Kapitel 52

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„Man, wo warst du denn die ganze Zeit?" Tessa zog mich zu sich an den Tisch als ich mich endlich auf den Weg zum Buffet machen wollte. Ja, endlich, denn irgendwie hatte das Poltern mit Carmen und Andi länger als erwartet gedauert. Keine Ahnung, wo die Kleine immer wieder neues Geschirr hergezaubert hatte. „Hier, habe ich schon für dich gebunkert, ehe es alle ist." Sie schob mir einen Teller mit meinem Lieblingskartoffelsalat und Leberkäs hin. Sofort schnappte ich mir das Besteck vom Tisch. Mmm, das schmeckte wie Zuhause bei Oma in Bayern. „Du bist die allerbeste", stöhnte ich noch immer mit vollem Mund auf. „Ich weiß", grinste sie. „Hier ich habe euch noch zwei Portionen geholt." Ihr Erpel kam angeflitzt und stellte einen weiteren Teller vor jedem von uns ab. Das war......das war perfekt. So einen Erpel brauchte ich auch. Ich ließ meinen Blick schweifen. Wo war denn Mika abgeblieben? Ich entdeckte ihn an einem anderen Tisch zusammen mit Maja, Phil und natürlich meinem erbsenzählenden Bruder, der gerade wieder langweilige Reden schwang, so interessiert wie die anderen aussahen. Sollte ich da hingehen? „Soll ich euch noch etwas vom Kuchen und Nachtisch  holen?" Leo schaute fragend zwischen Tessa und mir hin und her. Nee, ich blieb eindeutig hier sitzen, wenn es so einen perfekten Futterlieferservice gab. Mit Mika konnte ich auch später noch quatschen. Man musste im Leben immer Prioritäten setzen......und Essen gehörte definitiv zu meinen. „Mensch Erpel, was eine dumme Frage. Natürlich sollst du. Und schau mal, ob etwas puddingmäßiges da ist. Die Windelpupse haben voll Appetit auf Schoki." Sein Blick wanderte wieder zu mir. Ich zuckte mit den Schultern „Egal, hauptsache lecker." Ja, da war ich nicht so wählerisch. Okay, ich liebte Apfelstrudel mit Vanillesauce, am besten selbst von Oma gemacht, aber den gab es hier im Pott ja sowieso nicht. Also war es total egal. „Is hier noch frei?" Brautzillas Opa stand an unserem Tisch und deutete mit seiner Hand auf die freien Stühle. Ich nickte. „Na denn mach ick mir hier ma breit. Komm her. Die beeden hübschen Mädels ertragen uns alte Säcke an ihrem Tisch." Er setzte sich auf den Stuhl neben mir und stellte seinen vollbeladenen Teller ab. Der Stuhl gegenüber wurde zurückgezogen und auch ein Teller abgestellt. Ich schob mir meine nächste Gabel in den Mund und schaute auf. Mist atmen und schlucken gleichzeitig war eine ziemlich lausige Idee. Keuchend hustete und prustete ich vor mich hin. „Ma nich so schnell futtern." Chris klopfte mir auf den Rücken, während Tessa neben mir kicherte. Glücklicherweise war alles wieder an die richtige Stelle gerutscht und ich konnte aufhören zu husten. Ich spürte wie mir die Hitze in den Kopf schoss, als ich in Andis besorgte Augen schaute. „Alles wieder okay?" Ich nickte schnell und wischte mir durch das Gesicht, denn mir waren echt ein paar Tränen in die Augen geschossen vom vielen Husten. „Trink erst einmal was." Andi schob mir ein Glas Wasser zu. Ja, das half wirklich. „Hier Schokopudding und Schokokuchen für dich Zuckerschnecke und für dich Apfelstudel mit Vanillesauce. Ich hoffe, das ist okay." Leo schob Tessa und mir je einen Teller hin, ehe er sich zu uns setzte. In Vorfreude darauf begann ich weiter zu essen. „Gib mal schnell deine Hand. Die Rabauken sind wieder aktiv", quietschte Tessa auf einmal und riss Leos Hand auf ihren Bauch. Der fing sofort grenzdebil an zu grinsen. „Dit is nich dein Ernst, Junge." Chris laute Worte zogen meine Aufmerksamkeit wieder auf die anderen Personen hier am Tisch. „Du kannst die doch nich gleich bei dir einziehen lassen. Wat is, wenn dit mit euch nich funktioniert? Außerdem kannste mir nich erzählen, dit so eene Sanierung nich langfristig anjekündicht wird. Dit jibt et ja jar nich. Oder der Vermieter muss Ersatz stellen." Andi schüttelte seinen Kopf. „Doch, Marlen muss ganz kurzfristig aus ihrer Wohnung raus. Und ich bin mir sowieso sicher, dass sie die perfekte Mutter für Carmen ist und für mich auch die richtige Frau. Sie hat die nötige Reife mit uns beiden klarzukommen." Pah, Alter hatte nichts mit Reife zutun. Ich war noch nicht so alt und wäre auch mit den beiden klargekommen. Das war ja nicht wirklich schwierig. „Willste denn nich irjendwann och mal een eigenes Jör?" Andi zuckte mit den Schultern „Doch schon, aber...." „Nüscht aba, dit kannste mit ihr aba verjessen. Die is doch schon viel zu alt für dich." Ja, da hatte Chris vollkommen Recht. „Und wenn de nich uffpasst, lebt die bald nur noch von deene Tasche. Die hat doch nüscht Richtiget jelernt und mit modeln is ja nu och bald Feierabend." Andi schaute ihn sauer an „Du kannst Marlen nur nicht leiden. Das verstehe ich echt nicht, obwohl sie sich solche Mühe gibt. Aber ich werde mir von dir bestimmt nicht so einen Schwachsinn über sie anhören, auch wenn du wie ein Vater für mich bist." Als nächstes schob er seinen Stuhl nach hinten und sprang auf. Seinen Teller ließ er einfach stehen. Chris hieb mit seiner Faust auf den Tisch. "Man, man, man, wie kann een Mensch nur so blind und verbohrt sein. Ick mach mir doch nur Sorgen um ihn und die Kleene." Er schaute mich erschrocken an „Tschuldigung, wenn ick dich jerade uffjerüddelt habe." Ich schüttelte nur den Kopf und lächelte ihn an. „Ist ja nichts passiert." Obwohl, das stimmte so nicht. Es war eine Menge passiert. Ich hatte erfahren, dass die oide Brunzkachl zu Andi zog. Und das bedeutete, dass er mit Sicherheit keinen Babysitter mehr für Carmen brauchte. Und noch mehr bedeutete das, dass selbst der letzte klitzekleine Funken Hoffnung in meiner hintersten Herzkammerecke gerade mit einem ganz lauten Zischen erlosch. „Schau mal, was ich für dich entdeckt habe." Ich drehte mich ruckartig um und schaute Mika an, der mir grinsend einen Teller mit Apfelstrudel und einer Vanilleeiskugel entgegenstreckte. Sein Blick glitt über meine Schulter und wechselte auf enttäuscht. „Oh, du hast ja schon welchen. Da bin ich dann ja zu spät, um dich zu überraschen." Schnell schüttelte ich den Kopf. Das war echt süß von ihm, dass er an mich gedacht hatte......und dass er sich gemerkt hatte, dass ich das so gerne aß. „Apfelstrudel kann man nie genug haben", grinste ich ihn an und sofort wandelte sich sein Gesichtsausdruck wieder und diese kleinen Grübchen in seinen Wangen tauchten auf. „Setz dich ma hier hin, Junge. Ick wollte sowieso jerade uffstehen", bot Chris ihm seinen Platz neben mir an und zwinkerte uns zu, als er seinen noch halbvollen Teller griff und den Stuhl zurückschob. Wieder spürte ich eine gesunde Wärme in meinen Wangen. Schnell schnappte ich mir den Teller und tauchte meinen Löffel in die Eiskugel. Ein bisschen Abkühlung konnte gerade nicht schaden. Dann trennte ich etwas von dem Strudel ab und schob ihn mir in den Mund. Ja, der war lecker, zwar nicht so lecker wie Omas, aber......ich hatte das Gefühl beobachtet zu werden und wendete meinen Kopf zu Mika, der mich tatsächlich anstarrte. „Da kann man ja eifersüchtig werden, so verträumt wie du schaust." Hatte ich das wirklich? Oh Gott, war das peinlich „Magst du auch?" Ich trennte schnell ein weiteres Stück mit der Gabel ab und schob es vor seinen Mund, der sich sofort öffnete. Ganz vorsichtig tastete ich mich weiter mit der Gabel vor, ehe sich seine Lippen darum schlossen. Sie tasten sich in ihre Zukunft vor schoss es mir sofort wieder durch den Kopf. „Ach du Scheiße, sie gibt von ihrem Essen ab." Wo kam denn auf einmal der Erbsenzähler her? „Ich glaube wir beide sollten nachher mal ein ernsthaftes Gespräch führen." Luca baute sich zu seiner ganzen Größe vor Mika auf. Das sah.....das sah albern und nicht gerade bedrohlich aus. „Hör auf mit dem Blödsinn." Danke, Maja. „Wir sollten euch holen kommen zu irgend so einem Spiel", wandte sie sich an Mika und mich. „Puh, was bin ich Chantal dankbar, dass ihr Foul dafür sorgt, dass ich den Scheiß nicht mitmachen muss", grinste Tessa neben mir, während sie mir mitfühlend auf die Schulter klopfte. „Du machst das schon. Zeig es ihnen, Tiger." Ich musste auch grinsen, weil sie so eine blöde Grimasse zog. Denn eigentlich war mir überhaupt nicht zum Grinsen. Ich hasste es im Mittelpunkt zu stehen. Und bei solchen Spielchen ging es doch immer darum, dass alle den angafften, der sich dort gerade zum Löffel machen musste. Darauf hatte ich so überhaupt keine Lust. Aber scheinbar gab es kein Entkommen, wenn ich meinen Papa uns schon fröhlich zuwinken sah.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt