64 | zwischen Geduld und Unwissenheit

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Earline

Den nächsten Tag verbrachte ich nicht mit meinem Vater. Lediglich bei den Mahlzeiten sahen wir einander und obwohl wir uns noch immer nicht vollständig ausgesprochen hatten, beruhigte mich seine Anwesenheit. Den Rest des Tages wurde er allerdings von der Königin beansprucht und obwohl sie mir ausdrücklich erlaubte, an der Unterhaltung teilzunehmen, lehnte ich höflich ab.

Vielleicht aus einer Art schlechtem Gewissen heraus hatte sie dann jedoch Maelle dazu verdonnert, den Tag mit mir zu verbringen. Einerseits war ich am Morgen, als ich davon erfahren hatte, nicht besonders begeistert gewesen, andererseits konnte ich die Ablenkung definitiv gebrauchen. Ansonsten hätte ich wahrscheinlich den ganzen Tag damit verbracht, in meinem Zimmer an die Decke zu starren und über Lyndon und darüber nachzudenken, was mein Vater und das Königspaar wohl besprochen.

Da Maelle mich gegen 2 Uhr mittags abholen wollte, hatte ich nach dem Frühstück noch ziemlich viel Zeit. Umso mehr freute ich mich über einen überraschenden Besuch von Angelique, welche mich auf den aktuellsten Stand, was das Casting betraf, brachte. Unwillkürlich musste ich daran denken, dass auch für Lyndon natürlich das Casting weitergegangen war. Zwar hatte er in der vergangenen Woche kein Date gehabt, aber so wie ich ihn kannte, hatte er dennoch mit allen möglichen Ladys hemmungslos geflirtet.

„Kaden und Beth benehmen sich wie blinde Esel", meinte Angel gerade, während sie bäuchlings auf meinem Bett lag und ihr Kinn auf ihren aufgestützten Händen ablegte. „Ich habe mit beiden geredet, aber du weißt ja: Sie sind beide nicht besonders offen mit ihren Gefühlen. Dabei ist es offensichtlich, dass sie aufeinander stehen."

„Aber das bedeutet nicht immer, dass es auch funktionieren muss", murmelte ich.

Angelique zog eine Augenbraue hoch und schien belustigt über meine plötzliche Weisheit zu sein. „Hast du über Nacht ein Buch mit Lebensweisheiten inhaliert?"

Ich lächelte, schüttelte aber einfach den Kopf. Sie sollte nicht wissen, dass ich aus meinen eigenen Gefühlen heraus gesprochen hatte. Immerhin empfand ich genau das im Moment für Lyndon. Ich hatte es aufgegeben, zu leugnen, dass ich auf ihn stand. Aber das bedeutete noch lang nicht, dass es zwischen uns auch funktionieren würde. Bei mir kam allerdings noch das Problem hinzu, dass Lyndon es nicht tatsächlich ernst mit mir meinte. Von Kaden hingegen nahm ich doch an, dass er Bethany tatsächlich mochte.

„Jedenfalls ist es nicht mehr das Gleiche ohne dich", Angelique seufzte, „Blair und Nova haben einen bescheuerten Detektivclub gegründet, um die seltsamen Ereignisse im Schloss zu erklären. Und mir gehen mittlerweile die Ausreden aus."

„Es ist wohl nicht daran gedacht worden, was passieren würde, wenn mich jemand sähe", gab ich zu, „Ich kann mich schließlich nicht unsichtbar machen, wenn ich mein Zimmer verlasse. Wobei anfangs wahrscheinlich gar nicht geplant war, dass ich das Zimmer jemals wieder verlasse würde."

Angelique warf mir einen gequälten Blick zu. Sie hatte noch immer ein schlechtes Gewissen, dass sie all diese Dinge vor mir geheim gehalten hatte und ich für beinahe eine Woche in diesem Zimmer eingesperrt gewesen war. Ich war zwar offiziell nicht mehr sauer auf sie, aber fand doch, dass dieses schlechte Gewissen durchaus angebracht war. „Wahrscheinlich nicht. Weißt du denn schon etwas Neues, wie es nun weitergehen wird?"

Ich schüttelte den Kopf. „Ich hatte gehofft, dass du mehr wüsstest. Ich werde vollkommen im Dunkeln gelassen. Nicht einmal mein Vater hat mir alles erzählt, was er weiß. Aber immerhin ein bisschen konnte ich aus ihm herausbekommen."

„Ich kann es immer noch nicht glauben", meinte Angel. Zwar hatte sie Elea niemals zuvor gesehen, doch ebenso wie ich hatte sie die vergangenen Wochen damit verbracht, mehr über ihren Aufenthaltsort herauszufinden. Ich hatte im Nachhinein erfahren, dass die Informationen bezüglich Eleas Geburtsbericht nicht durch ihren Vater - zu welchem sie schließlich keinen Kontakt hatte -, sondern durch ihre königlichen Quellen erhalten hatte. Das war es allerdings auch gewesen, was mich ihr leichter hatte verzeihen lassen: Sie hatte mich nicht in allen Punkten angelogen und war wirklich darum bemüht gewesen, mir bei der Suche nach meiner Schwester zu helfen. Nur hatte sich nun leider herausgestellt, dass sich all unsere Spuren im Sand verlaufen hatten.

Blind Selection - never give up 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt