Earline Lancaster
Wir steuerten den Weg zu dem Arztzimmer an und taten dies lang ohne zu sprechen. Ich konnte sehen, dass Wilhelmina von ihrer Umgebung überwältigt war und sie tausende Erinnerungen einholten. Beinahe erfürchtig betrachtete sie die Gänge, Türen und Gemälde an den Wänden.
Als wir in den Flur einbogen, in dem der Doktor seine kleine Praxis hatte, kamen uns zwei Wachmänner entgegen. Für einen Moment lang durchfuhr mich Angst, dass sie uns anhand Wilhelminas Kleidung und Auftreten für Rebellinnen halten würden. Doch den einen von ihnen erkannte ich als einen Freund von Maelle und nickte ihm kurz zu. Entweder erkannte er mich ebenfalls oder die beiden erwarteten von zwei Frauen keine große Gefahr. Jedenfalls passierten sie uns wortlos, sodass ich erleichtert aufatmete.
Wilhelmina lächelte in sich hinein. „Es ist alles eine Frage von Haltung und Auftreten. Wenn wir uns so verhalten, als würden wir genau hierhin gehören, wird es auch niemand infrage stellen."
Ich schnaubte leise. Ihr schien selbstsicheres Auftreten leicht zu fallen, während ich jedes Mal wieder erfürchtig wurde und mich fremd fühlte, wenn ich an einem großen Kronleuchter vorbeilief. Dabei besaß beinahe jeder zweite Raum im Palast einen. „Danke für den Tipp."
Sie lächelte breit und wenig später hielten wir vor dem Arztzimmer. Entgegen meiner Erwartung machte sie keine Anstalten, einzutreten. Ich sah abwartend zu ihr, doch sie schüttelte den Kopf. „Ich denke nicht, dass es klug wäre, wenn ich hineinginge", erklärte sie.
„Oh", machte ich und seufzte innerlich, „Das war also mit seelischer Unterstützung gemeint?"
Wilhelmina lachte leise. „Wenn du es so formulierst..."
Ich betrat nach einem kurzen Klopfen den Raum, fand aber außer der üblichen Arztinstrumente und einer weißen Liege nichts vor. Wahrscheinlich befand sich der Doktor auch in einem der Schutzräume. Ich hoffte es zumindest.
„Es ist niemand da", erklärte ich, als ich wieder aus dem Raum trat und die Tür hinter mir schloss.
Wilhelmina nickte enttäuscht. „Das war zu erwarten", sagte sie ruhig.
Ich zögerte und trat von einem Bein auf das andere. „Wollen Sie dann nach dem Rest Ihrer Familie sehen?", fragte ich vorsichtig. Da fiel mir meine eigene Familie wieder ein und mein Herz sank. Elea und mein Dad waren höchstwahrscheinlich in Sicherheit, zumindest hoffte ich das, aber um Eyal und meine Mom war es anders bestellt.
„Es war nicht der Plan, dass das hier eine Art Familienwiedervereinigung wird", antwortete Wilhelmina seufzend, „Aber ich schätze, es läuft ohnehin nicht viel nach Plan."
Ich wollte schon vorschlagen, ein paar Schutzräume abzulaufen und zu hoffen, jemanden anzutreffen, doch Wilhelmina hatte einen besseren Plan. Sie führte mich durch Gänge, die mir nicht bekannt vorkamen, bis zu der Überwachungszentrale des Schlosses, wie sie mir erklärte. Bereits von Weitem konnten wir einige Personen vor und in dem Raum erkennen, durch dessen offene Türen ständig Menschen hinein- und hinausgingen. Ich warf Wilhelmina einen überraschten Blick zu. „Sie besprechen im Moment wahrscheinlich, wie es zu dieser Sicherheitslücke gekommen sein kann, ob es Verluste gegeben hat, ob alle Mitglieder der Königsfamilie unverletzt sind und wie dieser Vorfall in der Öffentlichkeit dargestellt werden soll", erklärte sie ruhig. Wir waren in einiger Entfernung stehengeblieben und beobachteten das rege Treiben.
Ich war beeindruckt, auch wenn ich wahrscheinlich nicht überrascht sein sollte. „Ich schätze, das ist wieder mein Einsatz?", fragte ich und verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
Wilhelmina lächelte entschuldigend. „Ich wäre dir sehr dankbar", sagte sie, „Die Wahrscheinlichkeit, dass mich eine Person dort drinnen erkennen wird, ist leider ziemlich groß. Es würde für unnötigen Aufruhr sorgen."
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Blind Selection - never give up 3
FanfictionKaden. Joas. Lyndon. Decan. Einer von ihnen ist der Kronprinz von Ilea. 35 Mädchen kommen ins Schloss, um genau das herauszufinden. Doch zwischen Verrat, Druck, Schmerz und einer endlosen Suche ist es schwer sich auf das Wesentliche zu konzentrieren...