20 Jahre zuvor
„Wie geht es Ihrer lieben Tochter?"
Das alljährliche Zusammentreffen in Form eines Festessens sämtlicher wichtiger Persönlichkeiten der Politik und Wirtschaft Ileas fand an diesem Abend zum ersten Mal unter der Anwesenheit von Wilhelmina und Gadriel statt. Das junge Ehepaar konnte sich kaum vor neugierigen Blicken und interessierten Fragen retten. Während Wilhelmina sich alle Mühe gab, einen möglichst guten Eindruck zu hinterlassen und auf jede ihrer Bewegungen und Worte bedacht war, schien Gadriel die Festlichkeiten in vollen Zügen zu genießen. Als wäre er bereits seit Ewigkeiten Teil dieser Gesellschaft gewesen, lachte er, erkundigte sich nach den Familien der Anwesenden vorrangig männlichen Herrschaften und scheute sich vor keiner Konversation.
Wilhelmina lächelte ihren Gegenüber, dem Diplomaten aus Zuni der sich nach Maelle erkundigt hatte, freundlich an und begann ihre zurechtgelegte Antwort mit vagen Floskeln über Maelles schnelle Fortschritte und liebenswerte Art wiederzugeben. Bevor allerdings ein Gespräch zustande kommen konnte, unterbrach Gadriel sie und erkundigte sich übertrieben interessiert nach der Familie des Diplomaten. Wenig später waren die beiden Männer bereits in eine angeregte Unterhaltung verwickelt, der Wilhelmina nicht länger folgte.
Die formelle Essensgesellschaft löste sich schließlich auf und der Abend wurde in den geräumigen Empfangssalon verlegt, in welchem kleinere Grüppchen zusammen standen und privatere Themen diskutierten.
Wilhelmina entdeckte ihren Ehemann am anderen Ende des Raumes, wo er mit zwei vornehmen Herren und weiteren Damen zusammenstand. Sie identifizierte die Frauen als die beiden jüngeren Schwestern des Vorstandsvorsitzenden eines einflussreichen Wirtschaftsunternehmens mit dem Haupsitz in Angeles. Lorens van Corke war einer der arrogantesten Männer, die ihr je begegnet waren. Sie erkannte, dass auch er sich zu seinen Schwestern und Gadriel gesellte und sein blitzendes Lächeln aufgesetzt hatte.
„Ich habe gehört, dass er drei Mätressen gleichzeitig hatte." Wilhelmina drehte sich überrascht um und wandte unwillkürlich den Blick von van Corke ab, als wäre sie bei etwas ertappt worden.
Neben sie war Valeria Ramirez getreten, die frischvermählte Ehefrau von einem der wohlhabensten Männer dieser Gesellschaft. Gleichzeitig war er aber wohl auch einer der Älteren der Anwesenden und sie war kaum älter als Willow, also beinahe 30 Jahre jünger. Wilhelmina hatte von der Heirat und dem vielen Tratsch, den diese mit sich gebracht hatte, gehört.
„Und das, obwohl er eine Ehefrau hat", fügte Valeria hinzu. Sie schaute immer noch zu van Corke.
Wilhelmina besann sich ihres Anstandes und lächelte die junge Frau an. „Es freut mich sehr, Sie endlich einmal in Person kennenlernen zu dürfen. Ich gratuliere Ihnen herzlich zu ihrer kürzlichen Heirat."
Valeria warf Wilhelmina einen Seitenblick zu, der eindeutig besagte, dass eine Gratulation nicht von Nöten sei. „Danke", erwiderte sie trocken, „Das kann ich wohl nur zurückgeben."
Wilhelmina öffnete den Mund und wollte beinahe empört wiedersprechen. Sie konnte sich vorstellen, dass Valeria augenscheinlich nicht gerade vor Glück überfallen war hinsichtlich ihrer Vermählung, doch Gadriel lies sich wohl nicht mit ihrer unglücklichen Situation vergleichen. Jedoch lächelte sie lediglich und bedankte sich.
„Ich weiß immer nicht recht, ob ich diesen Teil von solchen Abenden am liebsten mag oder am meisten verachte", sagte Valeria.
Wilhelmina runzelte die Stirn. „Welche Argumente sprechen für die beiden Varianten?"
„Ich finde es ziemlich amüsant, den vornehmen Herren dabei zuzusehen, wie sie sich immer mehr mit Alkohol vernebeln und sich dabei zu blamieren. Es scheint mir, als käme zu dieser Zeit des Tages ihr wahres Wesen zutage. Aber gleichzeitig grusele ich mich auch vor dieser Zeit."
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Blind Selection - never give up 3
FanfictionKaden. Joas. Lyndon. Decan. Einer von ihnen ist der Kronprinz von Ilea. 35 Mädchen kommen ins Schloss, um genau das herauszufinden. Doch zwischen Verrat, Druck, Schmerz und einer endlosen Suche ist es schwer sich auf das Wesentliche zu konzentrieren...