade einen Ast. Ich konzentrierte mich wieder auf die letzten Fleischfladen in meiner Hand. „Was soll das?" Erschrocken drehte ich mich zu Andi um, der überhaupt nicht mehr lachte. Er grinste nicht einmal mehr, sondern schaute ernst. Na ja eher verkniffen. „Was bildest du dir ein Lucy zu belästigen. Das ist doch wohl nicht dein verschissener Ernst. Kannst du nicht endlich mal begreifen, dass du uns gefälligst in Ruhe zu lassen hast." Seine Stimme war immer lauter und feindseeliger geworden. Das war wohl nicht Tessa am Telefon. Nee, das war wohl jemand anderes und ich hatte eine ziemlich genaue Ahnung, wer. Verflucht, was sollte ich denn jetzt machen? Ich schaute zu Andi, der seine Augen zusammengekniffen hatte und gerade tief durchatmete. Das war gar nicht gut. „Pass mal auf, verpiss dich gefälligst aus unserem Leben und lass uns in Frieden. Sonst..." Sein Ton war ruhig aber total eisig. Ich musste da sofort eingreifen, ehe er alle meine Fortschritte bei der oiden Brunzkachl wieder zunichte machte. Außerdem musste irgendetwas passiert sein, sonst rief sie mich um die Zeit nicht an. Hoffentlich war nichts mit dem Baby. Ich überbrückte den Meter zu Andi und riss ihm mein Telefon aus der Hand. Scheiß doch auf schmutzige Finger.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt