51 | mehr als ein Wiedersehen

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Earline

Ein neuer Tag begann und wieder bekam ich mein Frühstück von jemand Neuem gebracht. Ebenso wie die anderen Zofen war sie schweigsam und wechselte nur die nötigsten Worte mit mir. Doch mich störte das mittlerweile nicht mehr. Ich hatte mich daran gewöhnt.

Worum ich mir allerdings Sorgen machte, waren meine gute Manieren. Ich hatte mir abgewöhnt, mich für mein Frühstück oder das gemachte Bett zu bedanken. Immerhin bekam ich nie eine Antwort, also machte ich mir gar nicht erst die Mühe, die Zofen anzusprechen.

„Sie werden in einigen Minuten Besuch bekommen."

Ich sah erstaunt auf. Ich hatte die Stimme des Mädchens noch nie gehört, was nicht ungewöhnlich war, da sie sie vor ein paar Minuten zum ersten Mal gesehen hatte. Doch tatsächlich war es die erste menschliche Stimme in drei Tagen, seit eine Zofe erschrocken aufgeschrien hatte, als sie eine Spinne entfernen musste.

Ich starrte die junge Frau an, doch sie war bereits auf dem Weg zur Tür. Bevor ich eine Frage stellen konnte, war sie auch schon aus dem Zimmer verschwunden. Ich brauchte einige Sekunden, um die Bedeutung ihrer Worte zu realisieren. Ich würde Besuch bekommen. Von wem? Würde vielleicht die Königin vorbeischauen und mir eröffnen, wann meine Einzelhaft zuende ginge? Wahrscheinlicher war McKenna, wobei die sich wahrscheinlich zu schade für einen Besuch war.

Dann schaute ich an mir herunter und bemerkte, warum die Zofe mich auf den kommenden Besuch hingewiesen hatte: Ich sah schrecklich aus. Seit Tagen hatte ich nicht mehr in den Spiegel geschaut und blieb die meiste Zeit in meinem seidenen Nachthemd.

Eilig sprang ich auf und huschte ins Badezimmer. Eine Schönheit würde ich an diesem Tag nicht mehr werden, doch das Gröbste würden ein Bürstenstrich und eine Gesichtswäsche bereinigen. Danach schlüpfte ich in eine schicke Seidenbluse, sowie eine Stoffhose. Das Outfit war Nichts gegen die sonstige Aufmachung der Ladys, doch ich fühlte mich einigermaßen ordentlich angezogen.

Innerlich dankte ich der Zofe, wer auch immer mein Besuch sein würde.

Als ich ein höfliches Klopfen hörte, spannten sich alle meine Muskeln an. Ich überlegte, ob ich eine scheinbar entspannte Pose auf dem Bett annehmen sollte. Doch schließlich entschied ich mich für die offensivere Variante und stand im Flur mit verschränkten Armen. Ich war für Alles und Jeden bereit.

„Schön, dich zu sehen, Lancaster", Lyndon lehnte im Türrahmen. Er hatte nicht darauf gewartet, dass die Tür ihm geöffnet würde.

Ungewollt spürte ich, wie mein Herz schneller schlug. Das lag jedoch lediglich daran, dass ich seit Tagen keinen zwischenmenschlichen Kontakt mehr gehabt hatte. Selbst McKenna hätte in diesem Moment kein Herz höher schlagen lassen können.

Ich zog eine Augenbraue hoch. „Warum klopfst du überhaupt, wenn du ohnehin nicht auf eine Einladung wartest?"

Lyndon feixte. „Oh, ich habe seit unserer ersten Begegnung dazugelernt. Zum Beispiel beginne ich nie wieder einen Satz mit die meisten Mädchen."

Ich sah ihn überrascht an und vergaß für einen Moment meine kühle Maske. „Das weißt du noch?"

„So lang ist es dann doch nicht her", erwiderte Lyndon schulternzuckend, „Bilde dir bloß nichts darauf ein."

Ich lachte. „Als würde ich mir auf dich etwas einbilden, Lyndon. Ich würde dich nicht einmal freiwillig anschauen, wenn du der letzte Spiegel auf der Welt wärst."

„Dass du selten in den Spiegel schaust, ist klar und deutlich."

Ich konnte mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen, zwang mich aber wieder zu einem neutralen Gesichtsausdruck. „Was willst du hier, Lyndon?"

Blind Selection - never give up 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt