90 | Meer aus Tränen

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Earline Lancaster

„Ich kann nicht glauben, dass es morgen vorbei sein soll", Nova schüttelte ungläubig den Kopf und blickte in die Ferne.

Wir saßen gemeinsam auf einer steinernen Bank und genossen die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Es war der Tag vor dem achten Bericht, dem Bericht der alles entscheiden sollte. Es waren noch acht Ladys im Rennen und morgen würde jeder der Lords eine Lady auswählen, um sie zu heiraten.

Ich lächelte. „Ich auch nicht", gab ich zu, „Zwei Monate verfliegen schneller, als einem bewusst wird. Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als wir zum ersten Mal das Schloss betraten."

„Ich bin wirklich froh, dass du noch hier bist, Earline", sagte Nova und ergriff meine Hand, „Es mag albern sein, aber mit allen anderen Ladys kann ich mich seit ein paar Tagen nicht mehr unterhalten, ohne dass Eifersucht und Anspannung in der Luft liegt. Es wird langsam ernst und im Prinzip sind wir alle Konkurrentinnen."

Ich drückte beruhigend ihre Hand. „Aber du weißt, dass du dir keine Sorgen machen musst oder?"

Nova nickte. „Natürlich. Aber die angespannte Stimmung geht auch an mir nicht unbemerkt vorbei. Ich male mir immer wieder Horrorszenarien aus und stelle mir vor, wie es wäre, wenn Decan mich nicht wählt. Was, wenn er sich für eine andere entscheidet?"

Ich schwieg für einen Augenblick, in dem ich mir den Moment vorstellte, in dem Lyndon eine andere auswählen würde. Bei mir war es eine sichere Zukunft, bei Nova nur ein Albtraum. Ich verdrängte den Gedanken aus meinem Kopf. „Und was ist, wenn er sich für dich entscheidet?", fragte ich vorsichtig.

Nova hielt kurz inne und wusste sofort, worauf ich anspielte. Es handelte sich bei diesem Casting nicht um eine Partnervermittlung, bei der am Ende vier glückliche Pärchen herauskamen, die ihren gemeinsamen Alltag meistern mussten. Das Casting führte unweigerlich zu einer Heirat, einem Leben in der Öffentlichkeit und in einem Fall sogar dem Königinnentitel. Nova wusste das.

„Ich bin nicht naiv", begann sie und lächelte schief, „Aber ich kann mir im Moment darüber keine Gedanken machen. Ich weiß, wofür ich mich entscheide, wenn ich Decan wähle. Wenn ich ein Leben mit ihm wähle. Ich bin mir der Bürde bewusst und ich fühle mich bereit dafür, auch wenn man das wahrscheinlich nie sein kann. Aber ich habe nicht die Kraft, mich schon vorher mit allen möglichen Horrorszenarien auseinanderzusetzen, bevor sie überhaupt geschehen. Solange Decan und ich uns haben, werden wir es schon schaffen."

Ich bewunderte und beneidete sie um diese - auch wenn sie dem widersprechen würde - naive und optimistische Einstellung. Meine Gedanken drehten sich ständig um die Zukunft und die schwerwiegenden Folgen, die meine Handlungen haben könnten, sodass ich in ständiger Vorsicht lebte. Ich war zu überlegt, um etwas zu riskieren, und zu vorsichtig, um im Moment zu leben.

„Kann ich dich etwas fragen?", fragte Nova mich schließlich.

Ich verzog meine Lippen zu einem schiefen Grinsen. „Ist das nicht schon ein Frage?"

Sie lächelte. „Ich wusste, dass du das sagen würdest."

Ich lachte. „Du kennst mich einfach zu gut. Oder ich bin zu durchschaubar."

„Genau das würde ich nicht sagen. Ich habe zwar das Gefühl, dich gut zu kennen, aber ganz durchschauen kann ich dich nicht", meinte Nova, „Du gibst nie alles von dir preis. Du versuchst, ein Bild von vollkommener Offenheit zu vermitteln, aber eigentlich bist du von einer durchsiichtigen Schutzhülle umgeben, die niemand durchdringen kann."

Ich sagte nichts, sondern grübelte kurz über ihre Worte nach, die mich überraschten. War ich tatsächlich so verschlossen und abweisend? Ich schüttelte den Kopf. „Ich wünschte, es wäre so", murmelte ich. Dann hätte Lyndon mich nicht so stark verletzen können, fügte ich in Gedanken hinzu. Allein die Tatsache, dass ich weder Elea noch Nova, die meine engsten Vertrauten hier waren, alles erzählt hatte, was zwischen Lyndon und mir passiert war, zeigte meine Verletztheit.

Blind Selection - never give up 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt