Kapitel 134

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Das Autobahnschild von Münster flog an mir vorbei. Dann mussten wir ja bald Zuhause sein. Die Dämmerung setzte bereits ein. „Ich habe die nächste Woche mir frei genommen, damit ich die ganzen Möbel aufbauen kann." Stimmt, die Handwerker waren ja fertig geworden. Manno, Carmen und Andi könnten ruhig noch eine Weile bei uns wohnen, schoss es mir enttäuscht durch den Kopf. Ich hatte mich so daran gewöhnt, meine beiden weiteren Lieblingsmenschen jeden Morgen am Frühstückstisch zu treffen. „Was meinst du, sollten wir eine große Einweihungsparty veranstalten und alle einladen? Oder es lieber klein und gemütlich halten und alle nacheinander einladen?" Keine Ahnung. Mir war gerade weder nach dem einen noch nach dem anderen. Mein Kopf kam mir gerade genauso schwer wie meine Augenlider vor. Also schloss ich sie. Wozu dagegen ankämpfen? Und ließ meinen Kopf gegen die Seitenscheibe sinken. Die war richtig schön kühl. Bestimmt war ich gar nicht wirklich müde, denn an Andi gekuschelt hatte ich heute Nacht so gut wie schon ewig nicht mehr geschlafen. Bestimmt war dieses Auto nur total überheizt, weil ich gestern gefroren hatte. Ja, so musste es sein. „Am besten machen wir lieber kleine Einweihungsabend. Wenn ich eine Party mit Marco und deinem Vater mache, kann ich ja sonst gleich wieder renovieren", lachte Andi und ich nickte wortgewandt. „Da hat man dann auch viel mehr davon und kann sich unterhalten....." Seine Stimme wurde immer leiser und meine Gedanken begaben sich auf einen eigenen Weg. „Schau mal ein Basstölpel." Andi deutete auf den großen weißen Vogel mit dem hellgelben Kopf, der dort im Watt saß. Lebten Basstölpel im Watt und nicht auf Felsen? Egal, was sollte ich mir den Kopf darüber zerbrechen? „Papa, Papa schau mal ein Wattwurm." Carmen hüpfte vor uns in ihren roten Gummistiefeln durch die Modderpampe. „Na komm Süße, schauen wir uns den Wurm mal an, den unsere Kleine gefunden hat." Andi zog mich an meiner Hand mit zu Carmen. „Lucy, schau mal ein Wattwurm." Bei ihrem Blick wurde mir ganz warm ums Herz und ich legte meinen Arm um ihre Schulter und drückte ihr einen Kuss auf ihr blondes Haar. „So, meine beiden Lieblingsfrauen, jetzt gehen wir aber in Döse ein Eis essen. Was haltet ihr davon?" „Ja, Papa!" Carmen galoppierte sofort davon und ich schaute ihr grinsend hinterher. Genau wie Andi. „Carmen und ich haben so ein Glück, dass du uns genommen hast, obwohl ich so viel älter als du bin." Andis Arm schlang sch um meine Schulter und er küsste mich. „Das sind nur zwölf Jahre und 355 Tage", schmunzelte ich nachdem er den Kuss beendet hatte. „Das ist ja gar nichts", zwinkerte er und tat es mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. „Papa, Lucy, was seid ihr denn für lahme Schnecken?" Carmen stand bereits am Strand und schubste Sand mit der Fussspitze auf. Wir rannten beide Hand in Hand zu ihr hin. Als wir bei ihr angekommen waren, ging Andi auf einmal vor mir auf die Knie. Na nu? Gummistiefel hatten doch gar keine Schnürsenkel? „Lucy, du machst uns beide zu den glücklichsten Menschen auf der Welt. Willst du meine Frau werden?" In seiner rechten Hand hielt Andi eine kleine Schatulle, in der der schönste Ring funkelte, den ich je gesehen hatte. „Ja", hauchte ich total ergriffen. „Dann bist du jetzt meine richtige Mama", quietschte Carmen begeistert, während der Ring an meinen Finger wanderte.
„Du musst nicht nur Ja sagen, sondern auch aussteigen." Andi rüttelte ganz sanft an meiner Schulter und ich öffnete erschrocken meine Augen. Mist, das war ja alles nur ein Traum. Ich musste im Auto eingeschlafen sein. Manno, das war so ein schöner Traum. Den hätte ich schon gerne noch länger geträumt. Besonders das Eis hätte ich gerne noch gegessen. „Wir sind ja schon Zuhause." Ja, wir parkten bereits vor unserem Haus. „War gestern doch ganz schön anstrengend, was?" Ich nickte nur und hievte mich vom Sitz. Ups, meine Beine schliefen wohl noch, jedenfalls fühlten sie sich wie Wackelpudding an. Warum schaute Andi denn so besorgt? Boah, seine Hand war aber ganz schön kühl, als er sie auf meine Stirn legte. „Mist, du glühst ja richtig. Warum hast du denn nicht gesagt, dass es dir nicht gut geht? Dann wären wir doch gar nicht noch in den Zoo gegangen." Genau deshalb! Außerdem ging es mir doch gar nicht schlecht. „Mir geht es gut.Bin nur ein bisschen müde und habe Durst", brummte ich mit kratziger Stimme. Mein Hals fühlte sich wie rohes Fleisch an. Bäh, das war echt unangenehm. „Ja, das sehe ich." Andi hob mich auf die Arme und trug mich zum Haus. Okay, das war auch ganz angenehm, nicht selbst laufen zu müssen. „Das ist ja kein Wunder, dass du krank geworden bist. Das war gestern viel zu kalt in den dünnen Klamotten. Verflucht, ich hätte das Ganze abbrechen müssen." Keine Ahnung, wie Andi das so schnell geschafft hatte, aber im nächsten Moment lag ich auch schon auf meinem kuscheligen Bett. „Schaffst du es alleine dich umzuziehen?" „Auf keinen Fall", hörte ich Nils Stimme. „Er muss dir helfen", hörte ich auch Tessa gackern. „Nein, das geht nicht." Das konnten die beiden echt nicht erwarten. „Okay, dann helfe ich dir." Wie, Andi half mir? Hatte ich schon wieder laut geantwortet? Mist, mein Hirn schien ja total durchgegrillt zu sein. Ehe ich mich versah, hatte er mir schon den Pulli über den Kopf gezogen. Was schaute er denn so schockiert? Ups, ich hatte ganz vergessen heute morgen meinen BH anzuziehen. In Schallgeschwindigkeit stülpte er mir plötzlich mein Schlafshirt über den Kopf und zuppelte an meinen Hosen. Also den Slip hatte ich auf alle Fälle nicht vergessen. Beruhigt lehnte ich mich zurück und ließ ihn machen. Ja, mein Kopf genoß es auf dem Kopfkissen zu liegen. „Jetzt wird erst einmal Fieber gemessen. Vorher hole ich dir aber noch einen Kirschsaft. Der drückt die Temperatur auf alle Fälle." Mm, Kirschsaft war lecker. Konnte Andi heute fliegen? Er war doch gerade erst verschwunden und ich hatte kaum meine Lider geschlossen. Egal, der Saft lief meine schmerzende Kehle hinunter. Ich riskierte eine Blick darauf. Ja, das sah wie Kirschsaft aus, aber das schmeckte nicht danach. Genaugenommen schmeckte es nach nichts. Egal. Eigentlich wollte ich nur noch schlafen. Das Piepen des Thermometers drang zu mir durch. „39,7. Das ist gar nicht gut. Ich mache gleich ein paar Wadenwickel, damit es nicht noch höher geht." Im nächsten Moment spürte ich schon etwas kaltes an meinen Beinen. Das fühlte sich gut an. „Will kuscheln", hörte ich mich krächzen. „Hier, deine beiden Eisbären." Ich spürte etwas weiches in meinem Arm und drückte es mir ganz fest an die Brust. Eigentlich wollte ich ja Andi, aber die Eisbären waren auch okay. Ich merkte, wie ich so langsam dahin dämmerte. Ja, schlafen war gut. „Ach, Lucy. Du machst mich echt fertig." Was meinte Andi damit? „Du bist so zuckersüß, aber ich bin einfach viel zu alt für dich. 12 Jahre und 354 Tage." Genau, und das war doch überhaupt kein Problem. Ich war jetzt einfach viel zu müde, um zu widersprechen. Außerdem war es ja sowieso wieder nur so ein blöder Traum. Ganz sanft spürte ich eine Hand über mein Haar streichen und dann Lippen auf meiner Stirn. „Schlaf gut, kleine Lucy und träum was Schönes." Wieder spürte ich die sanfte Berührungen von Lippen an meiner Wange. Dieser Traum war irgendwie viel realer als sonst. Das musste wohl am Fieber liegen. Und was hieß hier ‚Träum was Schönes' ? Ich träumte doch schon. Oder etwa nicht? Ach egal!

Schuss und Treffer auf der Reservebank Teil 8. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt