Kapitel 152

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„Da bist du ja endlich, Luz" Andi nahm mir den Koffer, den ich hinter mir hergezogen hatte, aus der Hand und stellte ihn neben der Garderobe ab. Seine Haare waren so verwurschtelt, dass er sich bereits diverse Male mit seinen Händen dadurch gefahren sein musste. Genau wie jetzt gerade. „Was ist denn?" Ich schlang meine Arme um seinen Hals und stellte mich auf Zehenspitzen, damit ich ihn küssen konnte. Ja, das war das schöne, dass wir seit der Taufe von Chrissi und Alli uns nicht mehr verstecken mussten. Auch nicht vor Carmen, die ich in ihrem Zimmer lauthals trällern hörte. Klar hatte es noch das eine oder andere Gespräch im Anschluss an die Taufe gegeben. Und nicht alle hatten Verständnis für unseren Altersunterschied. Aber das hatten wir ja auch nicht erwartet. Wichtig war nur, dass die wichtigsten Menschen in unserem Leben dafür Verständnis hatten. Und das war der Fall. „Carmen macht mich total fertig. Alle zwei Minuten steht sie da und fragt, ob sie Dieses oder Jenes mitnehmen kann." Na ja, so ungewöhnlich fand ich das nicht, denn die Kleine war ja gerade einmal sieben und packte ihren Koffer alleine. Da war es doch klar, dass sie so einige Fragen hatte. „Jedesmal hält sie mir ein anderes Spielzeug hin, dass sie unbedingt Oma Valentina zeigen muss. Wahrscheinlich ist noch nicht ein einziges Kleidungsstück im Koffer gelandet." Andi zog verzweifelt seine Stirn kraus „Und meinen Koffer habe ich auch erst auf das Bett gelegt und noch nichts eingepackt." „Oh oh, dann können wir ja nachher gar nicht ins Bett schlafen, wenn du nicht flott packst. Dann gehe ich wohl lieber wieder schnell nach Hause." Er verzog sein Gesicht. „Ha ha, das ist nicht lustig. Du bist hier zu Hause." Seine Arme schlossen sich ganz fest um mich „Dich lasse ich nie wieder gehen." Ich schmunzelte. Das hörte sich gut an. Ehrlich gesagt hatte ich auch nicht vor ihn freiwillig wieder zu verlassen, obwohl ich offiziell natürlich noch bei meinen Eltern wohnte und dort auch mein Zimmer hatte. Nach unserer Reise nach München würde ich aber meinen Kofferinhalt gleich hier in meinem Schrank unterbringen. Das war dann zwar ein Einzug auf Raten, aber das war mir egal. „Papa, Papa, kann ich den Eimer mit der Kreide einpacken, damit ich etwas für Oma Valentina auf die Straße malen kann?" Carmen kam mit dem Plastik-Eimerchen in ihren Händen in den Flur geschossen. „Eu, Lucy! Du bist ja auch schon da." Begeistert schlang sie ihre Arme von hinten um meine Taille und ich war in einem Göbel-Sandwich gefangen. „Carmen, die Kreide brauchst du nicht einpacken." Enttäuscht ließ sie mich los und starrte mich an „Dann kann ich doch aber nichts für Oma Valentina malen." Ich löste mich auch aus Andis Armen und beugte mich zu Carmen hinunter. „Doch kannst du. Bei meiner Oma stehen nämlich ganz viele von diesen Eimerchen, die noch von mir übrig sind." Und nicht nur diese. „Ich habe ja auch noch ein paar Cousinen und Cousins", erklärte ich der Kleinen. „Und deshalb hat die Oma extra ein Spielzimmer. Da gibt es auch alle möglichen Brettspiele und noch viel mehr." „Echt?" Carmens Augen strahlten begeistert. Ich nickte. Sie rieb sich mit ihrem Zeigefinger nachdenklich ihre Lippen. „Dann muss ich ja gar nicht das ganze Spielzeug mitnehmen. Aber ich wollte das doch alles Oma Valentina zeigen." Enttäuschung machte sich in ihrem Gesicht breit. „Vielleicht sollte ich schon einmal einen Kleintransporter mieten", hörte ich Andi hinter mir brummen. „Was hältst du davon, wenn ich dir beim Kofferpacken helfe und wir mal schauen, was du mitnimmst, weil Oma das nicht hat", schlug ich vor. Carmen schaute nachdenklich und nickte dann begeistert. „Ja, das macht Sinn. Du weißt ja, was sie alles hat." Sie sprintete in ihr Zimmer und ein lautes Scherbeln und Klappern war zu hören. Scheinbar hatte sie gerade ihren Koffer entleert.„Halleluja" Andi hob seine Arme in die Himmel und lachte. „Dann kommen wir ja morgen doch noch los nach München." Allein bei dem Namen der Stadt aus seinem Mund, durchfuhr mich eine riesige Vorfreude. Die beiden würden Omas Weihnachtsgeschenk einlösen und ich würde sie begleiten. Man, ich hatte schon so viele Ideen, was ich ihnen unbedingt alles zeigen wollte. Hoffentlich schafften wir das überhaupt in den zehn Tagen. Vielleicht hatten wir ja sogar Glück und in den Bergen lag noch etwas Schnee. Das war Mitte April ja immer so eine Sache. „Wir können aber nur los, wenn du deinen Koffer auch gepackt hast, Papa!", zog ich Andi auf. „Bis jetzt sehe ich hier nämlich nur einen gepackten Koffer. Und das ist meiner." „Vielleicht kannst du mir ja auch helfen. Ich weiß doch auch gar nicht, was ich zu Oma Valentina einpacken soll", ahmte er seine Tochter nach und schaute mich mit Bettelblick an „Ich brauche unbedingt etwas Motivation." „Spinner!" Ich schlang meine Arme wieder um seinen Hals und küsste ihn. „Ist das genug Motivation?" Er schüttelte seinen blonden Schopf und spitzte seine Lippen. „Nicht? Mmm" Nachdenklich tippte ich an mein Kinn. „Wie wäre es denn damit, dass wir erst im Bett kuscheln können, wenn dein Koffer gepackt an der Garderobe neben meinem steht." „Das ist ein schlüssiges Argument." Andi drückte überfallartig kurz seine Lippen auf meine und zwinkerte mir zu. „Dann werde ich mich mal lieber beeilen." Ich schaute Andi hinterher, wie er Richtung Schlafzimmer verschwand. Ob ich wohl jemals genug von seinem Anblick bekommen konnte? Wahrscheinlich nicht! Ach Quatsch, was hieß hier wahrscheinlich. Garantiert nie, war viel treffender. Ich liebte einfach alles an ihm. „Lucy, wo bleibst du denn?!" Ein empörter Aufschrei aus dem Kinderzimmer riss mich aus meinen verliebten Gedanken. „Ich komme." Schnell machte ich mich auf den Weg zu der Kleinen. Wie es die Geräuschkulisse vorhin schon vermuten hatte lassen, lag ein Haufen bunt gemischten Spielzeugs auf dem Boden und daneben ein leerer Koffer.  „Jetzt packen wir erst einmal die Kleidung ein und dann schauen wir weiter, okay?" Carmen nickte und hüpfte zu ihrem Schrank, in dem es genauso chaotisch wie in meinem bei meinen Eltern aussah. Manno, wie sollte man denn in dem Saustall alles zusammen finden. Bestimmt war die Hälfte davon nicht gewaschen, sondern nur hier reingestopft. Dabei hatte ich gestern extra noch einmal alles aus dem Wäschekorb durch die Waschmaschine geschickt. Ja, aber eben nur alles, was den Weg in den Wäschekorb gefunden hatte. Das war doch Mist. Glücklicherweise hatten wir ja bei Oma eine Waschmaschine zur Verfügung. In mir reifte gerade der Gedanke, wie Mama mein Chaos wohl immer gefunden hatte. Es wurde höchste Zeit etwas an meinem Ordnungssystem zu ändern, damit ich ein gutes Vorbild für Carmen war und Andi nicht die Nase von mir und meinem Chaos voll hatte. „Ich kann gar kein Bayrisch mehr", jammerte Carmen und schaute auf den gepackten Koffer. „Bestimmt versteht mich gar keiner in München." „Minga" „Was?" Sie starrte mich mit großen Augen an „Die Münchner sagen Minga zu München", erinnerte ich sie und sie schlug sich mit ihrer kleinen Hand vor die Stirn „Stimmt. Siehst du, ich kann gar nichts mehr. Oma Valentina ist bestimmt total enttäuscht." Ich musste schmunzeln. „Oma Valentina ist bestimmt ganz begeistert, wenn sie wieder mit dir üben kann und wenn wir nach Ostern wieder zurück sind, dann versteht dich hier wahrscheinlich niemand mehr." Carmen schaute mich nachdenklich an „Das wäre aber doof, wenn Dani mich nicht mehr versteht. Du kannst doch aber auch beide Sprachen und alle verstehen dich. Das will ich so auch." Carmen schaute mich entschlossen an „Ich will genauso werden wie du." Das...das war.....war so süß. Ich musste schlucken. „So, jetzt aber ab ins Bett mit dir und ganz schnell schlafen, damit wir morgen früh los können", scheuchte ich die Kleine in ihr Bett und deckte sie zu. „Ich habe dich ganz doll lieb, Lucy." „Ich dich auch" Ich drückte ihr einen Gut-Nacht-Kuss auf und griff mir den Koffer, um ihn zu meinem zu stellen. „Darf ich Dörte mitnehmen?", kam Carmens Stimme aus der Dunkelheit, als ich das Licht gelöscht hatte. „Nur, wenn du jetzt ganz schnell schläfst." Als Antwort bekam ich ein Schnarchgeräusch und musste grinsen. „Oh, ihr seid schon fertig." Andi nahm mir den Koffer ab und stellte ihn zu unseren beiden. „So wie es aussieht du ja auch." Ich tippte mit meinem Zeigefinger auf seinen Koffer. „Wie hast du die Kleine so schnell ruhig bekommen? Sie war doch total überdreht." „Ich habe ihr gesagt, das sie ab ins Bett und ganz schnell schlafen muss, damit wir morgen früh los kommen."  Andi nickte nachdenklich und grinste mich auf einmal an. „Ich hätte auch nichts gegen diese Ansage mit dem ganz schnell ins Bett." Ich ehrlich gesagt auch nicht. „Aber das ganz schnell Schlafen muss nicht sein", zwinkerte er mir zu. Ja, da ging ich durchaus mit ihm konform. Er legte seinen Arm um meine Schulter und lief mit mir in Richtung Schlafzimmer.  Nein, ich würde schon dafür sorgen, dass das mit dem Schlafen noch etwas dauerte.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt