Kapitel 80

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„Da seid ihr ja Kinder." Oma umarmte uns einen nach dem anderen. „Sehts zu, des ihr zum Auto kimmt. Wir ham heit no was vor." Ja, leckeres von ihr gekochtes bayrisches Essen zu zelebrieren. Ich schaute auf die Uhr. Es war gerade Halbelf. Das bedeutete, dass in eineinhalb Stunden der Leberkas auf meinem Teller dampfen würde. Wie gut, dass Mama so frühe Flüge gebucht hatte. Da wären wir sogar noch pünktlich für die Weißwurst. Vielleicht sollte ich hier noch schnell eine auf dem Flughafen mampfen, damit ich das auch wirklich noch vor 12 schaffte, denn kein vernünftiger Bayer aß die nach dem Zwölf- Uhr-Läuten. Andererseits war das hier am Flughafen nur so ein Touri-Schmarrn und keine richtige Weißwurst wie vom Metzger Rieder. „Aufi, i steh in a Kurzparkzon und die Raubritter schleicha da doch ständig ummi" Oma marschierte vor uns los. Sie gab sich immer etwas Mühe hochdeutsch zu sprechen, wenn Papa und andere Nicht-Bayern dabei waren.„So und jetzt eini mit eich." Sie sprang in den VW-Bus und startete den Motor, während Papa und Luca noch das Gepäck einluden.  „Spatzl, mogst bei mir vorn eini hupfen?" Oma winkte mich auf den Beifahrersitz. „Du bist doch das Geburtstagskindl und i hab a ganz b'sondere Überraschung für di g'plant." Jetzt war ich aber neugierig. Schnell schwang ich mich auf den Beifahrersitz, während die andere alle hinten reinkletterten. Kaum waren die Türen geschlossen, schoss Oma schon los. „Kruzinoamoi nu fahr doch, du Lackl." Ja, ohne zu fluchen ging bei Oma das Autofahren nie ab. „Wir müssen moi a bissl Tempo macha, damit wir pinklich san und was vom Tag ham." Meine Neugier ließ sich nicht mehr unterdrücken, besonders als Oma nicht von der Autobahn abfuhr, sondern weiter über den Ring. „Wo fährst du denn hin?" Sie grinste mich einmal kurz an, ehe sie den Blick wieder auf den Verkehr richtete. „Na in die Berg. In Minga stolperst ja eh nur übert Touris wenn d' Wiesn is. Und i dacht ihr kennts a moi a bissl gute Luft vertraga, wenns aus ˋm verstaubten Pott aussikemmt." Hatte sie Berge gesagt? Ja, hatte sie, wir fuhren nämlich gerade auf die A 95 in Richtung Starnberg-Garmisch auf und da ging es definitiv in die Berge. Ich stieß einen kleinen Jodler aus und drehte mich zum Rest der Familie um. „Wir fahren in die Berge. Wusstet ihr das?" So wie Mama grinste, hatte sie da wahrscheinlich auch die Finger im Spiel. Im Gegensatz zu Papa, der eine Grimasse schnitt. Für ihn reichten die Halden im Ruhrgebiet aus. Luca schaute aber auch begeistert. „Wo geht es denn hin, Oma?" stellte er genau die Richtige Frage „Garmisch", kam die schnelle Antwort, ehe sie schon wieder einen Autofahrer vor uns mit einem nicht ganz so netten Ausdruck bedachte. „Schnuggerl, das nächste Mal fahren wir doch mit dem Auto. Deine Mutter am Steuer ist mir einfach zu aufregend." „Würdst  no Kirchsteier zohla, bräuchtst du koina Ketel in d' Hos ham", kam sofort die Retourkutsche. Ja, Papa und Oma mochten sich zwar, aber ohne Sticheleien ging es bei den beiden nicht. Mein Blick war starr nach vorne gerichtet. Da vor mir türmten sich die Alpen auf. Dieser Anblick dieser majestätischen Naturwunder war immer wieder etwas besonderes. „Da....da ist die Zugspitze und der Waxenstein." Beim Anblick der Berge deutete ich sofort mit dem Finger zur Scheibe und drehte mich kurz nach hinten, um zu sehen, ob Mika das mitbekommen hatte. Er schaute gerade auf sein Handy. „Die Zugspitze ist mit 2962 Metern der höchste Berg Deutschlands" las er Maja vor.  Okay, dann interessierte er sich also dafür. Trotzdem konnte ich nicht verstehen, warum die beiden sich das nicht lieber in Natur anschauten anstatt auf dem Display. Ich wandte mich wieder nach vorne und sog den Anblick in mir auf. „Heit is des richtge Bergwetter", lachte Oma als sie auf den Parkplatz fuhr. „Die Windbeutelalm?"stieß ich begeistert hervor. In dem Gasthaus gab es wirklich die gigantischsten Windbeutel, die ich jemals gesehen hatte. Und die vielen unterschiedlichen Füllungen. Sofort meldete sich wieder mein Magen zu Wort. „Ja, jetzert gibt's erst amoi was G'scheits zum Essa und dann laufen mir nach St. Martin und weiter zur Felsenkanzel." Perfekt. Ich sprang aus dem Auto und tippste mit dem Fuss. Wie lange dauerte es denn noch, bis die alle mal so weit waren. „Das wird eine coole Tour", grinste Luca, der sich neben mich gestellt hatte. „Können wir jetzt endlich was Essen gehen?" Nein, ich war überhaupt nicht ungeduldig und das lag auch nicht an dem leckeren Geruch nach frischem Schweinsbraten, der hier durch die Luft waberte. Ich sah ihn schon auf meinem Teller zusammen mit einen Knödel und Blaukraut. Yummi
Eine Stunde später standen wir wieder an der gleichen Stelle und warteten. „Mensch Biene nun mach doch mal." Ja, mein Bruder scharrte auch schon ungeduldig mit den Hufen und schaute zu, wie Maja in ihre Turnschuh schlüpfte. „Na dann auf geht's", gab Oma das Startsignal und wir marschierten los. Kurz nach der Ackerlaine bogen wir auf den steil ansteigenden Wanderweg nach St. Martin ab. Papa, Mama und Oma marschierten vorne weg. Ja, Papa hatte als Flachlandtiroler wenigstens genug Kondition, um mit uns Bayern mitzuhalten. „Braucht man für den Anstieg nicht Bergschuhe?" Mika schaute zweifelnd auf den steilen Schotterweg vor uns, nachdem wir wirklich schon die ersten paar hundert Meter hinter uns gebracht hatten. Luca fing an zu lachen „Den Weg läuft Dodo sogar mit Pumps hoch." Ich musste auch lachen. Ich hatte es zwar noch nie probiert, aber ich würde darin auch kein Problem sehen. „Das ist wirklich ein einfacher Wanderweg, den jeder Touri in Turnschuh laufen kann. Da hat Dumbo recht." Still liefen wir weiter. Maja an Lucas Hand und ich an Mikas. Ich sog die gute Bergluft tief in meine Lungen und versuchte die ganze Natur in mir aufzunehmen. Das war doch....schnell löste ich meine Hand aus Mikas und lief ein Stück neben dem Weg in den Wald. „Kommt mal schnell her", winkte ich die anderen heran. „Schaut mal eine Silberdistel." Ich deutete mit meiner Hand auf die silberfarbene Blüte, die dort kurz über dem Boden wuchs. „Ist das nicht gefährlich hier abseits des Weges?" Mika schaute mich skeptisch an. „I wo, wir sind ja nicht am Abhang." Ich bückte mich und pflückte ein paar verbliebene Blaubeeren. „Hier probiert einmal." Ich hielt den anderen meine Hand hin, damit sie sich welche nehmen konnten. Luca griff sofort zu und stopfte sich welche in den Mund, genau wie ich. Maja und Mika zögerten und starrten nur auf meine Hand. „Man soll die doch aber nicht essen wegen des Fuchsbandwurms", fand Mika dann doch seine Stimme wieder. Luca prustete nur durch die Nase „Ja, die genmanipulierten aus dem Supermarkt sind bestimmt gesünder." Er griff sich die Hand seiner Freundin und marschierte wieder weiter. Ich stopfte mir die restlichen Beeren in dem Mund und folgte dem Beispiel meines Bruders. Dann sollten sie sich halt diesen unglaublichen Geschmack entgehen lassen, selbst Schuld.  „Boah, wie weit ist es denn noch?", stöhnte Maja und blieb stehen. Sie stützte ihre Hände auf ihre Oberschenkel und schnaufte. „Mensch Biene, da vorne ist schon die Hütte. Das sind höchstens noch fünfhundert Meter." Luca deutete in die Richtung, wo wirklich schon die weißblaue Bayernfahne im Wind flatterte. Oma, Papa und Mama hatten bestimmt schon einen Radler vor sich stehen, denn sie waren einfach durchmarschiert. „Die fünfhundert Meter sind aber senkrecht", empörte sich Maja sofort und Luca und ich fingen an zu lachen. „Wenn Garmisch auf rund 700 m liegt, die Hütte auf 1000 m und wir kein bisschen bergab gelaufen sind, kann das nicht funktionieren, du Mathegenie", zog er sie auf und erntete dafür einen finsteren Blick. Stillschweigend liefen wir den Rest des Weges. „Schaut nur da drüben ist die Zugspitze." Begeistert zeigte ich zum gegenüberliegenden Berg. „Schön. Gibt es hier auch etwas zutrinken?" Okay die Begeisterung war wohl limitiert. Aber vielleicht würden die beiden ja doch noch eine Freude daran finden, wenn sie erst etwas zu trinken hatten und....."Ihr habt schon Apfelstrudel bestellt?" Ich flitzte zu dem Tisch, an dem Papa, Mama und Oma saßen und an dem die Bedienung gerade wunderbar duftenden Apfelstrudel mit Vanillesauce, einer Kugel Vanilleeis und Sahne abstellte. Gab es eigentlich etwas Schöneres als so eine Bergtour mit einer Einkehr auf einer Hütte? Für mich jedenfalls nicht.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt