Kapitel 114

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„Heute kimmt des Christkindl." Carmen strahlte mich breit an. Also wenn sie so weitermachte, konnte sie im Januar mit Oma nach München ziehen, ohne dort aufzufallen. Oma und sie waren sowieso ein echtes Traumpaar, das sich scheinbar gesucht und gefunden hatte. Da konnte man schon fast eifersüchtig sein. Aber nur fast, denn Oma hatte trotzdem noch mehr als genug Aufmerksamkeit für uns und zweitens gab es nichts, was ich Carmen nicht gönnte. Sie hatte die Liebe meiner Oma mehr als verdient. Und ich genoss es abends mit Oma in meinem Bett zu liegen und zu ratschen, wenn Carmen im Gästezimmer schlief. Es war immer interessant, wenn sie erzählte, was sie so alles in meinem Alter angestellt hatte...... oder Mama. „Oma Valentina und ich haben eine Überraschung für euch", grinste Carmen mich breit an. Ich fragte mich, ob diese Überraschung etwas mit dem Kurier zu tun hatte, der für Oma ein riesiges Paket abgegeben hatte. Wahrscheinlich schon. „Da seids ja ihr zwoa." Oma kam auch in mein Zimmer gerauscht. „Ja, wie schaugst du denn aus." Sie starrte mich mit aufgerissenen Augen an. Mein Blick ging an mir herunter. Ich hatte ein schlichtes rotes Kleid an, das ich mir irgendwann einmal gekauft hatte und das aber eigentlich zu Weihnachten passte. Jedenfalls dachte ich das bis eben gerade. „Wir feiern richtige bayrische Weihnachten, nicht wahr Oma?" Die Kleine hüpfte aufgeregt wie ein Flummi hin und her. „Freilig, Flipper. Fei traditionell." Was hatten die beiden geplant?  Traditionell würde in Tracht bedeuten. „Und wie wollt ihr das anstellen? Meine Dirndl sind alle in München und eine kleine Lederhose für Carmen haben wir sowieso nicht." Das hätten sie sich echt etwas früher überlegen können. Dann hätten wir vielleicht noch die Chance gehabt, etwas im Internet zu bestellen. Die Idee an sich fand ich nämlich echt cool. Da wir die letzten Jahre immer in München gefeiert hatten, war das eigentlich normal und irgendwie fehlte es mir auch. Verflucht, ich hätte ja auch auf die Idee kommen können. „Dada" Oma lief zu dem Schrankteil, dass ich ihr frei gemacht hatte und öffnete die Tür. Zum Vorschein kam eindeutig das Dirndl, das sie mir zu meinem Geburtstag geschenkt hatte. Sie reichte es mir und griff nach ihrem. Wieso griff sie noch einmal in den Schrank? „Fia unsre Kloane hab i a oans." Lächelnd reichte sie Carmen eine perfekte Kopie von meinem Dirndl in ihrer Größe. Oh oh, das würde eine herbe Enttäuschung für Oma geben. Die Kleine hasste Kleider. Da hätte sie lieber eine Lederhose an den Start bringen sollen. „Anziehen", quietschte Carmen aufgeregt und schnappte nach dem Bügel. „Aber das ist ein Kleid und du magst doch keine Kleider", machte ich sie aufmerksam. Sie schüttelte wild den Kopf „Nein, das ist ein Dirndl und das ist etwas ganz anderes." Ich musste lachen. Keine Ahnung, wie Oma das hinbekommen hatte. Schnell schlüpften wir drei in unsere Dirndl. „So und jetzert flecht i eich a no die Hoar." Omas Finger flogen wieder förmlich durch die Haare. „Die Schürze fehlt noch." Carmen griff sich ihre und quälte sich damit ab an ihrem Rücken eine Schleife zu machen. „Net om Rücka. Du bist do koa Witwe." Oma wickelte die Schürzenbänder nach vorne und band die Schleife in der Mitte. „Aber bei dir ist sie doch auf der Seite."  Oma nickte „Joa, i bin verheiratet und deshalb is sie rechts." Carmen nickte. „Und du bist a Jungfrau also is sie in der Mitten."  „Was ist eine Jungfrau?" Na super Oma. Also ich übernahm jetzt nicht die Aufklärung. „Joa, was is a Jungfrau, Lucy?", spielte sie mir doch echt diesen Ball zu. Wie erklärte man so etwas am besten einer Siebenjährigen? „Eine Jungfrau ist eine Frau oder ein Mädchen...." begann ich herumzudrucksen. „Die no koan Kerl an der Backen hat", griff Oma dann doch ein. Okay, das war eine ziemlich vereinfachte Erklärung, aber durchaus akzeptabel. „Dann musst du deine Schleife auch in der Mitte binden." Ich hatte sie natürlich an die rechte Seite gesetzt, wie schon beim Oktoberfest. „Du bist ja gar nicht verheiratet." Carmen schaute mich erwartungsvoll an. Sollte ich ihr erklären, dass das mit der Schleife auch bei einem Freund zählte? Nee, das machte es für die Kleine zu kompliziert und beschwor nur neue Fragen herauf, die ich nicht unbedingt beantworten wollte. Außerdem traf die Mitte ja auch auf mich zu und Mika war sowieso nicht hier. Sein Geschenk schmorte ja schon seit ein paar Tagen bei Luca. Schnell band ich die Schleife um, so dass sie auch in der Mitte prangte. „Auf geht's", kam es von Oma und Carmen echote sofort das Gleiche.
„Ja hallihallo, die Bazis sind da", jodelte Papa los, als wir ins Wohnzimmer kamen. „Bazis? Was sind Bazis?" Carmen schaute mich unsicher an „Das frage mal lieber Opa Chris. Der erklärt dir das ganz genau", schmunzelte Andi und musterte seine Tochter von oben bis unten. „Flipper freiwillig im Kleid. Ich glaube es nicht" „Papa, das ist kein Kleid, sondern ein Dirndl. Und Lucy und ich tragen die Schleife in der Mitte, weil wir beide Jungfrauen sind und Oma trägt sie rechts, weil sie verheiratet ist", erklärte Carmen ihrem Vater ganz begeistert, während ich eine bestimmte Hitze in den Wangen fühlte, besonders als Andis Blick über mich zu meiner Schleife glitt. Verflucht, irgendwie war das gerade ziemlich peinlich. „Auf alle Fälle seht ihr drei in den Dirndln", Das Dirndln betonte er besonders „bezaubernd aus. Da wird der Weihnachtsmann uns andere ganz übersehen." „Nicht der Weihnachtsmann, Papa. Das Christkindl." Carmen schüttelte missbilligend ihren Kopf. „Na Valentina, da hast du ja schon wieder ein armes Kindergehirn mit deinem blauweißen Gedankengut unterwandert", lachte Papa „Die Kleine ist an die Bazis verloren. Das kannst du mir glauben", wandte er sich dann an Andi, der nur schmunzelnd mit den Schultern zuckte. „Gibt ja schlimmeres." „Was ist denn hier los?" Mama kam auch in ihrem Wiesn Dirndl ins Wohnzimmer marschiert. Sie war also in Omas Plan eingeweiht gewesen. „Hollerlajuche", jodelte Papa „Die nächste Bajuwarin" Das brachte ihm einen bösen Blick von Oma ein. „Jetzt fehlt ja nur noch der Apfelstrudel und ich fühle mich wie auf der Alm." Mmm, nach dem duftete es hier schon total lecker. „Na dann ab an den Kaffeetisch", gab Mama das Startsignal und wir liefen alle in die Küche, wo der Tisch schon feierlich eingedeckt war und in der Mitte sogar schon die vier Kerzen auf dem Adventskranz brannten. Ich musste an mein Horoskop von heute morgen denken  Weihnachten verbindet Vergangenheit und Zukunft. In der Vergangenheit hatte ich immer traditionell bayrische Weihnachten gefeiert. Dann würde ich das also auch in Zukunft tun. Ich setzte mich auf meinen Stuhl, den mir Andi heute sogar zurecht schob, genau wie den von Carmen, die neben mir zwischen uns beiden saß.  Die Kleine strahlte heller als alle vier Kerzen zusammen und auch ich spürte diese Spannung in meinen Gesichtsmuskeln, die das Lächeln gar nicht mehr aus meinem Gesicht verschwinden ließen. Ja, so musste Weihnachten sein.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt