Kapitel 158

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„Gucke mal, Lucy." Carmen wedelte total begeistert mit zwei Karten in der Hand herum. „Ich gehe mit Oma Valentina zu einem Trachtenabend und da darf ich auch wieder mein Dirndl anziehen." Ein Blick auf die Grasflecken auf der Schürze ließen mich ganz leise aufstöhnen. „Wann geht ihr denn?" Hoffentlich hatte ich noch genug Zeit die Fleckenzwerge zu vertreiben. Ob das wohl mit Waschen alleine rausging? Nee, sonst hätte Mama nicht immer so über die Grasflecken in meinen Jeans gemeckert. Vielleicht wusste Oma ja ein Geheimmittel. „Übermorgen, wenn ihr auf der Hütte seid." Carmen schlug sich erschrocken die Hand vor ihren Mund. „Welche Hütte?" Verwundert schaute ich zu Oma, die aber nur so tat als hätte sie ihren Mund abgeschlossen und den Schlüssel über ihre Schulter geworfen. Was sollte das denn? Mein Blick wanderte zu Andi, der die Schultern zuckte „Keine Ahnung. Vielleicht hat der Osterhase ja auch was für dich versteckt." Oma klatschte in ihre Hände. „Jetzert werds Zeit, des ihr Großn a oi bissl suchert."  „Echt jetzt, Oma?" Gina verzog das Gesicht. Scheinbar hatte sie wohl keine Lust. Schon komisch. Früher war sie immer die erste, die suchen wollte. Tja, scheinbar hatten wir uns wohl in verschiedene Richtungen entwickelt. Das machte mich etwas traurig. Aber vielleicht war das ja auch nur so ein Momenteindruck. Und vielleicht lag das auch nur an ihrer anstehenden Weltreise. „Ich würde ja sagen, passt auf. Denn wer an Ostern die Eier sucht, hat an Weihnachten die Bescherung", kicherte Leonie und stupste sowohl Gina als auch mich an. Mein Blick fiel zu Andi, der nur schmunzelte. Mir schoss aber mal wieder das Blut ins Gesicht. „Also bei mir gibt es garantiert keine Bescherung mehr. Dafür habe ich einfach schon zu viele Hitzewallungen", stöhnte Tante Laura. Boah! Hatten die denn kein anderes Thema mehr? „Was denn für eine Bescherung?" Carmen wollte natürlich mal wieder alles genau wissen. „Na, die Frau bekommt an Weihnachten ein Baby, wenn sie an Ostern die Eier des...." „Osterhasen", grätschte ich schnell dazwischen, bevor Leonie das zu ausführlich erklärte. „Gefunden hat.  Also, die meisten", fügte ich noch schnell an. Carmen nickte nachdenklich und rannte wieder mit ihrem Körbchen zurück in den Garten. „Na dann lasst uns mal die Eier vom Osterhasen suchen, bevor es noch peinlicher wird", grinste Onkel Fiete. Schnell machte ich mich auch auf den Weg in den Garten. „Schau mal da, Lucy." Carmen stupste mich in eine Richtung und vor mir lag ein großes Osterkörbchen mit meinem Namen und darin tummelten sich jede Menge bunte Ostereier. „Sind das nicht deine?" Ich schaute zu der Kleinen, die entschieden den Kopf schüttelte. Okay, das war komisch, denn Oma versteckt die Körbchen immer mit Namen und in allen lagen ein paar Eier. Aber dieser Korb war fast randvoll. Das war absolut ungewöhnlich. „Nee, die sind ja alle in deinem Körbchen." Carmen reichte es mir strahlend. Ich schaute mich weiter um und entdeckte ein kleines Paket in buntem Osterpapier auf dem mein Name prangte. Auch das packte ich in mein Körbchen. „Lucy!" Schnell lief ich zu Carmen, die mich gerufen hatte. Als ich dort ankam, war aber nur wieder ein Nest mit meinem Namen zu finden, das fast vor bunten Eiern überquoll. Von der Kleinen war keine Spur mehr zu sehen. Okay, dann nahm ich das Körbchen halt auch noch. Komisch war das aber schon, besonders wenn ich die magere Ausbeute der anderen sah. Das passte überhaupt nicht zu Oma und ihrem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Egal, dann teilte ich sie nachher mit den anderen. Ich setzte meinen Weg weiter durch den Garten fort und ließ meinen Blick durch die Gegend schweifen. Tatsache entdeckte ich einen bunten Umschlag mit meinem Namen in Omas Kräuterhochbeet. Auch dieser landete in einem der beiden Weidenkörbchen und leistete meiner riesigen Ausbeute Gesellschaft.  „So, dann san alle Geschenk bei erne Empfänger." Opa hatte einen Zettel in der Hand, auf dem er jeden Fundort abhakte. Das war vor einiger Zeit eingeführt worden, nachdem Oma kurz vor Weihnachten noch die letzten Geschenke gefunden hatte. „Ja, aber hallo, du hast ja bei den Eiern zugeschlagen." Tante Laura schaute anerkennend auf meine bis zum Rand gefüllten Körbe. „Das sind bestimmt die meisten." Carmen schaute mich zufrieden an. „Mal schauen, wo sind denn deine?" Einem kleinen Wettkampf war sie doch nie abgeneigt. „Alle schon aufgegessen." Sie rieb sich ihren kleinen Bauch als ich in ihr leeres Körbchen schaute. Da war doch etwas faul. Niemals hatte sie die alle aufgegessen. Ich hatte vorhin genau gesehen, dass sie eine ganze Masse gesammelt hatte. Außerdem hatte ich mitbekommen wie Onkel Marcus Kinder sich bei ihm beschwerten, dass Carmen ihnen die ganzen Eier vor der Nase wegfischte. Ja, die Kinder kamen immer vor den Erwachsenen dran und mussten die Eier einzeln suchen und nicht wie wir nur die fertig gepackten Körbchen. Hier war definitiv etwas megafaul. Ich griff zu meinem Glas Cola, das auf dem Tisch vor mir stand und trank einen Schluck, ehe ich dem ganzen auf den Grund gehen würde. „Wenn du die meisten Eier hast, dann ist bei uns an Weihnachten Bescherung", strahlte die Kleine. „Und wir bekommen das Baby." Carmen rieb sich nachdenklich ihr Kinn und begann zu strahlen. „Obwohl du hast ja zwei Körbe. Vielleicht bekommen wir dann ja auch zwei Babys wie Tessa." Bei ihrem letzten Satz verschluckte ich mich und fing an zu husten. „Na dann Cousinchen" Gina klopfte mir auf den Rücken. „Jetzt weißt du, was von dir erwartet wird. Von der Schule direkt in die Zucht. Das passiert halt, wenn man einen Vaterkomplex hat." War das echt mal meine Lieblingscousine gewesen? Egal. Ich versuchte mir meinen Schock und meine Enttäuschung nicht weiter anmerken zu lassen. Ich würde auch auf das Thema nicht weiter eingehen. Also jedenfalls nicht jetzt. Mit Carmen sollten Andi und ich vielleicht schon einmal ein Gespräch führen, damit sie an Weihnachten nicht so enttäuscht war. Schnell fischte ich das Geschenkpäckchen aus meinem Korb und öffnete es. Zum Vorschein kam eine kleine samtene Schatulle. Ich klappte sie vorsichtig auf und fand einen Anhänger für mein Bettelarmband. Ein Unendlichkeitszeichen auf dem Andis und mein Name eingraviert waren. Ich schaute zu ihm und strahlte ihn an. Das war so wunderschön. „Gefällt dir das? Das haben Papa und ich ausgesucht." Carmen schlug sich mit ihrer kleinen Hand vor die Stirn. „Ich meine Papa und ich haben dem Osterhasen gesagt, dass dir das bestimmt gefällt", kicherte sie verlegen. Mein Blick ging wieder zu Andi, der auch gerade das Geschenk von mir öffnete. Zum Vorschein kam die silberne Halskette, die ich für ihn besorgt hatte. An ihr hingen drei Anhänger mit unseren Anfangsbuchstaben. A, C und L. Er zwinkerte mir zu und machte sie sich sofort um den Hals. „Danke, Luz. Dann habe ich immer unsere ganze Familie bei mir." Er beugte sich zu mir und küsste mich. „Boah, ich brauche erst einmal etwas zwischen die Magenwände, sonst wird mir ja ganz übel von dem ganzen Schmalz." Also heute ging mir Gina echt auf die Nerven. Scheinbar spürte Andi meine Anspannung. „Neid der Besitzlosen", gab er gerade so laut von sich, dass es doch noch alle in unserer Nähe hören konnten. Gina quittierte das mit einem Schnauben. „Und irgendwann kommt hier auch noch ein weiterer Anhänger ran, aber noch nicht zu Weihnachten", flüsterte Andi mir ins Ohr und strich mit seinem Zeigefinger über die drei Buchstaben an seinem Hals. Erleichtert atmete ich auf. Ja, irgendwann ganz bestimmt, aber noch nicht so bald. „Was ist da eigentlich drin?" Er tippte mit einem Finger auf den bunten Umschlag, der immer noch in meinem Osterkörbchen lag. Ich griff ihn mir. „Das weißt du doch ganz genau. Das ist doch deine Schrift." Die hatte ich nämlich sofort erkannt. Neugierig fetzte ich den Umschlag auf.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt