Kapitel 144

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„Suga, Sweetart", brubbelte Andi auf dem Beifahrersitz neben mir vor sich hin. Marvin hatte ihn dorthin befördert und reichte mir den Gurt, damit ich ihn in das Gurtschloss einrasten konnte. „So mein Großer, jetzt fährst du artig mit Lucy nach Hause und gehst in die Heia." Marvin klopfte ihm auf die Schulter und schlug die Beifahrertür zu. „Jaaaaa, ich gehe artisch mit Lucy in die Heia", nickte er lautstark. Manno, da war wieder diese Hitze in meinen Wangen. Hoffentlich hatte Marvin das nicht gehört. So wie er schmunzelnd an meiner Fahrertür auftauchte, hatte er es definitiv gehört. „Hier, stell ihm den lieber auf den Schoß. Nicht dass er dir noch das Auto vollreiert." Er reichte mir einen Pappkarton. Ich griff mir das Teil und schob es zu Andi. „Dangeschööön", brummte er und ließ seinen Kopf gegen die Seitenscheibe sinken. „Falls er Probleme macht, rufst du mich an. Oder soll ich dir gleich Mika als Unterstützung mitschicken?" Schnell schüttelte ich den Kopf. Mika als Hilfe? Im Leben nicht. „Ich schaffe das schon alleine", lehnte ich ab. Das wäre ja noch schöner.  Und wenn alle Stränge rissen, dann würde ich Phil oder Leo anrufen. Oder Nils. Auf die konnte ich mich garantiert verlassen. Aber wie schwer sollte es schon sein einen erwachsenen Mann, der zwei Cocktails zu viel getrunken hatte aus dem Auto in sein Bett zu bekommen. Das war doch garantiert ein Kinderspiel. Gut eine Viertelstunde später wurde ich eines besseren belehrt, denn Andi weigerte sich aus Erwin auszusteigen. „Das isse aba mütlich. Isch bleibe hia." Ich schloss einmal kurz die Augen und atmete tief durch. Welche Möglichkeiten hatte ich ihn da raus zu bekommen? Rein körperlich schaffte ich es nicht ihn herauszuzerren. Das fiel weg. Also musste mir etwas anderes einfallen, denn bei den Nachttemperaturen Ende Februar fiel eine Übernachtung im Auto auch aus. Erwin hatte ja keine Standheizung. Sagte man nicht immer Betrunkene wären wie kleine Kinder? Also so wie Andi bockig die Arme vor der Brust verschränkt hatte, traf das mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zu. Wie würde ich denn in so einem Fall bei Carmen vorgehen? Ich würde sie einfach locken. Ja, aber womit sollte ich Andi aus dem Auto locken? Hatte er nicht vorhin .... „Wenn du nicht aussteigst, dann kann ich dir aber nicht noch einen leckeren Cocktail machen."  „Legga Cocktail?" Sein Kopf flog hoch und er begann sich aus dem Auto zu räufeln. Gut, das hatte ja schon einmal funktioniert, aber so wie er sich krampfhaft an Erwins Dach festhielt, sollte ich ihn wohl lieber ins Haus stützen. Ich legte mir also entschlossen seinen Arm um die Schulter und marschierte los. Na ja, ich versuchte loszumarschieren. Wie viel wog Andi bitte?  „Achherrje, hat ihr Mann zu doll gefeiert. Mensch Alex hilf ihr doch mal. Das arme Ding ist ja viel zu zierlich dafür", ertönte eine Frauenstimme hinter mir und im nächsten Moment wurde es leichter auf meiner Schulter. „Schließ mal lieber auf, Mädel. Ich buxier ihn dir bis ins Bett." Ich schaute zu dem Mann in Papas Alter, der neben Andi aufgetaucht war und ihn sich geschnappt hatte. Den hatte ich schon irgendwo gesehen. Aber wo? „Wir sind die Kowalskis aus der fünf", stellte sich die Frau mir vor und reichte mir kurz die Hand. Ja klar, das waren die Nachbarn zwei Häuser weiter, die ständig in ihrem Vorgarten herumbuddelten, wenn ich da vorbeikam. Schnell lief ich zur Tür und schloss auf. Im Flur knipste ich das Licht an und lief voraus Richtung Andis Schlafzimmer  „Du bisse nisch mein Sweetart", Andi schaute den Nachbarn irritiert an. „Nee, bin ich nich. Und du legst dich mal flott in die Heia." Nicht ganz sanft ließ er Andi auf das Bett plumpsen. „Der braucht morgen Aspirin und ein Katerfrühstück." Ich nickte und bedankte mich für die Hilfe. „Nich dafür. Wir Nachbarn müssen doch zusammenhalten. Und am Wochenende kommt ihr bei uns wat trinken, damit wir uns mal richtig kennenlernen. Die Tami, also dat is meine Frau, hat mich schon die ganze Zeit in den Ohren gehangen, dat wir euch mal einladen sollen." Na, ob Andi wirklich Lust hatte bei den Nachbarn etwas trinken zu gehen, bezweifelte ich. Besonders wenn er morgen mit einem Kater aufwachte. Aber das war gerade nicht der Zeitpunkt, um die Einladung auszuschlagen. „Ja, gerne", antwortete ich also und versuchte den netten Nachbarn Richtung Tür zu lotsen. „Lucy, Lischt meines Lebens", rief Andi als ich endlich die Tür hinter Alex, wie er mich mehrfach hingewiesen hatte, geschlossen hatte. Ich lehnte mich kurz dagegen und atmete tief durch. „Luuuuccccyyy", ertönte es schon wieder aus dem Schlafzimmer. Schnell lief ich hin, um zu schauen, was los war. Hoffentlich wurde ihm jetzt nicht doch noch schlecht. „Luuuucccccyyy, isch krieg die Hose nisch aus." Andi lag auf dem Bett und strampelte mit seinen Beinen. Na super. Was sollte ich denn jetzt machen? Ich konnte ihn doch nicht ausziehen. „Luuucccyyy" Warum denn nicht? Hauptsache er hörte auf die ganze Nachbarschaft mit meinem Namen zu beschallen. Ich kniete mich auf das Bett und öffnete erst einmal den Knopf und den Reißverschluss. „Hihi, dasch kitschelt." „Hintern hoch", ignorierte ich das Gekicher. Irgendwie war das aber schon niedlich. „Ay ay" Artig hob er seine Rückseite und ich konnte die Jeans herunterschieben. Ich fragte mich, wie Marvin ihn da überhaupt hineinbekommen hatte. „Socken müschen au aus" Natürlich, was sonst? Kein Mensch konnte mit Socken schlafen. Also zog ich die Dinger auch aus und breitete die Decke über Andi. „Dann schlaf schön. Und wenn etwas ist, rufst du mich, okay? Soll ich dir noch vorsichtshalber einen Eimer herstellen?" Das machte Oma immer, wenn Opa mal wieder über die Stränge geschlagen hatte. Sie gab ihm dann auch immer noch etwas salziges zu essen, damit er am nächsten Tag nicht so litt. Sollte ich das auch machen? „Magst du noch ein paar Salzstangen?" Fragen konnte ja nicht schaden, auch wenn ich keine vernünftige Antwort erwartete. „Will lieba kuscheln." Andi klopfte mit seiner Hand auf die Matratze neben sich. Was sollte ich denn machen? Wenn ich mich dort nicht hinlegte, beschallte er garantiert wieder die Nachbarschaft. Und eigentlich war das ja auch nur vernünftig, damit ich aufpassen konnte, dass er nicht doch noch aus dem Bett kugelte und sich nachher wehtat. Und noch viel eigentlicher war es auch der Platz auf dem ich schon immer liegen wollte. Schnell schlüpfte ich auch aus meinen Klamotten und schnappte mir das T-Shirt von Andi, das auf der Kommode lag. Dann krabbelte ich unter die kuschelige Decke. Vielleicht hatte mein Horoskop ja doch recht. Sie kommen einen ganzen Schritt weiter. Immerhin war ich schon einmal in Andis Bett gelandet, auch wenn er morgen früh garantiert sich nicht daran erinnern konnte, dass das sein Wunsch war. Aber sagte man nicht immer Betrunkene und kleine Kinder sagten immer die Wahrheit? Dann wollte er mich ja vielleicht eigentlich wirklich hier haben.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt