Kapitel 77

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Ich lief mit drei Bechern auf dem Tablett zurück zu unserem Tisch, an dem Luca und Carmen zusammen mit den Köpfen über etwas gebeugt saßen.  „Hier der Schoko-Milchshake und der Karamell-Latte." Zwei flinke Hände griffen nach den Bechern. „Und für jeden eine Apfeltasche." Großzügig schob ich auch die über den Tisch „Aber Vorsicht, die ist heiß", warnte ich die Kleine. Ja, wir hatten nach dem Zoo noch einen kurzen Abstecher zu Mecces gemacht. In diesem blöden Zoo hatten sie nämlich nur Kartoffelsalat mit Currywurst. Also hier im Pott mussten die echt noch eine Menge lernen. Und Apfelstrudel hatten die auch nicht. Deshalb gab es jetzt als Entschädigung auch die Apfeltaschen. „Was macht ihr denn da? Schaut ihr euch die Fotos an?" Neugierig schaute ich zu dem Handy, das Carmen im Zoo ganz überraschend hervorgezaubert hatte. Andi hatte es ihr wohl zur Einschulung geschenkt, damit sie ihn jederzeit erreichen konnte. Jedenfalls wusste die Kleine schon ganz gut mit der Kamera umzugehen und hatte wirklich jedes Tier fotografiert. „Nee." Carmen schüttelte mit dem Kopf. „Luca hat mir gezeigt, wie man seinen Standort speichern und teilen kann." Begeistert strahlte sie ihn an. „Und er hat deine Telefonnummer gespeichert." Scheinbar hatte er es wohl doch geschafft das Herz der Kurzen zu gewinnen. Irgendwie war er heute aber auch so ganz anders drauf. Nachher musste ich noch herausbekommen, woran das lag. So war er nämlich fast wie früher, als ich noch kleiner war und wir noch in München gelebt hatten. Er war so....so nett. „Hier Dodo, du magst die doch viel lieber." Er schob mir seine Apfeltasche zu. Jetzt bekam ich langsam wirklich Angst. „Dodo? Warum nennst du Lucy immer Dodo? Kann ich auch Dodo sein?" Carmen schaute ihn neugierig an. „Weil sie flugunfähig ist wie ein Dodo." Die Kleine nickte zwar mit dem Kopf, schaute aber nicht gerade erleuchtet aus „Was sind Dodos?" hakte sie also nach. „Vögel, die nicht fliegen konnten", erklärte ich. „Konnten?" Ja, die Kleine war helle und achtete auf so etwas. „Ja, deshalb sind sie ausgestorben." „Mm, dann will ich doch kein Dodo sein." Nachdenklich schaute sie uns an. „Papa sagt ja immer Schnecke zu mir. Die finde ich aber total ekelig und glibberig und so nackt." Sie schüttelte sich.„Aber die mit Häusern sind doch hübsch", versuchte ich sie von ihrem Kosenamen zu überzeugen. „Aber wenn du so wie Marlen die Kündigung bekommst, dann hast du kein Haus mehr und bist nackt. Ich will keine Schnecke mehr sein."  „Du erinnerst auch mehr an ein Känguru, so wie du immer herumhüpfst", brummte Luca und tat genervt. Ich sah aber wie schwer es ihm fiel sich ein Grinsen zu verkneifen. „Delfine hüpfen auch", strahlte Camen plötzlich. „Na, dann Flipper" Mein Bruder klopfte ihr auf die Schulter. „Jaaaa, ich bin Flipper", jubelte die Kleine so laut, dass sich einige Leute zu uns umdrehten. „So, dann lass uns mal schnell zum Auto, Flipper und Dumbo", forderte ich die beiden auf und schnappte mir den Abfall. „Dumbo?" Wieder schaute die Kleine neugierig. „Ich bin kein Dumbo", knurrte mein Bruder. „Was ist ein Dumbo?" Ja, wenn Carmen etwas wissen wollte, ließ sie nicht locker. „Ein fliegender Elefant mit riesigen Ohren und einem Rüssel." Sie fing an zu kichern und betrachtete Lucas Ohren. „Die sind wirklich groß und einen Rüssel hat er auch", lachte sie. „Dumbo, Dodo und Flipper." Singend hüpfte sie zu meinem Erwin. „Ich habe überhaupt keine großen Ohren", murrte mein Bruder sauer und fuhr sich über seine Horchlappen.
„Na wenn das nicht pünktlich ist." Luca tippte mit seinem Finger auf die Uhr im Display, als ich vor Andis Wohnhaus einparkte. Ja, es war Punkt 16 Uhr. „Ich bringe die Kleine schnell rein und du kannst ja im Auto warten." „Flipper nicht die Kleine", kicherte Carmen. „Und Dumbo soll mitkommen. Ich will ihm mein Zimmer zeigen." Da hatte mein Bruder ja wirklich einen neuen Fan. Trotzdem war das garantiert nicht sein Ding. „Nee, lass ihn mal lieber im Auto, sonst meckerte er, wenn dein Zimmer nicht aufgeräumt ist." „Mein Zimmer ist immer aufgeräumt", protestierte der kleine Delfin von der Rückbank. Verräterin! „Na das muss ich unbedingt sehen. Dodo behauptet nämlich Mädchen können so etwas nicht." Mein Bruder grinste mich frech an. „Mädchen können alles, was Jungs auch können und noch mehr", widersprach Carmen sofort. „Ja, zum Beispiel kochen und Geschirrspüler einräumen", funkelte ich den Klugscheißer an. Boah, wie oft musste ich mir schon blöde Sprüche über mein Zimmer von ihm anhören. Aber mein Zimmer war wenigstens gemütlich und nicht so ätzend, wie ein klinischer Laborraum. Ich fragte mich, wie Maja das in dem Zimmer von ihm aushielt. Da durfte man sich ja nicht einmal bewegen, weil sonst vielleicht ein Staubkorn losgetreten wurde. Ich sprang aus Erwin, um das Thema zu beenden. Carmen wartete schon, dass ich ihr die Autotür aufmachte. Ja, so eine Kindersicherung bewahrte einen davor ständig hinterherrennen zu müssen. Die Beifahrertür öffnete sich auch und Luca stieg aus. Wieso gab es dafür eigentlich keine Kindersicherung? „Bleib ruhig da, ich bin ja gleich zurück und stochere nicht in deinen großen Ohren herum, Dumbo, sonst musst du nachher in Erwin Staub wischen, so verstaubt wie die sind." Ich warf ihm meinen Autoschlüssel zu und lief der Kleinen hinterher. Das Klacken der Verriegelung ließ mich kurz umdrehen. Luca folgte mir schnellen Schrittes und erreichte mich. „Ich lass dich doch nicht alleine zu der oiden Trutschn. Wenn das wirklich so ist, wie du vermutest, kann es ja nicht schaden, wenn ich mir auch mal ein Bild mache. Außerdem kann ich dann auch dazwischen gehen, wenn du ihr den Putenschlund umdrehen willst." Ich musste grinsen und knuffte ihn. „Danke, Dumbo." Mir war es wirklich lieber, jemand dabei zu haben. „Warum macht die denn nicht auf?" Luca schüttelte den Kopf. „Ihr wart doch um 16 Uhr verabredet?" Ich nickte. Carmen begann in ihren Hosentaschen zu kramen und zog einen Schlüssel heraus. „Den hat Papa mir gegeben, damit ich immer rein kann, wenn ich mal draußen spiele." Luca schnappte ihn ihr aus der Hand und schloss die Eingangstür auf.  Wir marschierten die halbe Treppe hinauf. „Warte, willst du nicht erst noch einmal klingeln?", bremste ich ihn, als er schon wieder den Schlüssel ins Schloss steckte. „Wieso? Sie erwartet uns doch." Stimmte eigentlich. Ich hatte ja nur Befürchtungen, dass...... jedenfalls nicht, dass niemand Zuhause war. Wir liefen durch alle Zimmer. Da war aber niemand. Luca und ich schauten uns kopfschüttelnd an. „Kommst du mein Zimmer gucken, Dumbo." Carmen zog meinen Bruder mit sich. Ich schaute mich kurz im Wohnzimmer um. Hier sah alles wie immer aus. Das Schließen an der Wohnungstür ließ mich erschrocken herumfahren. „Was.....was machst du denn hier." Leichenblaß schlug sich die oide Brunzkachl die Hand vor die Brust. „Wie bist du hier hereingekommen? Zeig sofort deine Tasche, nicht dass du hier etwas mitgehen gelassen hast. Wo ist überhaupt der Satansbraten?", prasselte es auf mich ein. Die hatte mich doch nicht wirklich gerade als Diebin verdächtigt? Und wie hatte sie denn die Kleine genannt? Das...das ging so doch nicht. Ich holte tief Luft. Der würde ich gleich einmal richtig die Meinung geigen. Carmen kam mit Luca an der Hand aus ihrem Zimmer gehüpft und stoppte sofort als sie uns zwei entdeckte. „Ach, da ist ja mein kleiner Schatz", lächelnd lief die oide Trutschn auf die Kleine zu und wuschelte ihr über den Kopf. Das war als hätte sich bei ihr ein Freundlichkeitsschalter umgelegt.„Hach, und so einen netten jungen Mann haben wir auch zu Besuch." Sie strich Luca sanft über den Arm. Mein Bruder schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Ja, wir müssen dann auch wieder los." Er hielt der Kleinen seine Hand zum Einschlagen hin. „Tschüss, Flipper." Ich lief auch zu Carmen und umarmte sie noch einmal zum Abschied. „Hier noch eine Nachzahlung, weil ich mich verspätet habe." Die oide Brunzkachl drückte mir noch einen Grünen in die Hand. Wieso hatte ich das Gefühl, dass das Schweigegeld sein sollte? Irgendwie wurde ich aus dem Verhalten der oiden Trutschn nicht schlau. „Zeig mal!" Luca schnappte mir im Treppenhaus den Huni aus der Hand und zog sein Portemonnaie aus der Hosentasche. Was....was sollte das? Der Schein wanderte in seine Geldtasche und er reichte mir einen Fünfziger. „Hier, wir teilen geschwisterlich, schließlich habe ich dich ja unterstützt." Juhu, da war der Erbsenzähler wieder. So langsam hatte ich ja schon Angst bekommen.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt