Kapitel 4

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Marco hatte es noch nicht einmal bis zum Kühlschrank geschafft, um die Eier für das Rührei herauszunehmen, als Leo schon wieder um die Ecke geschlittert kam. "Tessa ist nicht im Garten", hechelte er und sah aus wie ein Golden Retriever, dem man seinen Lieblingsknochen gemopst hatte. "Wie sie ist nicht im Garten? Wenn sie weder in ihrem Zimmer , noch im Bad oder auf Toilette ist und auch nicht im Garten? Wo soll sie denn dann sein?" Mein Blick glitt unauffällig zur Küchenuhr. Also nach dem Stand der Zeiger zu urteilen, würde ich behaupten schon in Berlin gelandet. Aber das konnte ich ja schlecht sagen, schließlich hatte ich ihr mein Versprechen gegeben.  "Franzi, Max, Leo, Maja, Luca", brüllte Marco laut los. Manno, das hatten ja meine Eltern in Bochum wahrscheinlich sogar gehört. Ich schaute zu Leo, der bedröppelt zusammengezuckt war. Kein Wunder, er stand ja direkt neben dem Megaphon namens Marco. Man, der sah echt aus als wenn seine Welt gleich zusammenbrach. Verflucht, ich hatte Tessa auch versprochen mich um ihren Erpel zu kümmern. Aber wie sollte ich das machen? Was erwartete sie da von mir? Ich konnte ja schlecht hingehen und ihm die Wahrheit sagen. Momentmal, Tessa hatte doch vorhin Briefe zwischen ihren Lippen. Die waren garantiert für ihre Eltern und für ihren Erpel. Klasse, und wo hatte sie die deponiert? Die Dinger könnten doch vielleicht etwas für Entspannung hier im Haus sorgen. Ich schaute mich vorsichtig in der Küche um, entdeckte sie aber nicht.  "Schnutzelchen, was brüllst du denn das ganze Haus zusammen? Hast du dir den Finger beim Zwiebelschneiden abgetrennt?" Franzi kam in die Küche marschiert, gefolgt von den Drillingen. "Was ist denn los, Papa?" Auch Maja kam mit zerwuschelten Haaren in die Küche geschneit. Mein Bruder folgte ihr total verschlafen. Der Kerl war echt die totale Schlaftablette. "Wo brennt es?" Max stürzte durch die Tür und scannte alle Anwesenden besorgt ab. "Weiß ich doch nicht. Ich bin doch nicht  bei der freiwilligen Feuerwehr", rutschte es mir heraus. Das sagte meine Oma auch immer so. Wieso starrten die mich denn alle so an? "Ähm, naja, wo es brennt.", setzte ich kleinlaut nach. "Pappalapapp." Marco winkte ärgerlich ab "Tessa ist weg", informierte er alle kurz und bündig. "Wie weg?" Max schaute beunruhigt zu Leo, der mit den Schultern zuckte und auf seinen Lippen herumknabberte. Ja klar, die beiden wussten ja, dass der Storch zugeschlagen hatte. Manno, heute mutierte ich echt zu meiner Oma. "Was ist denn los?" Leokardia steckte ihren Lockenkopf durch die Tür und gähnte "Hoffentlich ist es etwas Wichtiges, warum ihr mich aus meinem Schönheitsschlaf gerissen habt." "Tessa ist weg", knallte ihr Max an den Kopf. Sie zuckte mit den Schultern. "Weit kommt sie ja mit ihren Krücken nicht. Ich packe mich dann noch einmal ins Bett." Wow, die war ja besorgt. Vielleicht hätten wir ihr sagen sollen, in der Innenstadt war ein Brautkleidausverkauf. Dann wäre sie wahrscheinlich sofort im Highenergymodus. "Hast du sie gesehen, als du Brötchen holen warst?" Marco schaute mich fragend an und ich schüttelte schnell den Kopf. Ich hatte sie ja nur davor gesehen, also war es nicht gelogen. Trotzdem war mir ganz mulmig. Ich hasste es nämlich nicht die Wahrheit zu sagen. Aber ich hatte es Tessa versprochen und ein Versprechen zählte für mich noch mehr. Manno! Tessa hatte mich echt in eine saublöde Situation gebracht.  „Wir müssen alles absuchen. Leo, du suchst noch einmal euer Zimmer durch, ob etwas fehlt", gab Marco  sofort Anweisung nachdem er von mir abgelassen hatte und teilte auch alle anderen ein. Er schaute zu den Drillingen, die so aussahen als verstanden sie die ganze Aufregung nicht. Na ja, mit elf Jahren war das ja vielleicht auch noch ein Bisschen viel verlangt. "Is abe Hunger", quengelte Mari los, die auf ihren kleinen Beinen in die Küche marschiert kam und die ganzen Großen verwundert anschaute. "Können wir nicht später suchen, wenn wir gefrühstückt haben?", moserte auch Benny los. "Lucy, kannst du dich um Mari und die Drillinge kümmern und schon einmal das Frühstück machen?" Ich nickte Franzi zu. "Klar. Kommt ihr vier. Wir machen Rührei. Was haltet ihr davon." Ein kleiner Jubel brach los, während sich die anderen auf die Suche machten. Hoffentlich fanden sie schnell die Briefe von Tessa, damit die Aufregung ein Ende hatte. Manno, warum hatte sie mir die nicht einfach gegeben. Ganz einfach, weil ich dann sofort als Fluchthelfer aufgeflogen wäre und Marco oder Leo mich wie eine Zitrone ausgequetscht hätten. "So, die Pfanne haben wir ja schon. Jetzt brauchen wir noch eine Rührschüssel, Eier, Zwiebeln und Schnittlauch." "Ich hole die Schüssel." Luna hüpfte los zum Schrank. "Und ich die Zwiebeln. Die sind nämlich im Keller und da sind bestimmt Spinnen, also ist das eine Männeraufgabe", grinste Benny. Ich musste lachen. Also irgendetwas war von kleinauf bei dem männlichen Geschlecht falsch gepolt. "Na, dann ab in den Keller und schöne Grüße, wenn du Spiderman triffst." Schnell griff ich mir den Schnittlauchtopf vom Fensterbrett und stellte ihn neben dem Herd ab. "Is pflücke Gras" Mari war auf ihren Hocker geklettert mit dem sie auf die Arbeitsfläche gucken konnte und griff nach dem Schnittlauch. Ich musste wieder grinsen. So kleine Kinder waren echt knuffig. Das war auch ein Grund, warum ich es liebte als Babysitter zu jobben. "Und du holst die Eier aus dem Kühlschrank", beauftragte ich Stella, die sich auch sofort in Bewegung setzte. "Was sind denn das hier für Briefe?" Stella wedelte mit zwei Briefen herum. Das war doch echt nicht wahr, dass Tessa die im Kühlschrank deponiert hatte. Obwohl, so abwegig war es eigentlich bei der Fressraupe gar nicht. "Zeige mal." Ich lief zu ihr und schnappte mir die Briefe. "Da steht Erpel und Paps und Mama drauf", kam es von Stella, die sich neben mich gedrückt hatte. "Dann sind die von Tessa", schlussfolgerte Luna. Ja, die beiden waren ziemlich pfiffig für ihr Alter. "Paaaappaa,  Maaaammmaaaa", brüllten sie lauthals los. Also irgendwie hatte die ganze Familie Reus wohl ein implantiertes Megaphon. Mari brüllte auch aus Leibeskräften "Paaapppaaaa, Maaaammmmaa." Scheinbar war sie der Meinung ihre Schwestern imitieren zu müssen und grinste dabei breit. "Was ist passiert?" Marco kam zusammen mit Franzi durch die Tür gehechtet und scannte sofort besorgt seine Kinder ab. "Alles okay", versuchte ich sie schnell zu beruhigen. "Wir haben Briefe von Tessa gefunden", setzte Stella an "Ja, im Kühlschrank", kicherte Luna. Franzi schnappte sich die Umschläge, die ich in der Hand hielt. "Einer ist an uns und einer an Leo." "Leeooo", brüllte Franzi sofort wieder los. Also Zimmerlautstärke war hier echt ein Fremdwort. Die Tür flog auf und Leokardias Lockenkopf schaute herein. "Was ist denn? Hat die Hochzeitslocation abgesagt?" Für sie gab es auch nur noch ihre Hochzeit. Deshalb hatte sie sich bei Tessa und mir auch den Spitznamen Brautzilla erarbeitet. "Was?" Marco schaute sie verwirrt an. "Wieso sollte die auf einem Sonntagmorgen  absagen?" "Na weil Franzi so nach mir gebrüllt hat." Er schüttelte den Kopf."Sie hat doch gar nicht nach dir sondern dem Leo gebrüllt. Leeeooooonnnaaaaarrrdddd", brüllte er wieder los. Leo verdrehte ihre Augen und dampfte angepisst wieder ab. Ich schaute zu Franzi, die den einen Umschlag aufgerissen hatte und das Blatt in ihren Händen anstarrte.  Marco zog es ihr aus der Hand "Hallo Mama, hallo Paps ! Ich brauche eine kurze Auszeit, um mit allem klarzukommen. Habe euch lieb. Ich melde mich, Tessa" las er vor. Ja, das nannte ich mal ausführlich. Das war so typisch Tessa. "Was soll das heißen?" Er starrte seine Frau an, die mich musterte. Glücklicherweise lenkte Leonard sie ab, der keuchend in die Küche gesprintet kam. "Hier ein Brief von Tessa." Franzi reichte ihm den Brief, der an ihn adressiert war. "Habt ihr sie gefunden?" Auch Max kam in die Küche gehechelt. "Sie  braucht eine Auszeit schreibt sie, um mit allem klarzukommen", echauffierte sich Marco. "So ein Syndesmoseriss ist doch kein Weltuntergang. Oder ist da mehr verletzt?" Er schaute seinen Sohn beunruhigt an, ehe er mit der Hand abwinkte. "Quatsch, dann hättet ihr ja operiert. Freiwillig verzichtet ihr Fleischer doch nie darauf." Max und Leo schauten sich beide an und hatten ziemlich verdächtig rote Köpfe. Ich konnte mir gut vorstellen, was ihnen gerade durch den Kopf ging. Klar, die beiden wussten ja auch von der Schwangerschaft und waren zum Klappehalten verdonnert. "Na, dann wissen wir ja, dass es ihr gut geht. Dann kannst du mit den Kindern das Rührei fertig machen, Schnutzelchen. Und Lucy und ich decken schon einmal den Tisch auf der Terrasse." Franzi drückte mir die Brötchenbeutel in die Hand und schnappte sich ein paar Teller. "So, und jetzt raus mit der Wahrheit", kam es sofort aus ihrem Mund, kaum dass wir die Terrasse betreten hatten. "Und jetzt erzähle mir nicht, du warst so früh wach und bist zum Bäcker gefahren." Mist. Ihre Augen durchbohrten mich. Was sollte ich denn jetzt machen? Ich hatte doch .....  "Garantiert steckst du mit Tessa unter einer Decke und hast ihr versprochen nichts zu sagen." Mhhh, leugnen half sowieso nicht. Also nickte ich. "Gut, dann will ich dich auch nicht in die Bredouille bringen. Du musst nichts sagen, nur nicken oder den Kopf schütteln." Okay, ich nickte wieder. "Du hast Tessa zum Bahnhof oder Flughafen gebracht, stimmt's? Ich habe nämlich gesehen, dass ihr Rucksack und ein paar Sachen fehlen." Mein Kopf bewegte sich von alleine. "Geht es ihr gut?" Ja, das ging es ihr, so entschlossen wie sie war. Sonst hätte ich sie doch auch nicht alleine fliegen lassen. Was wäre ich denn dann für eine Freundin? Ganz überzeugt nickte ich also wieder. "Okay, dann belasse ich es dabei. Ich gehe mal davon aus, dass ihr beide auch weiter in Kontakt steht. Wenn du irgendetwas hörst oder meinst, dass es ihr nicht gut geht, informierst du mich sofort. Ist das klar?" Franzi schaute mich ernst an. Ich hob meine drei Finger wie zum Eid. "Versprochen." In dem Moment gab mein Handy einen Signalton von sich. Schnell zog ich es aus der Hosentasche. Es war eine Nachricht von Tessa. "Sie ist gut gelandet.....ähm angekommen", verbesserte ich mich schnell.  "Na dann ist ja alles gut. Ich verlasse mich auf dich, dass du mich auf dem Laufenden hältst. Ach ja, und die Männer müssen von unserer Abmachung nichts erfahren", zwinkerte sie mir zu. Erleichtert atmete ich auf.

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt