Kapitel 185

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Ich ließ mich auf den Stuhl in der Küche plumpsen und schaute angewidert auf die Schüssel mit dem Müsli vor mir. Eigentlich hatte ich überhaupt keinen Hunger. Nee, mir war sogar richtig übel. Ein Blick zur Uhr sagte mir, dass Carmen jetzt ihre erste große Pause hatte. Normalerweise müsste ich sie in drei Stunden von der Schule abholen. Ja, normalerweise. Aber heute nicht. Wieder fing ich an zu schluchzen, auch wenn sich mein ganzer Hals schon wie ein Stück rohes Steak anfühlte. Kein Wunder. Seit ich mich gestern Abend heimlich in mein Zimmer geschlichen hatte, weil ich nicht mit Papa und Mama über meinen Streit mit Andi reden wollte, hatte ich die ganze Nacht nur im Bett gelegen und geheult. Wieso war es überhaupt zu dem Streit gekommen? Ich verstand es immer noch nicht wirklich. Ich hätte niemals erwartet, dass Andi so sauer auf mich werden würde, weil ich der oiden Brunzkachl half ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. „Boah, was machst du denn hier!" Luca schlug sich die Hand vor seine Brust. „Ich wohne hier", brummte ich. Der hatte mir ja auch gerade noch gefehlt. Ich hatte doch extra damit gewartet frühstücken zu gehen, bis ich die Haustür klappen gehört hatte und wusste, dass Papa und Mama weg waren, weil ich keinem begegnen wollte.  Wieso war er überhaupt hier und nicht wie sonst immer bei Maja? Manno, was sollte ich ihm denn sagen, wenn er begann mich auszuquetschen, denn zum Frühstück war ich wirklich nicht mehr hier gewesen, seit ich mehr oder weniger bei Andi wohnte. Obwohl, so verschlafen, wie er gerade aussah, merkte er mir meinen Zustand vielleicht gar nicht an und ich konnte einfach einen schnellen Abgang machen, bevor er Fragen stellen konnte. Luca ließ sich auf den Stuhl mir gegenüber plumpsen und stöhnte leicht, während er sich durch die Haare fuhr. „Könnte ich dich überreden mir auch ein Schüssel Müsli zu machen?" So ein fauler Hund! „Ich habe heute Nacht gerade einmal drei Stunde geschlafen, weil ich die dämliche Gliederung für das Seminar noch fertig bekommen musste. Ich bin total k.o." Ja, so sah er auch aus. Aber immerhin hatte er damit drei Stunden länger geschlafen als ich. Anstatt aufzustehen, schob ich ihm einfach meine Schüssel über den Tisch. „Kannst meine haben. Ich habe keinen Hunger." Wahrscheinlich würde ich nie wieder welchen haben, so wie alles in meinem Inneren wehtat. Liebeskummer war echt scheiße. Lucas Kopf schoss hoch und musterte mich mit aufgerissenen Augen. „Wie keinen Hunger? Du hast immer Hunger." Er schüttelte kurz ungläubig seinen Kopf und verzog dann angewidert sein Gesicht. „Boah, siehst du scheiße aus." Danke, für diese überaus ehrliche Meinungsbekundung seines Eindrucks zu meinem Erscheinungsbild. Ehe jetzt blöde Fragen kamen, sprang ich von meinem Stuhl auf. Dann war es dringend Zeit für den Abgang. „Stop, Dodo. Wo willst du hin? Du bleibst mal schön hier und beantwortest mir ein paar Fragen." Scheinbar war er schlagartig wach und fit. Na bravo! „Los setzen. Was hat Andi für Scheiße fabriziert? Muss ich ihm nur ein bisschen weh tun oder so richtig?" Woher wusste er denn, dass es um Andi ging? „Um wen denn sonst?" Scheinbar hatte ich die Frage wohl laut gestellt. „Sonst bist du doch hier überhaupt nicht mehr anzutreffen. Also muss es Probleme im Paradies geben. Ich kann schon eins und eins zusammenrechnen. Und wenn du verquollene rote Augen hast und total zerknittert aussiehst, liegt das wohl auch nicht daran, dass Papa mal wieder dein Lieblingsshirt im Wäschetrockner geschrumpft hat." „Ist doch egal", brummte ich. Ja, Papa machte ja meist die Wäsche und ihm war einfach nicht zu erklären, dass nicht alles für den Wäschetrockner geeignet war. Ich hatte ja noch genug andere Klamotten. Wen interessierten die schon? Viel schlimmer war doch, dass Andi sauer auf mich war. „Jetzt mache ich mir echt Sorgen, wenn du da so drauf reagierst. Also was ist los? Muss ich Andi töten?" „Wir haben uns gestern Abend ganz heftig gezofft", schluchzte ich. Irgendwie konnte ich das alles doch nicht mehr zurückhalten. Luca sprang von seinem Stuhl auf und kam zu mir auf den Nebenstuhl, ehe er mir seinen Arm um die Schulter legte und mich an sich zog. „Euer erster Zoff?", fragte er mitfühlend und ich nickte schniefend. Ja, wir hatten uns bisher noch nie gestritten. Andi hatte sich nicht einmal aufgeregt, als ich letztens den nagelneuen Rasenmäher geschrottet hatte. so ein blödes Steinchen war mir da rein geraten. „Und was hat er angestellt?" So einfühlend kannte ich meinen Bruder ja gar nicht. „Er ist total sauer geworden, weil mich gestern Genia angerufen hat." „Wie bitte?!" Lucas Stimme war laut und er schaute mich fassungslos an. „Er ist sauer, weil du mit einer Freundin telefoniert hast? Der hat doch wohl einen Knall. Den nehme ich mir gleich zur Brust. Du bist doch nicht seine versklavte Gefangene", regte er sich weiter auf. „Wer ist überhaupt Genia? Kenne ich die?" „Genia ist eigentlich der richtige Name von Marlen", informierte ich ihn kleinlaut. „Marlen, wie die oide Brunzkachl?" Ich nickte und er stieß einen Pfiff durch die Zähne. „Okay. Und welchen Grund hatte sie dich anzurufen? Woher hat sie überhaupt deine Telefonnummer?" „Na ja, Tessa und ich haben sie doch beim Essenbetteln.....", platzte es aus mir heraus. Ich erzählte Luca alles bis ins kleinste Detail und er hörte mir aufmerksam zu. „Und gestern hat sie mich dann angerufen, weil sie sich so gefreut hat, dass ihr Chef sie heute zu einer Konferenz als Übersetzerin mitnehmen wollte, weil er so zufrieden mit ihr ist. Sie war ganz aufgeregt und wollte mir halt unser Treffen für heute absagen." Luca verzog sein Gesicht. „Und du meinst da steckt keine Absicht von ihr hinter, um für Streß bei dir uns Andi zu sorgen?" Ich schüttelte entschieden den Kopf. „Sie konnte doch gar nicht wissen, dass Andi ans Telefon geht, weil ich gerade mit den Fleischpflanzerl beschäftigt war. Außerdem ist Genia so gar nicht. Sie ist total anders, seit sie nicht mehr ständig irgendwelche Pillen schluckt und zugedröhnt ist. Sie will ihr Leben wirklich in den Griff bekommen und freut sich schon auf das Baby. Sie hat mich sogar gefragt, ob ich sie zur nächsten Vorsorgeuntersuchung begleite." Darüber hatte ich mich richtig gefreut, denn das war für mich ein absoluter Vertrauensbeweis. Wieso traute er mir nicht zu, dass ich genug Menschenkenntnis besaß, um einschätzen zu können, dass das keine Absicht war. Ich war mir ganz sicher, dass Genia nichts mehr machen würde, um mir oder Andi zu schaden. Sie versuchte jetzt einfach nur noch ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Da hatte sie gar keinen Platz und gar kein Interesse mehr an irgendwelchen Intrigen. Da war ich mir ganz sicher. „Okay, wenn du meinst. Trotzdem hast du da echt Scheiße gebaut." Ich? Wieso denn? Was war denn daran falsch einem Menschen zu helfen, der Hilfe brauchte? „Dodo, guck nicht so blöd. Du hättest mit Andi darüber sprechen müssen, bevor du solche Aktionen startest. Du weißt genau, wie übel sie ihm mitgespielt hat. Was sie Flipper angetan hat. Hast du das alles vergessen?" Ich schüttelte den Kopf. „Natürlich habe ich das nicht, aber sie hat...." Luca hob seine Hand und unterbrach mich. „Sie hat gerade erst noch versucht euch auseinander zu bringen, in dem sie versucht hat ihm ein Baby unterzuschieben." „Ja, das hat sie doch aber nur aus Verzweiflung gemacht." Luca schaute mich ernst an „Das mag ja sein, aber es entschuldigt das nicht im geringsten. War trotzdem eine Scheißaktion von dir. Und ich verstehe dein Helfersyndrom echt nicht. Du bist doch total bekloppt, deshalb alles mit Andi zu riskieren nachdem du endlich das hast, was du dir gewünscht hast. Ich kann verstehen, dass er stinksauer ist und sich hintergangen fühlt."

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt