83 | erzwungene Freundschaft

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Earline Lancaster

Ich drehte mich langsam um und starrte in seine braunen Augen. Sofort versteifte ich mich, während ich meinen Blick nicht von ihm lösen konnte. Mein ganzer Körper drängte mich zur Flucht, während mein Gehirn versuchte, einen rationalen Gedanken zu fassen. Die meisten Gäste waren bereits gegangen und auf die schnelle konnte ich unter den verbliebenen Leuten kein bekanntes Gesicht erkennen.

„Nero", sagte ich kalt, ohne eine weitere Höflichkeitsfloskel zu verwenden, „Was willst du?"

Nero lächelte sein bezauberndes Lächeln, mit welchem er auch mit vor nicht allzu langer Zeit in seinen Bann gezogen hatte. Bei dem Gedanken daran, seine Lippen auf meinen zu spüren, kam mir nun die Galle hoch. Wie hatte ich nur auf diesen Hochstapler hereinfallen können?

„Ach Earline", er zog meinen Namen in die Länge wie ein frischgekautes Kaugummi und genoss mein Unbehagen grinsend, „Ich hatte wirklich gehofft, dass wir Freunde werden könnten. Du und ich. Die Vergangenheit können wir doch hinter uns lassen."

Ich hob höhnisch die Augenbrauen. „Welche Vergangenheit meinst du? Den Teil, als du meine Freundin geküsst hast und wenig später verschwunden bist oder den Teil, als ich herausgefunden habe, dass du ein falsches Spiel spielst und dich bei der Kronprinzessin einschleimst?"

Nero fasste sich an sein Herz und sah verletzt drein. „Wie kannst du soetwas nur sagen? Meine Gefühle waren und sind noch immer stets aufrichtig", meinte er, doch im nächsten Moment veränderte sich seine schmerzverzerrte Miene zu einem breiten Grinsen.

Ich verspürte eine tiefe Abscheu und Ekel ihm gegenüber. „Wie kannst du nur glauben, dass du damit durchkommen wirst?", fragte ich kopfschüttelnd, „Wir haben dich durchschaut, Nero. Es ist vorbei."

Nero gab etwas von sich, was sich von einem mädchenhaften Kichern zu einem tigerartigen Grollen veränderte. Ich trat erschrocken einen Schritt zurück und sah mich automatisch in dem Saal um. Niemand achtete auf uns und hielt uns bei einem kurzen Blick wahrscheinlich für ein junges Liebespaar, welches sich in eine dunkle Ecke zurückgezogen hatte. „So naiv", sinnierte Nero mit einem grässlichen Lächeln auf den Lippen. Er tat noch einen Schritt auf mich zu, sodass ich beim Zurückweichen zwischen ihm und einem dicken Pfeiler gefangen war. Lächelnd griff er nach einer meiner Haarlocken und wickelte sie nachdenklich um meinen Finger. „So klug und doch so naiv."

Ich schob entschieden seine Hand weg, während meine eigene angefangen hatte, zu zittern. „Lass den Mist", fauchte ich entschlossener als ich mich fühlte, „Du kannst mich nicht einschüchtern. Also sag schon, was willst du von mir?"

Nero lächelte. „Deswegen mag ich dich so, Earline. Du kommst gleich zum Geschäftlichen. Andererseits auch sehr schade. Ich habe mir unser richtiges Wiedersehen irgendwie", er überlegte für einen Moment, „inniger vorgestellt."

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihn stoisch an. „Also?"

„Wie gesagt", sagte er schließlich langgezogen, „Ich hatte gehofft, dass wir wieder Freunde werden könnten."

Ich lachte humorlos. „Wir waren nie Freunde, Nero."

Er runzelte die Stirn. „Wahrscheinlich hast du Recht", stimmte er nachdenklich zu, „Aber wir hätten mehr werden können, meinst du nicht?"

„Komm zum Punkt", sagte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen.

Er legte den Kopf schief. „Nun", fuhr er fort, „Ich nehme nicht an, dass du dein zerbrechliches, kleines Glück mit Lyndon verlieren möchtest, nicht wahr?"

Ein kalter Schauer fuhr mir über den Rücken. „Lyndon weiß über dich Bescheid. Ich habe mit ihm gesprochen", antwortete ich.

Nero zog beide Augenbrauen in die Höhe. „Dann weiß er also auch von unserer Romanze?"

Blind Selection - never give up 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt