76 | positive Aussichten

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Earline Lancaster

Als wir schließlich die Höhle des Löwen betraten, war es nicht so furchteinflößend, wie ich es mir ausgemalt hatte. Ich wurde flankiert von Elea und gefolgt von meinem Vater und Fenna und so fühlte ich mich außergewöhnlich sicher und stark, als ich der gesamten Königsfamilie von Iléa in die Augen blickte. 

Quinn und Doyle saßen an der rechten Seite der Tafel und lächelten uns aufmunternd entgegen. Gegenüber von ihnen erkannte ich Maelle. Ich würde nicht so weit gehen, ihren Blick als freundschaftlich zu deuten, doch freundlich war er mit Sicherheit. Das Königspaar hatte am Ende des Tisches Platz genommen und blickte uns so direkt entgegen. Doch auch von ihnen erhielten wir einladende Gesichtsausdrücke, wobei die Königin sogar ein wenig neugierig aussah. Die weiteren Gäste setzten sich aus Decan, Kaden, Joas und nicht zuletzt Lyndon zusammen, den ich vermied anzusehen, um nicht verräterisch zu grinsen. Von ihnen hob einzig Kaden uns musternd eine Augenbraue, schien sich dann aber mit Desinteresse zu begnügen. Die anderen drei sahen ebenfalls nicht feindlich drein.

Wo waren also die Löwen in dieser Höhle? Ich kam mir beinahe albern vor, während ich in all diese freundlichen Gesichter blickte, doch als wir uns schließlich an die reichgedeckte Tafel gesetzt hatten, überkam mich wieder Beklommenheit. Denn ein einziger Blick in Richtung der Königin verriet mir, dass sie ihre Neugierde sicherlich in einigen subtilen Fragen ausdrücken würde, welche ich mir nicht sicher war, ob ich sie beantworten konnte.

Doch glücklicherweise war zu Beginn nicht ich das Objekt ihrer Neugierde, sondern Elea.

„Ich hoffe, ich bin nicht zu forsch mit dieser Frage, aber würden Sie mir wohl Ihr Geheimnis Ihrer Haare verraten? Sie glänzen geradezu. Das bedarf doch sicher einer besonderen Pflege, nicht wahr?", fragte die Königin Elea, als alle zu den Köstlichkeiten auf dem Tisch griffen.

Ich, die ich mit einer weitaus persönlicheren Frage gerechnet hatte, verschluckte mich vor Überraschung an meinem Wasser und brach in dem Versuch, das Husten zu unterdrücken, in einen weitaus heftigeren Hustenanfall aus. Fenna, die zu meiner Seite Platz genommen hatte kicherte und klopfte mir dabei auf den Rücken.

„Dena ist wirklich in Ordnung. Du musst keine Sorge haben, dass Sie Elea vor versammelter Mannschaft mit persönlichen Fragen löchert", raunte sie mir zu, indem sie sich ein wenig zu mir hinübergebeugt hatte.

Als ich mich wieder aufrichtete, begegnete ich dem Blick der Königin, welche die Szene amüsiert beobachtet hatte und gerade in ein Gespräch mit Elea über das Geheimnis ihrer glänzenden Haare verwickelt war. Ich entspannte mich kaum merklich und lächelte Fenna dankend an. Es wäre doch denkbar ungünstig gewesen, wäre ich bei dem ersten Abendessen mit der Königsfamilie an einem Schluck Wasser erstickt.

Die Stimmung am Tisch hatte sich offensichtlich gelockert, denn nur wenige Minuten später sprach Fenna interessiert mit Joas über dessen Passion für Klettern in den nahegelegenen Bergen von einer Region in Angeles namens Monsenito. In dieses Gespräch wiederum hatte sich mein Vater eingemischt, als er herauszuhören meinte, dass seine Schwester das waghalsige Freiklettern ebenfalls versuchen wollte.

„Ich werde doch Joas dabeihaben", Fenna zwinkerte Lord Joas grinsend zu, „Da kann überhaupt nichts passieren, Eamon."

Mein Vater schnaubte verächtlich. „Du glaubst doch wohl nicht, dass dich ein törichter Halbstarker vor dem Abstürzen in mehrere Hunter Meter Tiefe retten kann. Nichts für ungut", fügte er in Richtung Joas noch hinzu.

Fenna lachte, doch das Funkeln in ihren Augen sagte mir, dass sie bereit war, die Disskussion aufzunehmen. „Du wirst doch wohl nicht denken, du könntest es mir verbieten?"

Blind Selection - never give up 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt