„Sie kommen." Also, wer jemals das Megaphon erfunden hatte, kannte weder Marco noch meinen Papa. Mit ihrer natürlichen Lautstärke hatten sie nämlich keins nötig. Jedenfalls wenn sie wollten, dass sie gehört wurden. So schafften sie es auch jetzt locker alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und sowohl die Musik als auch das Stimmengewirr zu übertönen. „Na endlich, wurde ja auch Zeit", brummte Tessa neben mir. Ja, ihre Laune war ziemlich im Keller. Da hatten auch die paar Schokoriegel nichts genutzt, die ihr Erpel aus irgendwelchen geheimen Schatzkammern für sie aufgetrieben hatte. Eine Großzahl der Gäste bewegte sich aus dem Garten zu der kleinen Stichstraße, um die Ankunft der beiden Hauptpersonen des Abends mitzuerleben. Ich war mir noch nicht wirklich sicher, ob das gut war. Denn ehrlich gesagt erwartete ich einen ziemlichen Wutauftritt von Brautzilla, weil das nicht ihr total überkandidelter Junggesellinnenabschied wurde. Eine lange weiße Stretchlimousine fuhr mit Lichthupe vor dem Haus der Familie Reus vor und Marco sprintete sofort zu der Seitentür, um sie aufzureißen. Ihm folgten Franzi, Jasi und Marvin. Na ja, die Brautpaareltern halt. Das war gut so. Ihnen würde Brautzilla bestimmt nicht gleich den Kopf abbeißen. Das sähe bei Tessa, Maja und mir wahrscheinlich ganz anders aus. „Manno, die sollen sich da endlich aus der Karre rollen. So lang ist sie ja nun auch nicht. Die Windelpupse werden langsam ungemütlich, wenn sie nicht bald etwas Ordentliches zu futtern bekommen." Okay, mein Magen gab auch schon klar Kommentare von sich, dass er endlich gerne etwas Besuch bekäme, besonders nach dem er die erste Witterung des Grills aufgenommen hatte, der sich schon warm lief. Trotzdem befürchtete ich fast, dass erst noch gepoltert wurde, denn meine Mama und mein Papa liefen zusammen mit Leos und Max Großeltern durch die Gegend und drückten jedem, der hier draußen stand Geschirr in die Hand. Ja, Paps hatte über irgend einen Kumpel auch noch eine riesige Fuhre Geschirr klar machen können. Oder anders gesagt irgendeine große Betriebskantine verfügte seit neuestem über neue Teller und Tassen sponsored by Goretzka und Reus. „Hier und lasst dit ordentlich scheppern" Leos Opa drückte mir und Tessa mindestens zehn Teller in die Hand „Damit die bösen Jeister alle abzischen." „Wenn meine Windelpupse und ich wegen dem Scheiß verhungern, dann könnt ihr so viel Geschirr schmeißen wie ihr wollt. Wir werden euch ewig verfolgen. Na endlich." Ich folgte Tessas Blick und sah Max, wie er aus der Limo kletterte und ziemlich überrascht schien. Er drehte sich um und half Leo auch herauszuklettern. Sie schaute genauso überrascht und schlug sich die Hände vor den Mund. War das jetzt ein gutes oder schlechtes Zeichen? „Hier, euer heutiges Outfit." Franzi reichte beiden ein bedrucktes T-Shirt und umarmte sie kurz. Nachdem Leo es beäugt hatte, schlüpfte sie sofort strahlend hinein. Auf ihrer Brust erstrahlte riesig Braut in pinken verschlungenen Buchstaben und darunter stand noch „game over". Ungeduldig stupste sie Max an, damit er auch in sein T-shirt schlüpfte, das das genau Gegenstück nur in blauer Schrift und mit Bräutigam war. „Manno, sie haben sich echt gegen meins, mit arme Wurst, immer die gleiche Muschi entschieden." Wo kam Phil denn auf einmal her? Den hatte ich heute ja noch überhaupt nicht gesehen. „Ihr hättet mal erleben sollen, wie Brautzilla abgegangen ist, als sie die Limo gesehen hat." Ah, dann war er also der gewesen, der die beiden in Münster abgeholt hatte. „Na hoffentlich fällt ihr das Krönchen nicht vom Kopf, wenn sie gleich fegen muss", schmunzelte Mika neben mir. Ja, Jasi hatte ihrer Tochter ein kleines Prinzessinnenkrönchen auf den Kopf geschoben, in dem auch wieder Braut stand. Wo hatten die nur den ganzen Müll aufgetrieben? Und Marvin und Marco überreichten den beiden einen Besen und eine riesige Schaufel mit einer großen Schleife darum. Max schaute verständnislos auf die beiden Sachen in seinen Händen, als Brautzilla begeistert in ihre Hände klatschte „Ein ganz traditioneller Polterabend. Und wir bleiben den ganzen Abend zusammen. Die Idee ist so wunderbar." Sie umarmte erst ihre Mutter und dann Franzi euphorisch. Wow, mit der Reaktion hatte ich wirklich nicht gerechnet. Das erste Scheppern war zu hören „Na los, meene kleene Schnute, jetzt wird jefegt." Ihr Opa war wohl der erste, der seine Teller in die dafür vorgesehene Polterecke gefeuert hatte. „Na los, komm." Brautzilla schnappte sich den Besen und zerrte ihren Bräutigam, der ziemlich ungläubig schaute mit sich. Beim nächsten Scheppern und Klirren zuckte Max zusammen und schüttelte fassungslos den Kopf „Ihr seid doch total bescheuert, wisst ihr eigentlich wie gefährlich so splitterndes Porzellan ist. Wenn das jemand ins Auge bekommt oder man sich beim Auffegen daran schneidet." Ups, mit der Reaktion hätte ich eher bei Leo gerechnet, aber okay, vielleicht kam da der Mediziner durch. „Kein Ding. Wir haben hier ja Fachleute, die alles wieder zusammenflicken können, nicht wahr, Dr. Harderbrot." Marco klopfte dem großgewachsenen Mann neben sich auf die Schulter „Und jetzt stelle dich nicht so an wie ein Weichei und helfe deiner Verlobten." Ja, Leo hatte sich nicht nur den Besen, sondern auch gleich die Schaufel geschnappt und befüllte schon den bereitstehenden Eimer mit den Scherben. Mein Blick ging ein Stück weiter und ich entdeckte Andi, der mit seiner oiden Brunzkachl Hand in Hand ein Stück von mir entfernt stand und ihr etwas ins Ohr flüsterte. Sofort fing die blöde Kuh an zu kichern und kroch fast in ihn hinein. Boah, war das ekelig. „Na, wollen wir auch etwas zertöppern gehen?" Mika hatte sich neben mich gestellt. Was hatte mein Horoskop noch einmal gesagt? Sie tasten sich in ihre Zukunft vor. Ich warf noch einen letzten Blick auf Andi. Dann war es doch wohl mal an der Zeit auf mein Horoskop zu hören. Ich fasste meinen kompletten Mut und tastete nach Mikas Hand und verschränkte sie mit meiner. „Ja, komm. Lass uns die bösen Geister vertreiben." Welche auch immer ich gerade damit meinte. Mika schaut kurz zu unseren Händen und begann zu grinsen, ehe er sich einen Weg für uns bahnte. Mit voller Wucht zerschmetterte ich die Teller in meiner Hand auf dem Stein, der in der Polterecke lag. Die Splitter flogen nur so. Ja, weg mit den bösen Geistern, war alles, was ich in dem Augenblick dachte, als ich mich wieder abwendete und genau in Andi hineinrannte, der scheinbar hinter uns gewartet hatte, um auch sein Geschirr zu zerpoltern. „Hoppla, nicht so schnell." Er hielt mich an meinem Arm fest, weil ich ins Straucheln geriet. Wer rechnete auch mit so einer Kollision? Mein Hände landeten mitten auf seinem Bauch. Man, der war ja steinhart und muskulös. Jedenfalls fühlte sich das so durch das Hemd an, das er trug. Es war natürlich wieder ein blaues, das seine Augenfarbe unterstrich. „Ähm, sorry", entschuldigte ich mich und versuchte von ihm so schnell es ging wegzukommen. „Lucy, polterst du auch noch einmal mit uns zusammen?" Carmen hatte sich mir in den Weg gestellt und zeigte auf einen Stapel Teller, den sie aus einem vollen Korb mit Geschirr neben Andi gekramt hatte. „Ja, wir brauchen unbedingt deine Unterstützung. Alleine schaffen wir das gar nicht", grinste er mich auch an. Was sollte ich denn da sagen? Nein war ja wohl auch blöd. Ich konnte die Kleine doch nicht enttäuschen und die oide Brunzkachl war ja auch nicht in der Nähe. Ich schaute kurz zu Mika, der auf mich wartete. Er nickte mir zu und deutete mit einem Handzeichen an, dass er schon in den Garten zurück ging. Also bückte ich mich und schnappte mir auch noch einmal ein paar Teller, genau wie Andi, der scheinbar im gleichen Moment die gleiche Idee hatte. Unsere Hände berührten sich als wir auch noch nach dem gleichen Teller griffen. Verflucht nochmal. Warum kribbelte denn meine Hand so. Das sollte sofort aufhören. Das war doch total aussichtslos. Warum konnte mein Körper nicht das begreifen, was mein Kopf schon längst verstanden hatte.
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Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️
Roman d'amourLucy kommt sich so langsam wie das letzte Einhorn vor. Alle ihre Freundinnen haben einen Freund, nur sie nicht. Und der Kerl für den sie schwärmt, sieht in ihr alles mögliche - die Babysitterin und die Tochter seiner Kollegin - aber nicht das, was s...